Marokko: Vier Jahre Gefängnis für einen Journalisten wegen Beleidigung des Königs

Marokko: Vier Jahre Gefängnis für einen Journalisten wegen Beleidigung des KönigsDer militante marokkanische Journalist Rabie Al Ablaq ist am Montag, den 25. April, wegen Beleidigung des Königs verurteilt worden. Laut Human Rights Watch wurde er wegen der Veröffentlichung von zwei Videos strafrechtlich verfolgt.

Die Vorgeschichte:
Am 11. April 2022 wurde Rabie al-Ablaq vor einem Gericht in der Stadt Al Hoceïma im Norden des Landes angeklagt. Die Anklage geht auf zwei Videos zurück, die auf Facebook und YouTube veröffentlicht wurden und in denen al-Ablaq den König in einem vertraulichen Ton ansprach und den Kontrast zwischen seinem persönlichen Reichtum und der weit verbreiteten Armut in Marokko hervorhob. „Kein Recht ist grundlegender als das Recht, jeden zu kritisieren, der die Macht innehat, und sei es ein König“, sagte Eric Goldstein, stellvertretender Leiter der Abteilung Naher Osten und Nordafrika bei Human Rights Watch. „Marokko sollte aufhören, Oppositionelle wie Rabie al-Ablaq nach einem Gesetz zu verfolgen, das de facto ein Gesetz gegen ‚Majestätsbeleidigung‘ ist.“

Der 35-jährige Al-Ablaq war im Hirak aktiv, einer Straßenbewegung, die gleiche wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte für die Menschen im Rif-Gebiet im Norden des Landes forderte. Der Hirak organisierte 2016 und 2017 gewaltfreie Massenproteste, bevor Polizeirepressionen der Bewegung ein Ende setzte. Etwa 500 Aktivisten wurden zu Haftstrafen verurteilt. Die meisten wurden inzwischen freigelassen, aber mehrere Anführer der Bewegung verbüßen noch immer Haftstrafen von bis zu 20 Jahren. Al-Ablaq, der zu den Verfolgten gehörte, verbrachte drei Jahre im Gefängnis, bevor er 2020 freigelassen wurde.

Am 21. September 2021 veröffentlichte al-Ablaq auf Facebook und YouTube ein Video mit einem politischen Kommentar, kurz nachdem die Rassemblement National des Independants, eine politische Partei unter der Führung des wohlhabenden Geschäftsmanns Aziz Akhannouch, bei den Parlamentswahlen in Marokko eine Mehrheit der Sitze errungen hatte. Al-Ablaq veröffentlichte ein weiteres Video am 9. November, als König Mohammed VI. gerade Akhannouch zum Regierungschef ernannt hatte.

In diesen Videos bezeichnet al-Ablaq den Monarchen mit „Herr Mohammed Alaoui, der das Amt des Königs bekleidet“, was in einem Land, in dem die Verfassung „Respekt und Ehrfurcht“ gegenüber dem König vorschreibt, als abfällig angesehen werden kann. Al-Ablaq erklärte außerdem, dass der König und Akhannouch „beide Milliardäre“ seien, und hinterfragte die Quelle ihres Reichtums, wobei er insbesondere laut fragte, ob dieser nicht daraus resultiere, dass sie „das Volk beraubt“ hätten.

Im März wurde al-Ablaq mehrmals auf eine Polizeistation in Al Hoceïma vorgeladen, wo ihn die Polizisten zu den Aussagen in seinen Videos befragten. Dann klagte ihn ein Staatsanwalt gemäß Artikel 179 des Strafgesetzbuchs wegen „öffentlicher Missachtung des Respekts und der Ehrfurcht, die der Person des Königs gebührt“ an.

Al-Ablaq war im Juni 2017 wegen „Verbreitung von Falschmeldungen“ und „Anmaßung des Titels eines Journalisten“ zu fünf Jahren Haft verurteilt worden, im Zusammenhang mit Kommentaren, die er auf Websites zur Unterstützung der Hirak-Proteste, die damals die Straßen besetzten, veröffentlicht hatte. Nachdem er im Gefängnis mehrere Hungerstreiks geführt hatte, wurde er vom König begnadigt und 2020 freigelassen.

Al-Ablaq erklärte, dass seine Verurteilung im Jahr 2017 auf einem Geständnis basierte, das die Polizei in Al Hoceïma unter Folter aus ihm herausgepresst hatte. Seiner Schilderung zufolge schlugen ihm die Polizisten bei Verhörsitzungen ins Gesicht, während er in Handschellen gefesselt war, und versuchten, ihn zu ersticken, indem sie ihm einen schmutzigen Wischmop in den Mund steckten. Al-Ablaq berichtete außerdem, dass maskierte Männer mehrfach gedroht hätten, ihn zu vergewaltigen, während er in einer Polizeistation in Al Hoceïma festgehalten wurde.

Ein vom Nationalen Menschenrechtsrat, einer staatlichen Organisation, beauftragter Gerichtsmediziner hatte Al-Ablaq 2017 im Gefängnis besucht. Der Arzt hatte einen – später an die Presse durchgesickerten – Bericht verfasst, in dem er behauptete, dass der Häftling „an einer tiefen Depression litt und ständig weinte“ und dass seine Anschuldigungen über Misshandlungen durch die Polizei „aufgrund ihrer Übereinstimmung und Kohärenz insgesamt glaubwürdig“ seien.

„In Marokko ist die dynamische unabhängige Presse der 2000er Jahre nur noch eine ferne Erinnerung“, sagt Eric Goldstein. „Heutzutage scheinen die Behörden eher die marokkanische Volksweisheit ‚Sprich, und du bekommst Nasenbluten‘ anzuwenden.“ (Quelle: HRW)