Bustragödie im Senegal k(ein) Einzelfall?!

Bustragödie im Senegal k(ein) Einzelfall?!
Die privilegierte Klasse fährt teure, sichere Geländewagen – und „tankt“ am Straßenrand.

Senegal steht unter Schock: Bei einem Zusammenstoß zweier Busse starben 39 Menschen. 95 wurden verletzt. Die Regierung hat drei Tage Staatstrauer angeordnet. Der Unfall ereignete sich um 3 Uhr nachts auf der Nationalstraße 1, die von der Hauptstadt Dakar nach Mali führt. Leider kenne ich das Problem der Verkehrssicherheitsfragen aus allen meinen Dienstorten in Afrika. Auch in anderen Ländern Afrikas werden täglich – meist nachts – vor allem Busreisende in den Tod gerissen. Die Fahrer halten sich mit ihrer halsbrecherischen Fahrweise selten an Verkehrsregeln.

Nach Malaria und Aids zählen Verkehrsunfälle zu den häufigsten Todesursachen in Afrika.  Fehlende Ausbildung für Busfahrer, überladene Fahrzeuge, schlechter Zustand vieler Straßen und der Fahrzeuge, ein hohes Maß an Fatalismus, mangelnde Verkehrsaufsicht gehören zu den Hauptursachen für die vielen Verkehrstoten. Jeder Unfall beweist auch, wie schlecht die Infrastruktur im Notfall ist.

Auf Ghanas Straßen verlieren zum Beispiel täglich rund 60 Menschen ihr Leben. In Ghana gibt es laut einem kürzlichen Bericht des ghanaischen Unfallchirurgen Dr. Wilfred Labbi Addo so gut wie keine Chirurgen, die auf die Versorgung schwerer Unfallverletzungen spezialisiert sind. Es fehlt nicht nur an geeigneten Krankenhäusern, sondern auch an Krankenwagen. Ghana hat nach einem BBC-Bericht nur 155 Krankenwagen, 100 davon funktionieren nicht, sodass für ganz Ghana nur noch 55 einsatzbereite Fahrzeuge bleiben.

Es wird schicksalsergeben hingenommen, dass es bei Unfällen kaum funktionierende Rettungssysteme gibt. Dies alles trifft vor allem die Armen. Es sind vor allem die technischen Standards der Fahrzeuge, die Möglichkeit, Führerscheine zu kaufen, das Fehlen der Fahrerschulung und eine kaum stattfindende Verkehrsaufsicht, die das Unfallrisiko mit bestimmen.

Fatalistische Einstellung
Gründe für eine Hinnahme der Zustände liegen auch in kulturellen Eigenheiten. Die britische Wissenschaftlerin Rachael Dixey publizierte 1999 eine Studie, in der sie Angehörige des Yoruba Volkes (21 Prozent der Bevölkerung in Nigeria) zu Verkehrsunfällen befragte. Die Befragten erklärten, dass im Leben alles vorbestimmt sei. Oludumare, der Lebensschöpfer, habe das Schicksal jedes Menschen schon vor der Geburt weitgehend festgelegt. Eine derart fatalistische Einstellung ist bequem für die herrschende Klasse, und sie ist mir auch in anderen afrikanischen Ländern, zum Beispiel in Guinea, im Niger, Benin und Kamerun, begegnet.

Mein Freund, der Beniner Künstler Romuald Hazoumè, thematisiert Transport und Fatalismus in seinem künstlerischen Video „Roulette béninoise“, also eine Art „Russisches Roulette“, ein Glücksspiel auf Leben und Tod, im Straßenverkehr. Hier ist es der Benzin-Schmuggel von Nigeria nach Benin, für den die Moped-Fahrer – bis zu 300 Liter Benzin werden in aufgeblasenen Kanistern auf einem Moped transportiert! – täglich ihr Leben riskieren. 1.500 FCFA verdient solch ein Fahrer pro Tag, keine zwei Euro.

Jeder, der in Afrika unterwegs ist, kennt es: Hinter dem Steuer sind viele Afrikaner seltsamerweise immer in Eile. Obwohl sie im täglichen Leben oft viel Zeit haben, rasen sie mit halsbrecherischer Geschwindigkeit die Hänge herunter und mit riskanten Überholmanövern in die Kurven hinein. Die Überlandstraßen, oft in schlechtem Zustand, sind gesäumt von zahlreichen ausgebrannten Fahrzeugen. Viele Straßen gelten insbesondere nachts als Todesstrecken. Unbeleuchtete LKWs sind dann häufig tödliche Fallen. (In meiner Zeit im Niger hatten wir allen Deutschen geraten, nicht nachts über Land zu fahren.) Durch die risikoreiche Raserei mit Schrottkisten kommen Menschen zu Tode, werden zu Krüppeln. Afrikanische Medien berichten fast täglich von schweren Unfällen. Am gefährlichsten ist das Reisen nachts in privaten Bussen: „Leichenhäuser auf Rädern“ werden sie im Volksmund genannt. Der kamerunische Schriftsteller Hilaire Mbakop schreibt: „Die Strecke Douala-Yaoundé wird zu Recht die Straße des Todes genannt.“

