Burkina Faso: Ein langer Weg zu einem realisierbaren Ziel? Der Sankara-Prozess nach 34 Jahren.

Burkina Faso: Ein langer Weg zu einem realisierbaren Ziel? Der Sankara-Prozess nach 34 Jahren.
Foto: Theresa Endres

Thomas Sankara, oft auch als Che Guevara Afrikas bezeichnet, gilt als Symbol für Frauenrechte, er verbot die weibliche Genitalverstümmelung, die Polygamie und die Zwangsheirat. Er forderte die Bevölkerung auf, lokale Produkte zu konsumieren. Gegen das Diktat der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds wehrte er sich vehement. In seiner 4-jährigen Präsidentschaft von 1984 bis 1987 hat er sich eingesetzt für den Kampf gegen Korruption, Armut und für eine bessere Erziehung. Mit seinen politischen Inhalten hat er Burkina Faso nachhaltig geprägt.

 

Burkina Faso: Ein langer Weg zu einem realisierbaren Ziel? Der Sankara-Prozess nach 34 Jahren.
Das Sankara-Monument, ©thomassankara.net

Ein Blick zurück: 15.10.1987, 16 Uhr. Zusammen mit weiteren Militärs ist Sankara mit weiteren Teilnehmern im Rat der Verständigung (Conseil d’Entente), dem Sitz des Nationalen Revolutionsrates, versammelt. Alle sind in Sportkleidung. Es ist Donnerstag, Tag des Massensports; eine Aufforderung an alle, sich körperlich zu betätigen. Thomas Sankara verlässt den Saal, als er Lärm hört. „Bleibt hier, sie suchen mich“, ruft er – wird gleich danach kaltblütig erschossen. Seine 12 Kameraden werden ebenso auf brutale Weise umgebracht. Die Körper werden in der Nacht vom 15. auf den 16.10. von 20 Gefangenen in die Erde gebracht.

Der Prozess wird voraussichtlich mehrere Monate dauern. Es ist ein wichtiger Schritt zur Klärung der Umstände, die zum Tod des Präsidenten geführt haben, ein Dossier, das 34 Jahre unter Verschluss gehalten wurde.

Bereits der Übergangspräsident Michel Kafondo hatte 2015 zugesagt, dass es zur Anklage der Mörder Thomas Sankaras und seiner 12 Begleiter kommen würde. In diesen Zeitpunkt fiel auch die Exhumierung des Leichnams von Thomas Sankara.

Der 11.10.2021 ist der Beginn des Prozesses. Der Präsident der ersten Instanz des Militär- Tribunals, Urbain Meda, nominiert vom Ministerrat, findet nur mit Mühe als Beisitzende einen Richter und drei Militärs. Filmaufnahmen und die Registrierung des Prozesses werden vom Gericht verweigert. Die Anwälte der Angeklagten geben an, nicht über ausreichende Kenntnisse der Dokumente zu verfügen, so dass sie sich nicht ausreichend auf ihre Rolle der Verteidigung hätten vorbereiten können.

25.10. 2021: Der Prozess wird nach zweiwöchiger Unterbrechung fortgesetzt. Erneut diskutiert wird die Absage des Gerichtes, den Verlauf des Prozesses zu protokollieren.

Die Wiederaufnahme des Prozesses beginnt mit dem Aufruf von 60 Zeugen. Unter ihnen Kabore Boukray, genannt Löwe aus Koudougou, der sich gegen den Putsch von Blaise Compaoré und seinen Anhängern gewehrt hatte. Zeugen, die außerhalb von Burkina Faso leben, sollen ebenso in die Befragung miteinbezogen werden.

Mit dem Verlesen der Anklageschrift wird der Prozess gegen die 14 Beschuldigten fortgesetzt. Der ehemalige Präsident Blaise Comparé ist angeklagt des Angriffs auf die staatliche Sicherheit, der Ermordung Thomas Sankaras und seiner 12 Kameraden, des Verschwindenlassens der Getöteten und der Bestechung von Zeugen. Weder Blaise Compaoré noch Hyazinthe Kafondo sind anwesend, trotz eines internationalen Mandats aus dem Jahre 2015. Für den General Dienderé ist ein weiterer Anklagepunkt der Verstoß gegen die Berufsgeheimnisse. Drei Ärzte sind der falschen Unterschriften beschuldigt. Sie attestierten allen Ermordeten einen natürlichen Tod.

Das Dossier von 20.000 Seiten spiegelt 34 Jahre Zeugenaussagen, Dokumente und Gutachten wider. Fünf Wochen sind für die Vernehmung der Beschuldigten eingeplant.

Die Anwälte der Verteidigung plädieren für ihre Mandanten, die zwei Tage vor Prozessbeginn festgenommen worden waren, auf vorläufige Freilassung aus der Haft.

