Erneute Hängepartie für Rettungsschiff Ocean Viking von SOS MEDITERRANEE: 553 Gerettete müssen dringend von Bord gehen

Erneute Hängepartie für Rettungsschiff Ocean Viking von SOS MEDITERRANEE: 553 Gerettete müssen dringend von Bord gehen
Unter den 14 geretteten Kindern unter 12 Jahren ist auch ein drei Monate altes Baby. © Flavio Gasperini / SOS MEDITERRANEE

Seit vier Tagen wartet die Seenotrettungsorganisation SOS MEDITERRANEE auf einen sicheren Hafen für die 553 Menschen an Bord ihres Schiffes Ocean Viking. Bislang ist keine Lösung für die am Wochenende aus Seenot geretteten und erschöpften Menschen in Sicht. SOS MEDITERRANEE fordert die Schifffahrtsbehörden in aller Dringlichkeit auf, unverzüglich einen sicheren Ort für die zahlreichen Geretteten an Bord der Ocean Viking zuzuweisen, wie es das Seevölkerrecht vorschreibt. Die Seenotrettungsorganisation appelliert außerdem an die EU-Mitgliedstaaten, einen Ausschiffungs- und Verteilmechanismus für die Geretteten zu schaffen, der europäische Küstenstaaten wie Italien unterstützt.

Am vergangenen Wochenende hatte die Crew der Ocean Viking 555 Menschen aus sechs Booten gerettet, die im zentralen Mittelmeer in Seenot geraten waren. Die Koordinierung durch die zuständigen Rettungsleitstellen war hierbei völlig unzureichend. Eine schwangere Frau musste am Dienstag zusammen mit ihrem Partner von der italienischen Küstenwache medizinisch notevakuiert werden. Alle 553 an Bord verbliebenen Geretteten, darunter 119 Minderjährige, vier schwangere Frauen und ein drei Monate altes Baby, leiden weiterhin unter der brütenden Hitze an Deck. Sie müssen dringend an einem sicheren Hafen von Bord gehen. Dies gilt auch für die mehr als 250 Überlebenden an Bord des zivilen Rettungsschiffes Sea-Watch 3, die ebenfalls am Wochenende im zentralen Mittelmeer gerettet worden sind.

553 Gerettete, Ungewissheit und unerträgliche Hitze an Deck
Viele Überlebende befanden sich in einem Zustand extremer Erschöpfung, als sie von der Crew von SOS MEDITERRANEE gerettet wurden, und sind nach wie vor geschwächt. Etliche leiden unter Schmerzen in Folge ihrer Misshandlungen in Libyen, von wo sie geflohen sind, unter Treibstoffverbrennungen aus dem Fluchtboot und unter Seekrankheit. Einige der Geretteten wurden aufgrund der Hitze bereits ohnmächtig. „Bei dieser Hitze und der Enge an Deck kann sich die Situation von Tag zu Tag verschlimmern“, sagt Luisa Albera, Such- und Rettungskoordinatorin von SOS MEDITERRANEE an Bord der Ocean Viking. „Ein Schiff kann nur eine Zwischenstation nach einer Notlage sein. Knapp dem Tod auf See entronnene Menschen tagelang warten zu lassen, bevor sie an einem sicheren Ort von Bord gehen können, bedeutet eine Gefährdung ihrer körperlichen und geistigen Gesundheit. Diese Ungewissheit fügt ihnen in einer ohnehin schon schlimmen Situation unnötiges Leid zu. In den letzten drei Jahren hat es zu viele solcher Hängepartien auf See gegeben. Ich habe die äußerst schwerwiegenden Folgen dieses quälenden Wartens mit eigenen Augen gesehen, die Überlebenden können in akute psychische Not geraten.“

Die Crew der Ocean Viking hat die Schifffahrtsbehörden in den letzten Tagen bereits mehrfach um Zuweisung eines sicheren Orts gebeten. „Einige europäische Mitgliedstaaten haben sich in der Vergangenheit engagiert und Solidarität mit den Küstenstaaten gezeigt, die Gerettete in ihren Häfen aufgenommen haben. Wir brauchen jetzt diese Solidarität, um die Ausschiffung und gerechte Verteilung der geretteten Menschen von der Ocean Viking und der Sea-Watch 3 zu ermöglichen“, so Luisa Albera.