In manchen Ländern Zentralafrikas kommt es auf den Hauptverkehrsverbindungen zu Straßenüberfällen. Ein gefällter Baumstamm verhindert die Weiterfahrt. Die coupeurs de route (Straßenräuber), nehmen das Hindernis gegen Bezahlung wieder weg. Die Höhe des zu entrichtenden „Wegegeldes“ richtet sich nach dem mutmaßlichen sozialen Status der Passagiere. Diese Straßenräuberei in milder Form bis hin zu schweren Formen wird kaum geahndet.

Der damalige  Nuntius von Kamerun (päpstlicher Botschafter; entsprechend gekleidet) allerdings erzählte mir, dass er vom Obolus befreit wurde mit den Worten: „Dich kenne ich aus dem Fernsehen! Du darfst weiterfahren!“

Die privilegierte Klasse fährt teure und sichere Autos
Autos und Busse sind pittoresk überladen und kaum verkehrssicher. Jedes in Europa ausgemusterte Fahrzeug findet hier noch seinen Liebhaber. Sicherheitsgurte, Airbag und Wartung sind praktisch unbekannt. Schwere Unfälle durch versagende Bremsen, durch Fahren ohne Licht – beziehungsweise generell fehlende Wartung der Fahrzeuge – sind leider in Teilen Afrikas häufig. Dazu kommen fehlende Fahrkenntnisse. Es gibt zwar einen TÜV, aber die Überprüfung von PKWs und LKWs ist eine Farce. Oft fehlt den Prüfern eine solide Ausbildung. Der richtige Geldschein genügt allerdings für den Stempel.

Viele Autofahrer können nicht lesen und schreiben. 90 Prozent der Taxifahrer in Dakar, der Hauptstadt des Senegal, halten Verkehrsschilder für Straßenschmuck, hat eine Umfrage ergeben. All das wird mit Fatalismus hingenommen. Jedes Auto wird gefahren, bis es wirklich überhaupt nicht mehr fährt oder bei einem der zahlreichen Unfälle zu einem Totalschaden wird. Die Fahrzeuge bleiben dann einfach am Straßenrand liegen und verrosten. Für Schrotthändler aus Europa wären viele Staaten Afrikas ein Paradies.

Selbstredend gilt dies alles nicht für die privilegierte Klasse. Sie fährt teure, sichere Geländewagen. Anders wieder einmal in Ruanda: Bereits 2001 wurden dort Tempolimits, Fahrzeuginspektionen, Promillegrenzen und das Tragen von Sicherheitsgurten als Pflicht installiert. Entsprechende Polizeikontrollen sorgten dafür, dass die Zahl der Verkehrstoten um ein Drittel sank.

Flugsicherheit mangelhaft
Nur drei Prozent des weltweiten Flugverkehrs spielen sich über Afrika ab. Die schlechte Anbindung hemmt das Wachstum auf dem so bevölkerungsreichen wie armregierten Kontinent. Allerdings führen Wissenschaftler die schlechte Infrastruktur als einen der Gründe für den bislang vergleichsweise milden Pandemieverlauf ins Feld.

Aus falschem Nationalstolz halten viele afrikanische Länder schlecht geführte Airlines mit altersschwachen und unzureichend gewarteten Flugzeugen am Leben. Die afrikanische Luftfahrt leidet immer noch unter jahrzehntelanger Vernachlässigung. Es gibt riesige Gebiete ohne Luftraumüberwachung. Die Lücken in der Bodenüberwachung bestehen vor allem südlich der Sahara. In Südafrika und in den nördlichen Staaten gibt es eine effiziente Bodenkontrolle. Allerdings fehlt auf einer Route von Europa nach Südafrika oft eine Radar-Luftraumüberwachung.

Afrika bleibt bei der Flugsicherheit der gefährlichste Kontinent der Welt. 20 Prozent aller schweren Unfälle ereignen sich in Afrika – obwohl dort nur drei Prozent aller Abflüge stattfinden. In Asien hat sich gezeigt, wie eine exzellente Flughafenstruktur die Wirtschaftsentwicklung beschleunigen kann. Laut IATA (International Air Transport Association) ist es – aufgrund hoher Steuern – in Afrika um ein Fünftel teurer, ein Flugzeug zu betanken als im globalen Durchschnitt. Alle Routen werden von Regierungen kontrolliert, oft verbunden mit einer Menge Bürokratie.