Dienstag, 26.10.2021: Präsentation einiger Videos in Verbindung mit den Ereignissen des 15.10.1987. Im Radio wird das Scheitern des Nationales Rates der Revolution (CNR) mit dem Staatsstreich der „Front populaire“ verkündet. In einer anderen Sequenz sind die Beschwerden gegen den CNR dokumentiert. Im Video vom 19.10.1987, vier Tage nach den Morden, rechtfertigt Blaise Compaoré mit den profonden Widersprüchen im CNR und dem auf ihn geplanten Attentat, die Handlungsweise. Der Widerstand von Boukary Kaboré, wird in einem weiteren Video aufgezeigt. Während der Videoaufzeichnungen im Konferenzsaal von Ouaga 2000, herrscht aufmerksames Schweigen unter den Anwesenden, den nationalen und internationalen Journalist:innen.

Das Militärgericht gewährt allen Angeklagten, außer Gilbert Dienderé, die Freilassung. Letzterer ist bereits wegen seiner aktiven Teilnahme für das Regime Blaise Compaoré, zu einer 20-jährigen Haftstrafe verurteilt. Ilboudou Yamba Elise, Fahrer und Mitglied in der Sicherheitsgruppe von Blaise Compaoré, ist der erste Angeklagte. Das Kommando sei vom Domizil Blaise Compaorés losgefahren. Hyazinthe Kafando und Maiga seien auf Sankara, gestoßen. Er sei im Auto geblieben. Hyazinthe sei aus dem Auto ausgestiegen, und sie hätten den Saal umzingelt. Die Schießerei hätte er von seinem Auto aus gesehen. Er hat Gilbert Diendreré gesehen, so seine Aussage vor dem Ermittlungsrichter.

Mittwoch, 27.10.2021: Auf die Fragen des Richters, des Staatsanwaltes und der Advokaten der Zivilgesellschaft antwortet er immer wieder: „Ich erinnere mich nicht“. Der Angeklagte hat offensichtlich Angst. Seine Version: ich bin Soldat, ich führe die Befehle aus. Wer hat geschossen? Auf diese Frage gibt er keine Antwort. Die Anwältin des Angeklagten plädiert auf nicht schuldig. Sie will ebenso erreichen, dass ein Gutachten den gesundheitlichen Zustand wegen der Gedächtnislücken ihres Mandaten überprüfen lässt. Das Militärgericht lehnt dies ab.

Donnerstag, 28.10.021: Idrissa Sawadogo, in der Sicherheitsgruppe von Blaise Compaoré, ist vor dem Militärgericht. Angeklagt wegen des Attentates auf die Staatssicherheit und des Mordes. Er sagt aus, während der Schießerei sei er im Anwesen von Blaise Compaoré gewesen, dort hörte er die Schüsse. Ohne Erlaubnis sei er von seinem Bewachungsposten weggegangen, um seine Mutter zu besuchen. Er sagt, dass er den Staatsstreich aus dem Radio um 19.00 Uhr erfahren habe. (Nach dem gezeigten Video ist bereits gegen 17 Uhr der Putsch im Radio angezeigt worden). Sawadogo beschuldigt den Mitangeklagten Ilboudo Elysee, dieser könne seinem Gedächtnis nicht mehr folgen.

Der dritte Angeklagte Nabonswende Ouedraogo, ist Mitglied der Sicherheitsgarde von Blaise Compaoré. Wie die beiden bereits gehörten Angeklagten ist er auch Soldat der ersten Klasse. Er negiert ebenso die ihm zu Last gelegten Strafbestände. Hazinthe Kafando bezeichnet er als Chef der Sicherheit. Dieser sei losgefahren, einige Minten später hörte er Schüsse. Seine Waffengefährten hätten einen Unterschlupf gefunden. Das steht im Widerspruch zu Ilboudo, der aussagte, dass er in seinem Auto gewesen sei. Ouedraogo bezweifelt mit starken Worten seine Glaubwürdigkeit. Er habe ihm immer gesagt, er solle vorsichtig sein mit dem, was er erzähle, es würde sehr weit führen, aber er habe sich nichts daraus gemacht.

Wegen des Feiertages, Allerheiligen, wird der Prozess am 2.11. 2021 mit der Befragung von Nabonswende Ouedraogo fortgesetzt. Als letzter der anwesenden Angeklagten soll einer der Hauptbeschuldigten, Gilbert Dienderé, vernommen werden.

Die Meinungen über den Prozess gehen weit auseinander. Einige erwarten „Wahrheit und Gerechtigkeit, denn „vieles ist widersprüchlich, wir wissen nicht genau, was passiert ist“ Andere befragte Personen sind der Meinung, dass der Prozess nicht die Wahrheit ans Licht bringen kann. Wieder andere sehen darin eine Notwendigkeit, um für die Jugend das Andenken an Thomas Sankara aufrecht zu erhalten. Unter anderem gehe es darum, wach zu sein, zu verhindern, dass sich eine solche Geschichte nicht wiederholt. Andere sind der Auffassung, dass der Kampf gegen den Terrorismus erste Priorität haben müsste. (Theresa Endres).