Nach zwei Jahren haben in Uganda die Schulen wieder geöffnet. Die Schließung hat die Ungleichheit im Land verschärft: Interview mit Geraldine Kabami, Senior Program Manager der Friedrich-Ebert-Stiftung in Uganda.
Vergangene Woche wurden in Uganda die Schulen wieder geöffnet, nachdem sie wegen der Pandemie fast zwei Jahre lang geschlossen waren. Über zehn Millionen Schülerinnen und Schüler mussten zu Hause bleiben. Wie waren die letzten beiden Jahre für die Kinder und ihre Eltern?
Sowohl für die Kinder als auch für ihre Eltern war es sehr schwer – insbesondere für jene Eltern, die ihre Einkommensquelle verloren haben. Zwei von zehn ugandischen Kindern hatten 2021 laut offiziellen Angaben durchschnittlich weniger als eine Mahlzeit pro Tag, da sie keinen Zugang zu Schulspeisungsprogrammen mehr hatten.
In Uganda sind Internate sehr verbreitet. Wenn die Kinder in Internaten sind, können ihre Eltern Geld sparen. Während der Schulsemester, die jeweils vier Monate dauern, werden dort alle Kosten für die Kinder gedeckt. Nur während der zwei- oder dreiwöchigen Schulferien müssen die Eltern diese selbst tragen. Für Familien mit mehreren Kindern war die Schulschließung während der Pandemie also auch eine sehr teure Herausforderung. Sie mussten zwei lange Jahre alle Alltagskosten der Kinder übernehmen.
Es mag absurd klingen, aber die meisten Eltern hatten auch Angst, ihren Kindern könnte zu Hause etwas passieren. Denn die Schulen werden allgemein als sicherere Orte betrachtet. Teilweise sind die Kinder lange alleine, weil die Eltern arbeiten müssen. In den letzten beiden Jahren gab es eine erhebliche Zunahme von Teenager-Schwangerschaften und auch eine Häufung der Fälle von Kindesmissbrauch. Es war völlig unklar, wann die Schulen wieder öffnen würden. Für viele Kinder war die endlose häusliche Isolation eine traumatische Erfahrung.
In keinem anderen Land waren die Schulen so lang geschlossen. Was steckte dahinter? War Uganda besonders hart von der Covid-Pandemie betroffen?
Die Fallzahlen waren nicht so hoch wie in den Nachbarländern. Dass Uganda weniger stark betroffen war, könnte tatsächlich an den strengen Kontrollmaßnahmen wie Sperrstunden, Schulschließungen und langen Lockdowns gelegen haben. Genau diese Maßnahmen haben allerdings auch dazu geführt, dass viele Menschen ihre Arbeitsplätze und Erwerbsmöglichkeiten verloren haben. Sie blieben zwar gesund, wurden aber ärmer. Ein Motiv für die extrem lange Schulschließung war wahrscheinlich auch, dass die Bildungs- und Gesundheitssysteme nicht darauf vorbereitet waren, mit hohen Ansteckungsraten in den Schulen umzugehen.
Sogar im Vergleich mit anderen wenig entwickelten afrikanischen Ländern ist die Internet-Breitbandabdeckung in Uganda minimal. Viele Haushalte haben noch nicht einmal Strom. So konnte die Mehrheit der Kinder vermutlich auch nicht online unterrichtet werden. Gab es andere Lernmethoden?
Online-Lernen und Homeschooling waren tatsächlich auf eine Minderheit beschränkt, die es sich leisten konnte. Die meisten Schüler im Land wurden im Stich gelassen oder hatten bestenfalls die Möglichkeit, Lernprogramme im Radio oder Fernsehen zu nutzen – obwohl mancherorts auch der Zugang zu diesen Geräten und die regelmäßige Stromversorgung eingeschränkt waren. Diese alternativen Lernformen waren eher in den städtischen Gebieten verfügbar. Obwohl die Regierung versucht hat, in den zwei Jahren für mehr als zwei Millionen Schülerinnen und Schüler Lernmaterialien zu drucken, konnten diese nicht flächendeckend verteilt werden. So gingen die meisten von ihnen, die arm sind oder auf dem Land leben, leer aus.
Außerdem interessierten sich viele Schülerinnen und Schüler auch schlicht nicht für diese nicht-interaktiven Lernmethoden. Dies hat gemeinsam mit fehlenden Materialien und stärkerer häuslicher Belastung dazu beigetragen, dass viele Kinder in den letzten beiden Jahren überhaupt nichts gelernt haben.
Die ugandischen Behörden warnen, dass mindestens 30 Prozent der Schülerinnen und Schüler der Schule auch zukünftig fernbleiben könnten. Was sind die Gründe dafür? Welche Gruppen sind hiervon am stärksten betroffen?
