Über 100 Unternehmen in Afrika, Asien und Lateinamerika könnten mRNA-Impfstoffe gegen COVID-19 herstellen!

Über 100 Unternehmen in Afrika, Asien und Lateinamerika könnten mRNA-Impfstoffe gegen COVID-19 herstellen!Die neue COVID-19-Variante macht noch einmal deutlich, wie gefährlich der extrem ungleiche Zugang zu Corona-Impfstoffen und die Konzentration der Produktion in den USA und Europa ist, so Human Rights Watch (HRW) heute. Angesichts einer heute von Expert*innen veröffentlichten neuen Liste mit mehr als 100 Unternehmen in Afrika, Asien und Lateinamerika, die Kapazitäten zur Herstellung von mRNA-Impfstoffen haben, forderten Human Rights Watch und andere Organisationen die Bundesregierung und die US-amerikanische Regierung in einem Schreiben auf, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.

Die Liste macht deutlich, dass eine ausgeweitete Produktion von mRNA-Impfstoffen außerhalb der USA und Europas möglich ist. Sie zeigt auch, dass die Unternehmen, die sichere und wirksame mRNA-Impfstoffe gegen das Coronavirus entwickelt haben, ihr Know-how und ihre Technologie nicht in ausreichendem Maße an Hersteller weitergeben, die entsprechende Produktionskapazitäten haben. Die deutsche Bundesregierung und die US-amerikanische Regierung sollten alle verfügbaren Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass die Hersteller von Corona-Impfstoffen ihre Technologie schnellstmöglich an andere Hersteller aus Afrika, Asien und Lateinamerika mit entsprechenden Kapazitäten weitergeben, sowie an den mRNA-Impfstofftechnologietransfer-Hub der Weltgesundheitsorganisation.

„Prognosen für die globale Impfstoffproduktion, wonach bald genug COVID-19-Impfstoffe für die ganze Welt zur Verfügung stehen werden, sind irreführend“, sagte Aruna Kashyap, stellvertretende Direktorin für Wirtschaft und Menschenrechte bei Human Rights Watch. „Die Regierungen der USA und Deutschlands sollten auf einen Technologietransfer auf breiter Ebene drängen und nicht zulassen, dass Unternehmen entscheiden, wie und wo genau in einem Großteil der Welt lebensrettende Impfstoffe und Behandlungen eingesetzt werden, während gleichzeitig das Virus mutiert.“

Die Diversifizierung und Ausweitung der weltweiten Produktion in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen durch die gemeinsame Nutzung von Wissen und Technologie, insbesondere für mRNA-Impfstoffe, würde dazu beitragen, die Impfstoffversorgung zu sichern, damit alle Länder weltweit gemeinsam auf die Pandemie reagieren können.

Die Liste potentieller Hersteller von mRNA-Impfstoffen wurde vom Koordinator des AccessIBSA-Projekts zusammengestellt, das auf den Zugang zu Arzneimitteln in Indien, Brasilien und Südafrika abzielt, sowie einem Impfstoffexperten der Kampagne für Zugang zu essentiellen Arzneimitteln von Ärzte ohne Grenzen (Médecins Sans Frontières).

Der extrem ungleiche Zugang zu Corona-Impfstoffen und die weltweiten Versorgungsengpässe bedrohen die Gesundheit, das Leben und die Lebensgrundlagen der Menschen, während gleichzeitig das Auftreten neuer Virusvarianten droht. Bis zum 29. November haben Länder mit niedrigem Einkommen nur 0,6 Prozent der weltweit verfügbaren Impfstoffe erhalten. Aus Daten, die Airfinity, ein Marktanalyseunternehmen für Biowissenschaften, erhoben und die die People’s Vaccine Alliance veröffentlicht hat, geht hervor, dass die große Mehrheit der Impfstoffe von BioNTech-Pfizer, Moderna und J&J an Länder mit hohem Einkommen ging.

Unternehmen sind dem Schutz der Menschenrechte verpflichtet und sollten daher ihr Know-how und ihre Technologie an andere Länder weitergeben, damit die Welt schneller einen Weg aus der Pandemie findet und besser gegen neue Pandemien gewappnet ist, so HRW.

Die US-amerikanische Regierung stellte Moderna und dem Unternehmen J&J, das einen Vektorimpfstoff herstellt, jeweils rund 1 Milliarde US-Dollar an öffentlichen Mitteln für die Erforschung und Entwicklung von Corona-Impfstoffen zur Verfügung. Das National Institutes of Health, eine US-amerikanische Behörde für die biomedizinische Forschung, finanzierte die grundlegenden Innovationen, die die Corona-Impfstoffe von Moderna und Pfizer-BioNTech möglich machten. Die US-Regierung sicherte sich auch einen frühzeitigen Zugriff auf die Impfstoffe von Pfizer, Moderna und J&J.

Die Bundesregierung hat BioNTech erhebliche Mittel für die weitere Erforschung und Entwicklung seines mRNA-Impfstoffs gegen COVID-19 mit Pfizer zur Verfügung gestellt. Die Bundesregierung und die US-amerikanische Regierung müssen diese Unternehmen jetzt dazu anzuhalten, ihr Wissen und ihre Technologie stärker zu teilen, so Human Rights Watch.

