Tiertransporte nach Nordafrika: Das qualvolle Schicksal deutscher Kühe in Marokko

Tiertransporte nach Nordafrika: Das qualvolle Schicksal deutscher Kühe in Marokko
Markt in Sidi Bennour, Marokko, März 2022: Mit verbunden Augen sind die Kühe dem Markttreiben ausgesetzt. Foto: Animal’s Angels

Animals‘ Angels fordert Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir zum Handeln auf: Die Tierschutzorganisation Animals‘ Angels wendet sich in dieser Woche an Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir. Sie fordert ein nationales Exportverbot von Tieren in Hochrisikoländer, in denen es keine Tierschutzgarantien gibt. Seit Jahren dokumentiert Animals‘ Angels die Exporte von Tieren aus der EU nach Nordafrika, Zentralasien oder in den Nahen Osten. Ihre vor Ort-Berichte zeigen katastrophale Zustände, unter denen die Tiere nicht nur transportiert, sondern auch auf lokalen Märkten verkauft und geschlachtet werden. Darunter sind auch deutsche ‚Milch’kühe.

Im März 2022 ist Animals‘ Angels auf lokalen Märkten und Schlachthäusern in Marokko. Die Bilanz des Einsatzes fällt erneut ernüchternd aus: Die Situation vor Ort ist unverändert katastrophal. Es fehlt an Infrastruktur, notwendigem Fachwissen und Empathie für die Tiere.

Kranke, verletzte und völlig ausgemergelte Tiere werden auf den Märkten verkauft, verladen und transportiert. Rinder sind an ihren Hörnern und Vorderbeinen zusammengebunden und über mehrere Stunden hinweg dem chaotischen Markttreiben ausgesetzt. Sie werden – um sie gefügig zu machen – mit verbundenen Augen auf völlig ungeeignete Transportfahrzeuge geprügelt oder ins Schlachthaus geführt. Der Umgang mit den Tieren ist brutal. Nach deutschem und europäischem Recht würde er als Tierquälerei eingestuft.

Unter diesen höchst tierschutzwidrigen Bedingungen trifft Animals‘ Angels auch im März 2022 wieder auf deutsche ‚Milch’kühe. Wie Adele, eine schwarzbunte Holstein-Kuh aus Niedersachsen. Sie wurde im Februar 2019 nach Marokko exportiert, wo sie drei Jahre später von Animals‘ Angels in einem Schlachthaus bei Rabat entdeckt wird. Es ist früh morgens und draußen noch dunkel. Im Schlachthaus ist die Beleuchtung spärlich und die Arbeiter verwenden zusätzliche Stirnlampen bei den Schlachtungen. Angsterfüllt versucht Adele sich zu orientieren. Ihre Augen sind mit einem Plastiksack verbunden, als sie ins Schlachthaus geführt wird. Dort wird ihr Hinterbein an einem Seil nach oben gezogen. Mit ihren Vorderbeinen versucht sie sich abzufangen, bis sie schließlich auf die Seite fällt. Beim verzweifelten Versuch aufzustehen, schlägt sie mit dem Kopf auf dem blutverschmierten Boden auf – ihre Augen sind immer noch verbunden. Bei vollem Bewusstsein wird ihr die Kehle mit vier Schnitten durchtrennt.

Adeles Schicksal ist kein Einzelbeispiel, sondern trauriger Alltag in Marokko. Als Mitglied der Welttiergesundheitsorganisation (OIE)hat Marokko sich zur Umsetzung der internationalen Mindeststandards zum Tierschutz verpflichtet, doch in der Praxis zeigt sich, dass Tierschutz vor Ort keine Rolle spielt. Noch immer gibt es kein nationales Tierschutzgesetz; behördliche Tierschutz-Kontrollen zu Haltung, Transport und Schlachtung von ‚Nutz’tieren finden schlicht nicht statt. Die meisten Schlachtbetriebe im Land haben nicht einmal eine behördliche Zulassung.

Trotz der bekannten, eklatanten Tierschutzprobleme exportiert Deutschland ‚Zucht’rinder nach Marokko – mehr als 11.200 Tiere waren es laut Eurostat allein zwischen 2020 und 2021.

„Die EU und allen voran Deutschland müssen endlich für ihre ethischen Überzeugungen einstehen, anstatt diese immer und immer wieder wirtschaftlichen Interessen unterzuordnen“, fordert Helena Bauer, Einsatzleiterin bei Animals‘ Angels. „Es ist hinlänglich bekannt, was den Tieren vor Ort widerfahren kann – doch sehenden Auges schickt Deutschland seine Tiere weiterhin in Länder, in denen ihnen noch nicht einmal ein Mindeststandard an Schutz gewährleistet werden kann. Marokko ist nur ein Beispiel unter vielen. Wie viele Dokumentationen und Augenzeugenberichte von gequälten Tieren braucht es noch, bis die Politik endlich aktiv wird und ein Exportverbot durchsetzt?“

Rechtliche Gutachten bestätigen, dass ein Exportverbot nicht nur rechtlich möglich, sondern auch EU- und verfassungsrechtlich geboten ist. Auch der Bundesrat erklärte „weitere Maßnahmen für erforderlich, um in Drittländer exportierte landwirtschaftliche Nutztiere auch nach Abschluss des Transportes vor tierschutzwidrigen Behandlungen zu schützen“. Der Ausschuss für Agrarpolitik und Verbraucherschutz sprach sich daraufhin für ein entsprechendes Transportverbot in Hochrisikoländer außerhalb der EU aus. Aktuell forderten die Bundesländer bei der Agrarministerkonferenz Anfang April 2022 den Bund erneut zur Umsetzung eines nationalen Exportverbots in bestimmte Nicht-EU-Länder auf.

In einem Schreiben mit umfassenden Dokumentationen über die im März 2022 gefundenen deutschen und europäischen Kühe in Marokko fordert Animals‘ Angels den Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir zum Handeln auf. Das nationale Exportverbot lebender Tiere in Staaten ohne Tierschutzgarantien ist überfällig. (Animals Angels, Text + Foto)