„Als wir in das Boot stiegen, schlugen die Schmuggler uns alle“
Die sechs von der Ocean Viking geretteten Boote waren nach Angaben der Überlebenden von Libyen gestartet. Einige berichteten, dass sie bis zu drei Tage auf See waren, bevor sie von SOS MEDITERRANEE gerettet wurden. Die Geretteten haben an Bord von schrecklichen Misshandlungen erzählt, die sie in Libyen erlitten haben und von ihrem Fluchtversuch über das Meer.

„Als wir in das Boot stiegen, schlugen die Schmuggler auf alle ein. Sie hatten Gewehre, die größer waren als mein Arm. Das Wasser und der Treibstoff gingen uns dann schnell aus. Wir hatten kein Satellitentelefon, wir konnten niemanden kontaktieren. Irgendwann sahen wir ein leeres Boot mitten auf dem Meer. Vielleicht hattet ihr die Menschen gerettet, vielleicht wurden sie von den Libyern zurückgebracht. In dem leeren Boot fanden wir kleine Wasserflaschen und einen Benzinkanister. Und so sind wir weitergefahren und haben gebetet und gebetet, und Gott sei Dank habt ihr uns gefunden“, berichtet Zidane*, ein 31-jähriger Schriftsteller aus dem Jemen. Zidane verbrachte 17 Stunden im Laderaum eines Holzbootes, zusammengepfercht unter Deck mit etwa 24 anderen Menschen. Er wurde am 1. August von SOS MEDITERRANEE gerettet, nachdem die Sea-Watch 3 das Boot entdeckt hatte.

Trotz zahlreicher Versuche, die Seebehörden in allen Phasen der Rettungseinsätze einzuschalten, wurde keine der sechs von SOS MEDITERRANEE durchgeführten Einsätze von den Rettungsleitstellen koordiniert. Alle Rettungseinsätze fanden in internationalen Gewässern statt, vier in der libyschen Such- und Rettungsregion (SRR), einer in der tunesischen und einer in der maltesischen.

SOS MEDITERRANEE wiederholt die dringende Forderung nach mehr von europäischen Staaten geleiteten Such- und Rettungskapazitäten und einer effektiven Koordinierung von Such- und Rettungsmaßnahmen auf See. „Die europäische Solidarität ist von entscheidender Bedeutung“, betont Luisa Albera. „Menschenleben hängen von ihr ab!“ *Name geändert

HINTERGRUND:
Auch die von der zivilen Seenotrettungsorganisation Sea-Watch geretteten mehr als 250 Menschen an Bord der Sea-Watch 3 benötigen dringend einen sicheren Hafen, nachdem bereits mehrere medizinische Notevakuierungen nötig waren. Hunderte weiterer Menschen wurden am Montag als in Seenot geraten gemeldet. Das zivile Beobachtungs-Segelboot Nadir von ResQship hat mehrere Boote in Seenot unterstützt. Zwei Personen in kritischem Zustand wurden an Bord der Nadir lebensrettend behandelt, wobei ein Mann von einem Sanitäter wiederbelebt werden musste, bevor sie schließlich nach Malta evakuiert werden konnten. Die meisten Menschen auf den Booten in Seenot wurden Berichten zufolge von der italienischen, maltesischen und tunesischen Küstenwache gerettet – Stunden nachdem die Nichtregierungsorganisationen auf ihre Notlage aufmerksam gemacht und Notrufe gesendet hatten. (SOS Mediterrannee)