Die Liste der über 100 Unternehmen, die über mögliche Kapazitäten zur Herstellung von mRNA-Impfstoffen verfügen, folgt auf eine von der New York Times veröffentlichte Liste von 10 möglichen Herstellern von mRNA-Impfstoffen. Indische zivilgesellschaftliche Organisationen haben zudem eine Liste potenzieller Hersteller zusammengestellt, um die Produktion des J&J-Impfstoffs auszuweiten.

„Es gibt über 100 Unternehmen in Afrika, Asien und Lateinamerika, die in der Lage sind, einen mRNA-Impfstoff herzustellen“, sagte Achal Prabhala vom AccessIBSA-Projekt. „Diese Unternehmen können die gravierende Ungleichheit bei der Versorgung mit mRNA-Impfstoffen in armen Ländern überbrücken. Alles, was es dazu braucht, ist, dass die deutsche und US-amerikanische Regierung ihre Monopole beenden und die wertvolle Technologie offenlegen, die sie finanziert und damit geschaffen haben.“

Potenzielle Hersteller brauchen Zugang zu geistigem Eigentum, Impfstofftechnologie und Materialien, damit der Rest der Welt einen gerechteren Zugang zu Impfstoffen erhält und das Virus mit ausreichend Impfstoffen schneller in den Griff bekommt. Der Vorschlag Indiens und Südafrikas, bestimmte globale Regeln zum Schutz geistigen Eigentums für COVID-19-bezogene Technologien zeitweise auszusetzen oder aufzuheben, ist in der Welthandelsorganisation jedoch weiterhin blockiert.

Eine Ausnahmeregelung würde es Regierungen ermöglichen, bei der Herstellung von Impfstoffen, Behandlungen und Tests im Kampf gegen das Coronavirus zusammenzuarbeiten, ohne handelsbezogene Vergeltungsmaßnahmen befürchten zu müssen. Über 60 Regierungen aus Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen unterstützen den Vorschlag. Die US-Regierung hat bereits ihre Unterstützung für eine Ausnahmeregelung signalisiert. Regierungen von Ländern mit hohem Einkommen, darunter Deutschland und die Europäische Kommission, haben die Ausnahmeregelung von Anfang an blockiert. Diese Regierungen sollten ihren Widerstand gegen die TRIPS-Ausnahmeregelung sofort aufgeben und sich für eine rasche Verabschiedung einsetzen, so Human Rights Watch.

Zivilgesellschaftliche Gruppen auf der ganzen Welt, darunter die People’s Vaccine Alliance und ihre Mitglieder, haben sowohl die TRIPS-Ausnahmeregelung als auch einen breiten Technologietransfer gefordert. UN-Expert*innen forderten unter anderen die US-amerikanische und die deutsche Bundesregierung in einem Schreiben vom 14. Oktober auf zu erklären, in welcher Form sie „das Horten von Impfstoffen vermeiden und die weltweite Beschaffung und Verteilung von Impfstoffen sicherstellen“ wollen. Dazu gehört auch die Stärkung der Kapazitäten von Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen, damit diese „Impfstoffe selbst herstellen können“.

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) werden weltweit jeden Tag sechsmal mehr Auffrischungsimpfungen verabreicht als Erstdosen in Ländern mit niedrigem Einkommen.

Die vom internationalen Pharmaverband IFPMA in Auftrag gegebenen Prognosen zur weltweiten Herstellung von COVID-19-Impfstoffen, nach denen es angeblich bald genügend Impfstoffe auf der ganzen Welt geben wird, sind irreführend. Die Impfstoffherstellung ist seit jeher hinter den Prognosen zurückgeblieben. Im September gab COVAX, die globale Initiative zur Beschaffung von Impfstoffen, bekannt, dass die für 2021 prognostizierten Liefermengen von Impfstoffen um 25 Prozent gesenkt werden.

Diese Prognosen basieren nicht auf einer Aufschlüsselung, in welchen Ländern bestimmte Impfstoffe zugelassen sind, was wiederum bestimmt, wie und wo sie verteilt werden können. Die Prognosen berücksichtigen auch nicht die zusätzlichen Dosen, die für Auffrischungsimpfungen, die Impfung von Kindern oder für neue Varianten benötigt werden, sowie die Dosen, die durch Verschwendung verloren gehen. Diese Faktoren erhöhen die weltweite Nachfrage erheblich.

Bis zum 12. Oktober 2021 hatten die Regierungen einkommensstarker Länder gemeinsam zugesagt, 1,8 Milliarden Impfdosen zu spenden, aber nur 14 Prozent davon sind geliefert worden, wie die Daten von Airfinity, die die People’s Vaccine Alliance veröffentlicht hat, belegen.

