Parlamentswahlen in Senegal: Hauptsache dagegen!

Parlamentswahlen in Senegal: Hauptsache dagegen!Am 31. Juli 2022 wird in einer der ältesten und friedlichsten Demokratien Afrikas, ein neues Parlament gewählt. Trotz des Wirtschaftswachstums gibt es klare Tendenz gegen die Regierung. Die sozialliberale Koalition läuft Gefahr, Stimmen zu verlieren. Seit Monaten kreisen Spekulation über ein mögliches drittes Mandat des amtierenden Präsidenten, was ein Misstrauen in der Bevölkerung wachsen lässt.

Senegal mit gutem Beispiel voran

Seit der Unabhängigkeit 1960 gab es im Senegal nur friedliche Machtwechsel von demokratisch gewählten Regierungen. Transparente Wahlen sind im Senegal so normal wie in jeder europäischen Demokratie. Diese Normalität führt häufig dazu, dass allgemein wenig darüber berichtet wird.

Auch diesmal steht die Runderneuerung der 165 Sitze im nationalen Parlament an, die alle fünf Jahre durch eine Mischung aus Verhältnis- und Mehrheitswahlrecht bestimmt wird. Parlaments- und Kommunalwahlen gelten im Senegal gemeinhin als wichtige Indikatoren für die Präsidentschaftswahlen, die im Frühjahr 2024 anstehen.

Derzeit sieht es so aus, als ob die regierende sozialliberale Koalition „Benno-Bokk-Yaakar“ (BBY) unter Präsident Macky Sall herben Stimmenverlusten rechnen muss. Die Koalition läuft Gefahr von ihrer bisherigen Zwei-Drittel-Mehrheit von 125 Sitzen auf eine knappe einfache Mehrheit zurückgestutzt zu werden. Diese klare Tendenz gegen die Regierung ist umso erstaunlicher, da das Land im regionalen Kontext eigentlich sehr gut dasteht.

Mit einem kontinuierlichen Wirtschaftswachstum von eindrucksvollen sechs Prozent, das selbst durch die Covid-Krise nur kurz geschmälert wurde, gilt der Senegal seit Jahren als aufstrebende afrikanische Wirtschaft. Seit im Jahr 2000 die erste liberale Regierung unter dem damaligen Präsidenten Abdulaye Wade an die Macht kam, hat das Land große Entwicklungsfortschritte gemacht und das Bruttoinlandsprodukt nahezu vervierfacht. Der 2019 wiedergewählte liberale Präsident Macky Sall hat sich zum Ziel gesetzt, Senegal bis zum Jahr 2035 zu einem Schwellenland zu machen. Neue Infrastrukturmaßnahmen dominieren die Städte und ein anhaltender Bauboom verändert besonders die Hauptstadt Dakar immer schneller. Ab 2023 soll im Norden des Landes Öl und vor allem Gas aus Offshore-Feldern gefördert werden. Die damit einhergehende Zunahme der Staatseinnahmen werden dem Land zusätzliche Entwicklungsperspektiven öffnen. Zieht man zudem in Betracht, dass nahezu alle Nachbarländer durch Instabilität, Misswirtschaft oder bürgerkriegsähnliche Zustände gekennzeichnet sind, so sticht die fortschrittliche Sonderrolle Senegals umso mehr hervor.

Eine derartig positive Bilanz – könnte man denken – müsste der Regierung politisch in die Hände spielen, doch die Wirklichkeit sieht anders aus. Die politische Diskussion im Land kreist seit Monaten weniger um die Ergebnisse oder Verfehlungen der aktuellen Regierung, sondern wird von der Spekulation über ein mögliches drittes Mandat des amtierenden Präsidenten dominiert.

Bleibt Präsident Sall im Amt?

Präsident Salls Mandat endet im Februar 2024. Eine dritte Amtszeit wäre nach der letzten Verfassungsrevision von 2016 nicht möglich. Nur der tiefe Griff in die juristische Trickkiste würde es erlauben, seine jetzige Amtszeit als das erste volle Mandat nach 2016 zu deklarieren, womit er für eine weitere Periode zur Wahl antreten könnte.