Warum wird nicht mehr Geld in die Ausbildung der Piloten und in neue Flugzeuge investiert? Weil die Fluggesellschaften als Pfründe für Politiker herhalten müssen. Hier spiegelt sich auch der Mangel an verantwortungsvoller, am Gemeinwohl orientierter Machtausübung von Regierungen und der ihnen unterstellten Behörden bei der Führung der Staatsgeschäfte wider.

Die hohe Zahl der Flugunfälle in Afrika berücksichtigt dabei nicht einmal die Zwischenfälle mit Geräten aus sowjetischer Produktion. Den Iljuschins und Antonovs aus den 1960er Jahren fehlt es an Wartung. Diese Flugzeuge sind noch zahlreich im Kongo, in Angola, in Guinea, in Äquatorialguinea und Kongo-Brazzaville: Länder, die enge Beziehungen zum sowjetischen Block hatten. Ich kenne Afrika seit 40 Jahren. Im afrikanischen Luftraum hat sich seither nur wenig geändert. Es fehlt eine „Sicherheits-Kultur“. Zu meiner Zeit in Kamerun sprachen französische Luftfahrtbehörden für die damalige staatliche Fluglinie CAMAIR mehrmals ein Landeverbot aus.

In Paris wurden Lecks in der Hydraulik, abgefahrene Reifen, ungültige Bordpapiere, unsachgemäße Sicherung von gefährlichem Cargo (was schon einmal zu einem Unfall geführt hatte, weil das Heck beim Abflug in Duala auf der Piste aufgeschlagen war), Überladung der Maschine und so weiter festgestellt. Die kamerunische Regierung reagierte mit Unverständnis auf das Landeverbot und warf den Franzosen vor, „unflexibel“ zu sein. Internationale Sicherheitsnormen werden nur unter Druck akzeptiert. Auf der schwarzen Liste der EU-Kommission stehen 100 Fluggesellschaften, die unter dem notwendigen Sicherheitsniveau liegen und die EU nicht mehr ansteuern dürfen. Die Mehrzahl aus Afrika.

Die Flughäfen in manchen Staaten, zum Beispiel Kamerun und Kongo, sind in einem beklagenswerten Zustand. Die Liste der technischen Mängel reicht von fehlender Sicherheit der Flughäfen (unzureichende Umzäunung, schlechte Qualität der Start- und Landebahnen, katastrophale Ausstattung der Rettungs- und Löschdienste) bis zu den Pisten. Auch sie sind in jämmerlichem Zustand, werden oft nicht ausreichend beleuchtet, Notstromaggregate sind defekt, es fehlt an Ersatzteilen, es fehlt an Benzin für Feuerwehrfahrzeuge – und auf den Landebahnen steht schon mal eine Kuh oder eine Ziege.

Im Kongo werden seit 2009 10 US-Dollar Gebühren für Inlandflüge und 50 Dollar für internationale Flüge erhoben. Das bringt pro Jahr 20 Millionen Dollar und war für die Verbesserung der Flughafeninfrastruktur vorgesehen. Einzige Verbesserung bislang: der Bau eines neuen Ehrensalons für den Staatspräsidenten auf dem Flughafen Ndjili in Kinshasa.

Für Fluggäste empfiehlt sich eine fatalistische Haltung auch in Bezug auf Reisewege. Oft fliegt man in ein afrikanisches Nachbarland rascher und sicherer über Europa. Von Yaoundé in Kamerun nach Bangui, Zentralafrikanische Republik, – Luftlinie 791 Kilometer – war es für mich die einzige Möglichkeit, zuerst nach Paris zu fliegen, umzusteigen und wieder zurückzufliegen.

Die afrikanischen Regierungen wissen, dass die Wahrscheinlichkeit, an Bord einer großen europäischen Airline in einen schweren Unfall verwickelt zu werden, sehr gering ist. Auch wird es kaum vorkommen, dass vor Abflug noch zahlreiche Passagiere ohne Ticket zusteigen. Deshalb fliegen Afrikaner, die es sich leisten können, mit europäischen Fluglinien. Schon weil dort die 1. Klasse angenehmer ist, die für die afrikanischen Eliten als einzig angemessene Reisemöglichkeit gilt. Sicheres Reisen in Afrika ist ein Privileg. Für die Mehrzahl der Afrikaner gilt, was schon Joseph Conrad sagte: „In Afrika muss man vor allem Gleichmut bewahren.“ (*Volker Seitz, Foto :ia)

*Volker Seitz war von 1965 bis 2008 für das deutsche Auswärtige Amt tätig, zuletzt als Botschafter in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und Äquatorialguinea mit Sitz in Jaunde. Er ist Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert“ (dtv).  Inzwischen liegt das Buch aktualisiert und erweitert in elfter Auflage vor.