Am 29. November erklärten der African Vaccine Acquisition Trust (AVAT), die Africa Centres for Disease Control and Prevention (Africa CDC) und COVAX, dass „die meisten der bisherigen Spenden ad hoc und mit wenig Vorankündigung erfolgten und dass die Dosen nur eine kurze Haltbarkeitsdauer hatten“. Die fehlende Transparenz hinsichtlich der geplanten Liefertermine macht es für Regierungen, COVAX und andere Beschaffungsstellen unmöglich, eine entsprechende Verteilung der Impfstoffe zu planen.

Die Zusagen der Regierungen sind unzureichend, da ein Ansatz, der lediglich eine Umverteilung von Dosen vorsieht, die pharmazeutischen Produktionskapazitäten in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen nicht erhöht und diversifiziert, so Human Rights Watch. Die US-amerikanischen und deutschen Impfstoffentwickler sind in hohem Maße von der US-amerikanischen und europäischen Produktion abhängig. Die Beschränkung des Technologietransfers in die USA und nach Europa führt zu einer erheblichen Verzerrung der globalen Lieferkette und macht den Zugang zu Impfstoffen unsicher und unberechenbar.

Bislang hat sich keines der Unternehmen den Initiativen der Weltgesundheitsorganisation zur Bündelung und gemeinsamen Nutzung von geistigem Eigentum angeschlossen, und eine Beteiligung von Pfizer, BioNTech und Moderna am mRNA-Impfstofftechnologietransfer-Hub der WHO steht ebenfalls noch aus.

Die jüngsten Ankündigungen von Moderna und BioNTech, Anlagen zur Produktion von mRNA-Impfstoffen in Afrika zu errichten, sind kein Ersatz für eine umfassendere Lizenzvergabe und einen Technologietransfer an kompetente Hersteller sowie für die Teilnahme am mRNA-Impfstofftechnologietransfer-Hub. Moderna nannte weder einen Standort für seine Anlage noch einen Termin für deren Inbetriebnahme. BioNTech erklärte, dass es Mitte 2022 mit dem Bau von Anlagen in Ruanda und Senegal beginnen wird.

Der Plan der US-Regierung, die inländische Impfstoffherstellung in der zweiten Jahreshälfte 2022 auszubauen, verstärkt die Abhängigkeit von der US-amerikanischen Produktion und den Impfstoffspenden nur noch zusätzlich.

Human Rights Watch befragte die drei US-amerikanischen Unternehmen zwischen April und August 2021 in mehreren Schreiben umfassend zu ihrer Politik und ihren Praktiken in Bezug auf die Verfügbarkeit und Erschwinglichkeit von Impfstoffen. Pfizer antwortete auf zwei Schreiben von Human Rights Watch. Moderna antwortete zwar auf das erste Schreiben, verweigerte jedoch eine Antwort auf das zweite. J&J reagierte auch auf wiederholte Nachfragen nicht. Human Rights Watch schloss sich zudem einer großen Gruppe von zivilgesellschaftlichen Organisationen und Einzelpersonen an, die sich im Dezember 2020 schriftlich an diese Unternehmen wandte.

Pfizer zufolge sind „nur wenige Einrichtungen auf der Welt in der Lage, die zentralen Schritte zur Herstellung von mRNA-Impfstoffen durchzuführen, und sie verfügen nicht über die nötigen Inputs zur Herstellung dieser Impfstoffe in großem Maßstab“. Pfizer erklärte, dass es „freiwillige Initiativen zur Erweiterung des Pools der verfügbaren Ressourcen und Optionen begrüßt, da sie einen gerechten Zugang zu COVID-19-Therapien und -Impfstoffen fördern, und dass [es sich] weiterhin zu einem konstruktiven Dialog mit allen Parteien“ verpflichtet.

Moderna teilte mit, dass es „keine Kenntnis von ungenutzten Kapazitäten zur Herstellung von mRNA-Impfstoffen“ habe, sich aber verpflichtet fühle, „zusätzliche Partnerschaften auf der ganzen Welt anzustreben, um die Produktion und Lieferung seines Impfstoffs zu beschleunigen“. Einer kürzlich durchgeführten Studie der Kampagne für Zugang zu essentiellen Arzneimitteln von Ärzte ohne Grenzen zufolge würden Pfizer und Moderna drei bis sieben Monate für einen Technologietransfer und den Beginn der Lieferung von Impfstoffen aus neuen Anlagen brauchen.

Expert*innen, die sich mit der Frage des Zugangs zu Impfstoffen befassen, haben die restriktiven Lizenzierungspraktiken von J&J und die Entscheidung, Millionen von in Südafrika produzierten Impfstoffdosen nach Europa zu exportieren, kritisiert. J&J ließ die Fragen von Human Rights Watch zu seiner Politik und Praxis unbeantwortet.

„Die Welt braucht jetzt eine entschlossene und transformative Führung durch die Regierungen der USA und Deutschlands“, sagte Margaret Wurth, Senior Researcher bei Human Rights Watch. „Die Staats- und Regierungschefs haben wiederholt Solidarität, Zusammenarbeit mit der Weltgemeinschaft und eine intelligente Reaktion auf COVID-19 versprochen. Dieses Versprechen müssen sie dringend einhalten.“ (HRW)