Macky Sall hat sich dazu bisher nicht öffentlich geäußert. Er hat aber auch eine weitere Amtszeit kategorisch nicht ausgeschlossen. Einige seiner Parteifreunde betonen allerdings öffentlich immer wieder diese Möglichkeit. Auch ist ein Nachfolger bisher nicht sichtbar, was das Misstrauen in der Bevölkerung gegenüber weiteren Machtambitionen ihres Präsidenten weiter schürt. Die Tatsache, dass Macky Sall 2012 ins Amt gewählt wurde, da er sich entschlossen gegen eine weitere Amtszeit seines politischen Ziehvaters und damaligen Präsidenten, Abdulaye Wade, gestellt hatte, wiegt in den Augen vieler Wähler umso schwerer. Zusammen mit zahlreichen Beispielen aus den Nachbarländern wie Guinea, Gambia oder Côte d’Ivoire, in denen Präsidenten die Verfassungen ihrer Länder zum weiteren Machterhalt geändert oder ignoriert haben, entsteht auch im Senegal der Eindruck, dass ein weiterer afrikanischer Präsident sich nicht von der Macht lösen will.

Natürlich sind all dies bisher nur Spekulationen, doch dominieren sie den politischen Diskurs. Das beharrliche Schweigen des Präsidenten nährt diese Annahmen und spielt vor allem der Opposition in die Hände. Diese hat es meisterlich geschafft, das Thema „drittes Mandat“ für die nun anstehenden Parlamentswahlen zu besetzen. Die polarisierende Wirkung ist im laufenden Wahlkampf überall sichtbar. Das Thema ermöglicht einen Schulterschluss von immer breiteren Parteienkoalitionen, die sich dabei ideologisch fast diametral gegenüberstehen. Der Kampf gegen den gemeinsamen Gegner scheint alle Differenzen zu überbrücken.

Bestes Beispiel dafür ist die größte Oppositionskoalition „Yewwi – Wallu“. Eine Wahlkoalition, die ihrerseits wiederum aus zwei schon sehr großen politischen Koalitionen besteht, sodass sie in der senegalesischen Presse als „Inter-Koalition“ bezeichnet wird. In ihr findet sich einerseits ein buntes Gemisch populistischer und eher links einzuordnender Strömungen. Dies umfasst die PASTEF Partei des Oppositionsführers Ousmane Sonko, der seit Jahren gegen Korruption und Vetternwirtschaft der Regierung zu Felde zieht, aber auch die Nationalpopulisten der gegen Frankreich gerichteten Bewegung „France dégage“ (Frankreich hau ab). Ihre Anhänger behaupten in aller Ernsthaftigkeit, man müsse nur alle ausländischen Unternehmen – und dabei insbesondere französische – enteignen, wodurch das Armutsproblem des Landes für immer gelöst werde.

Auf der anderen Seite dieser seltsamen Wahlkoalition steht eine der ältesten liberalen Parteien Afrikas, die 1974 gegründete „Parti Democratique Senegalais“ (PDS), die ideologisch gänzlich anders verortet ist. Dazu kommen viele andere Parteien aus dem schier unerschöpflichen Parteienreservoir des Senegal, die eher als bürgerlich zu bezeichnen sind.

Es ist offensichtlich, dass dieses Sammelsurium verschiedenster Strömungen nur eine politische Momentaufnahme darstellt, die keine tragende Rolle in einem neuen Parlament spielen kann. Eigene Politikvorschläge oder Regierungskonzepte der „Yewwi – Wallu“ Koalition gibt es auch nicht. Alle Parteien betonen die Notwendigkeit eines Wechsels, ohne jedoch in irgendeiner Form konkret zu werden. Jede Partei hat zwar Überzeugungen, doch scheinen diese im Wahlkampf nur eine Nebenrolle zu spielen. Es geht zunächst darum, dagegen zu sein. Gegen die Regierung, aber vor allem gegen den Präsidenten und seine möglichen weiteren Machtambitionen, auch wenn Letzterer gar nicht zur Wahl steht.

Wie immer das Wahlergebnis dann ausfällt, es wird bestenfalls eine Interimslösung für das Parlament darstellen. Es ist davon auszugehen, dass mit den neuen Abgeordneten auch alle Karten politisch neu gemischt werden. Die senegalesische Politik ist bekannt für schnell zerfallende und wieder neu entstehende Koalitionen. Bei den Präsidentschaftswahlen im Februar 2024 wird das nicht anders sein. Bis dahin verbliebe für den amtierenden Präsidenten auch noch genügend Zeit, für seine vergleichsweise erfolgreiche Regierungsarbeit einen kompetenten Nachfolger vorzubereiten. (Jo Holden, Projektleiter der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Westafrika)