CD-Tipp: FATCAT „More sugar”

CD-Tipp: FATCAT „More sugar”Funk – das  ist  Bewegung,  virulentes  Leben,  menschliche  Reibung  und  in  Musik  übersetzte  Alltagshitze ohne viele Filter. Die unmittelbare schweißtreibende Tuchfühlung zwischen Künstlern  und  Publikum  ist  das  Lebenselixier  des  Funks.  Ohne das  geht’s  nicht.  In  Zeiten  wie  den  zurückliegenden  Jahren,  in  denen  das  soziale  Miteinander  im  realen  Raum,  wenn  auch  aus  nachvollziehbaren Gründen, auf ein absolut notwendiges Minimum eingeschränkt werden muss,  kann eine Funkband wie die Freiburger Meute FATCAT kaum überleben. Umso größer die hoch ansteckende Lebenslust, mit der FATCAT auf ihrem neuen Album „More Sugar“ zurück an die  Öffentlichkeit drängen.

In einer Zeit, in der schon ein Trio als künstlerisches Risiko gilt und die meisten Musikschaffenden  am liebsten an ihrer heimischen Digital Audio Workstation für sich allein rumfriemeln, trauen sich  FATCAT  mit  nicht  weniger  als  acht  Mann  aus  der  Deckung.  Diese  geballte  Power  entlädt sich  gleich im Opener „2 Sexy“. Sänger Kenny Joyner reißt mit seinem charismatischen Organ den  Vorhang auf, der Gitarrist scratcht über die Seiten, als wären es Turntables, der Bass wummert,  die Drums treiben, und die kompakte Bläsersektion schwelgt in einem zeitlosen Sound, den die  Brecker Brothers nicht besser hinbekommen hätten. Funk pur, als hätte es den Lockdown nie  gegeben. Wer denkt, dass sich das Szenario daraufhin beruhigt, hört sich sofort eines Besseren  belehrt, denn eine Up-Tempo-Nummer jagt die andere. Die Band hat nicht nur Druck, sondern  lässt uns auch ihre ungeheure Spielwucht und Fabulierfreude spüren. Erst nach vier Stücken setzt  sie mit der sensitiven Ballade „Broken Place“ eine kurze Verschnaufpause an, um gleich danach  wieder mit der Kraft einer Dampflokomotive weiterzumachen.

„Nach der langen Phase, in der nichts ging und jeder sein eigenes Süppchen kochte, war es an  der Zeit, wieder etwas Gemeinsames zu machen“, freut sich Kenny Joyner. „Es hat ein bisschen  gedauert, wieder zusammenzufinden, weil sich  in der Zwischenzeit individuell viel getan hat.“  Was  man  allerdings  nicht  hört,  weil  die  Songs  nicht  nur  unglaublich  tight  und kompakt sind,  sondern  alles  Überflüssige  und  Redundante  weggelassen  wird.  Auf  eine  sehr  maximalistische  Weise beherrschen FATCAT die Kunst des offensiven Minimalismus. Nur was gesagt werden muss,  zählt, alles andere kann weggelassen werden. Nach dem Lockdown wissen wir alle, dass unsere  Zeit zu kostbar ist, um sie mit Nebensächlichem zu vertrödeln. Aus diesem Grund liefern FATCAT  den perfekten Soundtrack zum Lebensgefühl unserer Zeit ab, ob das jeweilige Ohr nun mit Funk  sozialisiert ist oder nicht. Und in diesem Bewusstsein liegt auch die Strahlkraft, die das Album  weit über eingeschworene Funk-Kreise hinaus so ansteckend macht.

Bei der unverstellten Spielfreude, die FATCAT an den Tag legen, fällt es schwer zu glauben, dass  die Band schon seit zehn Jahren existiert, denn es gelingt ihr, die eingespielten Mechanismen der  zurückliegenden Dekade komplett abzuwerfen. Sie kommt völlig ohne Verabredungen zwischen  Zutaten wie Pop, Jazz, Funk, Soul und R&B aus und spielt einfach drauflos. „Wir haben uns immer  mehr von Vorgaben wie Genres gelöst“, bestätigt Kenny Joyner. „Als Band mit acht Mitgliedern  mussten wir stets einen gemeinsamen Nenner finden. Jeder von uns kann seinen Input geben,  und wir haben uns immer aus verschiedenen Töpfen bedient. Mit jedem Projekt sind wir aber  offener  und  unabhängiger  geworden.  Auf  ‚More  Sugar’  haben  wir  und  von unseren Vorbildern  befreit und mit einem Überangebot an Ideen aus dem Moment heraus im Inspirationspingpong  einfach nur noch Songs geschrieben, die uns gefallen haben, und als Projekt veröffentlicht.“ Ihr  Job als Band sei es, so Joyner weiter, aus vielen guten Ideen, die für den jeweiligen Song beste  herauszufinden  und  umzusetzen.  So  einfach  kann  es  gehen.  Man  muss es nur machen, dann  flutscht  es  auch.  Alles  basiert  auf  dem  Moment.  Jede  Entscheidung  hätte  schon  eine  Stunde  später anders ausfallen können. Genau das macht die pointierte Lebendigkeit des Albums aus.

Der ernährungstechnisch auf den ersten Blick vielleicht etwas bedenklich anmutende Albumtitel  hat übrigens ganz unterschiedliche Bedeutungen. Er soll versinnbildlichen, dass Zucker das Leben  versüßen kann. In tristen Zeiten mag ein bisschen mehr Zucker nicht schaden, so das Credo der  Band.  Zucker  ist  aber  auch  Energie,  die  sich  wiederum  in  Bewegung  übersetzt.  Auch  der  Albumtitel ist eine Momentaufnahme, die auf die unmittelbare Situation anspielt, in der die Platte  entstanden ist und für die sie gemacht wurde. „Wenn du gerade etwas träge bist, kannst du  sagen, I need a little bit more sugar, und schon kommst du wieder in die Gänge“, frohlockt Kenny  Joyner und lässt wie zur Illustration dieser Aussage ein aufgekratztes Lachen vernehmen. Von  Überzuckerung  kann  indes  keine  Rede  sein,  aber  angesichts  dieser  Extraportion  Energie  wirkt  jeder Song auf „More Sugar“ wie ein Highspeed-Sonnenaufgang.

FATCAT ist eine Band, die sich auf „More Sugar“ nicht neu erfinden muss, um ein knallendes  Ausrufezeichen  zu  setzen.  FATCAT passiert  hier,  FATCAT  passiert  jetzt!  Das  erzählt  uns  jeder  Beat, jeder Ton und jede Silbe dieses Albums. Ihre Musik ist ein überbordender Tagesbegleiter zur  Selbst-  und  Wiederfindung,  der  kraft  seiner  Grooves  ohne  jeden  therapeutischen  Ansatz  die  Dynamik des Lebens selbst zelebriert. (qrious.de)

Bester veröffentl. Song: i_feel_good – https://www.youtube.com/watch?v=DUzRjMlKGuU  Beste Live-Performance: WeLive – https://www.youtube.com/watch?v=o16-mh40jmM   Aktuellstes Musikvideo: Without You – https://www.youtube.com/watch?v=cDCJXagWAFo