Verstärkte öffentliche Präsenz für muslimische Frauen in Niger: Predigerinnen, audiovisuelle Medien und die Konstruktion von religiöser Autorität

Verstärkte öffentliche Präsenz für muslimische Frauen in Niger: Predigerinnen, audiovisuelle Medien und die Konstruktion von religiöser Autorität
Niamey – Foto: Adamaou Fodi Salahadine/Wikipedia

In einem kürzlich erschienenen Beitrag in „The Routledge Handbook of Islam and Gender“ zeigt Dr. Abdoulaye Sounaye, wie muslimische Frauen durch Auftritte in Fernseh- und Radioshows eine verstärkte öffentliche Präsenz im urbanen Raum Nigers erlangen. Dort werben sie nicht nur für das Predigen durch Frauen, sondern diskutieren auch über Frauenrechte und ihre Rolle in der Gesellschaft. Sounaye kommt zu dem Schluss, dass der theologische Standpunkt dieser Frauen eine säkulare und liberale feministische Agenda behindern könnte, aber ihre Präsenz zeigt dennoch, dass sie imstande sind, die öffentlichen Debatten zu beeinflussen und eine Autorität gegen bestimmte Geschlechterrollen zu konstruieren.

Die Liberalisierung der Medien Mitte der 1990er Jahre führte zu einer wachsenden Zahl von Medienangeboten in Nigers Hauptstadt Niamey. Diese Medien wurden von verschiedenen Akteuren betrieben, unter anderem von männlichen muslimischen Führern, die diese Plattformen nutzten, um ihre religiöse Reformagenda voranzutreiben. Frauen traten nur selten auf, da ihr traditioneller Platz im häuslichen Bereich gesehen wurde. In jüngerer Zeit traten jedoch zunehmen mehr muslimische Frauen in Fernsehen und Radio in Niamey auf. Dies lässt sich einerseits mit der wachsenden Rolle von Religion in der Gesellschaft erklären, was durch ein engagiertes Publikum (vor allem Hausfrauen und Jugendliche), das sein Wissen über den Islam verbessern möchte, veranschaulicht wird. Andererseits bieten die Entwicklung und Verfügbarkeit von technischer Infrastruktur einer breiteren Öffentlichkeit Zugang zu den Medien. Mit ihrer Medienpräsenz wollen die sogenannten „Malama“ die „Sunna“ (Tradition des Propheten Muhammad) populär machen, eine Verantwortung, die nach Ansicht der Aktivistinnen von allen MuslimInnen, unabhängig von ihrem Status, übernommen werden muss. Doch die Inhalte der Programme reichen viel weiter: Die Malama regen auch Diskussionen zum Familienrecht, zu Frauenrechten und zur muslimischen Geschlechterpolitik an.

Für seine Recherche führte Sounaye von 2016 bis 2018 Interviews und Feldbeobachtungen in Niamey durch. Zwei Interviews mit sehr beliebten Predigerinnen werden in dem Kapitel hervorgehoben. Eine dieser Frauen ist Malama Bushara, eine junge Akademikerin. Sie vertritt einen anti-hegemonialen Standpunkt und ruft Frauen aktiv dazu auf, den Koran zu lernen und ihn wiederum anderen Frauen zu lehren. Bushara sieht ihr Handeln als einen Beitrag zur Religion selbst, aber sie macht sich auch Sorgen um die Stellung der Frau in der Gesellschaft. Im Interview sprach sie an, dass viele Männer gegen ihre Auftritte sind und sogar versuchen, sie und andere Frauen zu behindern, wie sie und eine Freundin es selbst auf einer Konferenz erleben mussten: „Ich denke, das kann als [männliche] Eifersucht interpretiert werden […] Diejenigen, die gegen die Predigten der Frauen sind, haben keine Argumente […] sie können keine stichhaltigen Gründe für dieses Verbot liefern.“

Obwohl die traditionellen muslimischen Institutionen gegen das Predigen durch Frauen sind, kann deren Popularität in der Gesellschaft nicht geleugnet werden. „Die Demokratisierung hat die Grundlage für solche Prozesse geliefert, die Ausbreitung der Medien eine Bühne und das Unternehmertum der Frauen schließlich ihr Handeln vorangetrieben“, schreibt Sounaye. Diese neu auftretende Gestaltung von Medien und Religion gibt auch einen guten Einblick in gesellschaftliche, historische und ideologische Entwicklungen im heutigen Niger. Wie auch die jüngsten Parlamentswahlen am 13. Dezember 2020 und 21. Februar 2021 zeigen, ist dies nur eine Veranschaulichung der wachsenden öffentlichen und politischen Rolle, die Frauen im Land einnehmen.

Dr. Abdoulaye Sounaye ist Leiter des Forschungsbereichs „Umstrittene Religion“ am Leibniz-Zentrum Moderner Orient in Berlin. Außerdem leitet er eine Leibniz-Nachwuchsgruppe, die sich mit dem Thema „Religion, Moral und Boko in Westafrika: Studentische Laufbahnen für ein gutes Leben (REMOBOKO)“ beschäftigt. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf Religiosität, Salafismus, Säkularismus, Jugend und Gesellschaft in Westafrika. (PM idw)