Tatsächlich könnte es sein, dass ein erheblicher Anteil der zehn Millionen betroffenen Schülerinnen und Schüler in Grund- und weiterführenden Schulen nie mehr zum Unterricht kommen wird. Viele Mädchen wurden schwanger oder haben geheiratet. Viele Jugendliche haben informelle Beschäftigungen als Landarbeiter oder Haushaltsangestellte, Bodaboda-Fahrer – das sind Motorradtaxis – oder Straßenhändler gefunden. In manchen Fällen haben die Kinder das Interesse an der Schule verloren, in anderen können die Eltern das Schulgeld nicht mehr aufbringen, weil ihnen während der Pandemie das Einkommen weggebrochen ist.
Es gab zwar Bemühungen, schwangeren Mädchen einen erneuten Schulbesuch zu ermöglichen. Diese sind aber insbesondere bei Kirchenfunktionären auf Widerstand gestoßen. So werden die meisten dieser Mädchen der Schule fernbleiben. Durch den unterschiedlichen Zugang zu Lernmöglichkeiten während der letzten beiden Jahre hat sich auch die Lücke zwischen der städtischen Mittelklasse und den Armen auf dem Land vergrößert. Dies könnte dazu führen, dass mehr städtische als ländliche Kinder in die Schule zurückkehren und die Alphabetisierungslücke zwischen Stadt- und Landbewohnern wieder größer wird.
Bereits vor der Pandemie gab es in Uganda erhebliche sozioökonomische Ungleichheit. Während der Pandemie stieg die Armutsquote um über zehn Prozent. Welche Folgen wird die lange Schulschließung für die ugandische Gesellschaft haben?
Wegen der hohen Abbrecherquote werden künftig mehr Menschen in der informellen und prekären Wirtschaft arbeiten. Außerdem wird die Schulschließung einen dauerhaften negativen Einfluss auf das Alphabetisierungsniveau und die Vermögensverteilung in Uganda haben.
Kindesmissbrauch, frühes Heiraten und die emotionale Belastung durch eine so lange Schließung hat die mentale Gesundheit sowohl der Kinder als auch der Eltern langfristig verschlechtert. Meine eigenen Kinder hatten es wirklich satt, zu Hause zu bleiben, und waren über jede Möglichkeit, Verwandte oder Freunde zu besuchen, begeistert. Weil sie zu Hause lernen mussten, wurde ihre Wohnung für sie zum Gefängnis und ihre Mutter zur Wärterin.
Auf welche Strategien setzt die ugandische Regierung, um den Kindern bei der Rückkehr zur Schule zu helfen?
Alle Lehrerinnen und Lehrer müssen, bevor sie wieder arbeiten dürfen, geimpft sein. Momentan sind es aber nur etwa 60 Prozent. Auch für Schülerinnen und Schüler über 18 Jahre gibt es eine Impfpflicht. Außerdem versucht die Regierung, Programme zur Unterstützung notleidender Privatschulen aufzustellen, damit diese wieder öffnen können. Dazu gehört beispielsweise, die Lizenzpflicht dieser Schulen auszusetzen oder mit Privatbanken zinsfreie Schulkredite auszuhandeln. Für die staatlichen Schulen muss die Regierung mehr Mittel bereitstellen, um für die nötige Infrastruktur und ausreichende Lehrmittel zu sorgen, damit entsprechend den Richtlinien fachgerecht unterrichtet werden kann.
Uganda war 1997 eines der ersten afrikanischen Länder, das eine kostenlose Grundschulausbildung eingeführt hat. Droht das Land nun hinter seine früheren Errungenschaften zurückzufallen? Steht ihm eine „verlorene Generation“ bevor?
Die zweijährige Schließung hat tatsächlich die Lese-, Schreib- und Rechenkenntnisse einer ganzen Generation beeinträchtigt. Zudem laufen viele dieser Kinder, wie gesagt, Gefahr, nicht mehr in die Schule zurückzukehren. Wie hoch ihre Zahl letztlich sein wird, wird auch den Ausschlag dafür geben, ob wir als Land in ein paar Jahren unser Potenzial erreichen. Ich möchte alle religiösen und kulturellen Führungspersönlichkeiten in Uganda dazu aufrufen, ihren Einfluss und ihre Plattformen dazu zu nutzen, die Eltern zu ermutigen, ihre Kinder wieder zur Schule zu schicken – insbesondere die Mädchen, anstatt sie dafür zu bestrafen, dass sie schwanger wurden.
Wurden Lehrkräfte und andere Schulangestellte während der Schließung bezahlt? Werden die meisten von ihnen in den Schuldienst zurückkehren oder haben viele jetzt eine andere Arbeit?
Die meisten Lehrerinnen und Lehrer wurden während der Schließungen entlassen oder nicht bezahlt, insbesondere in den Privatschulen. Ein paar wurden für die Online-Lernprogramme eingesetzt. Viele gingen aber auch in andere Bereiche wie die Landwirtschaft oder den Einzelhandel, wurden Privatlehrer oder Bodaboda-Fahrer – Alternativen, die ihnen ein besseres Einkommen bieten als der Lehrberuf. Diese Lehrerinnen und Lehrer kehren vielleicht nie mehr in ihren alten Beruf zurück. Wenn die Behörden jetzt die Schulen wieder öffnen, stehen sie vor einem massiven Lehrermangel. (Quelle: IPG-Journal, Foto: tobie on Unsplash)