Fotograf und Videokünstler Andréas Lang gelingt es, als Künstler auf den Spuren seines Urgroßvaters aus Kamerun ein Bild von der Realität in den Kolonien zu entwerfen.
Vor 15 Jahren hat der Fotograf und Videokünstler Andréas Lang Fotografien und ein Tagebuch seines Urgroßvaters gefunden. Der Urgroßvater Reinhold Knoblich diente von 1909 bis 1914 bei der sogenannten Schutztruppe der deutschen Kolonie Kamerun. Mit der intensiven Erforschung der eigenen Familiengeschichte hat sich Lang mit unserer Kolonialgeschichte auseinandergesetzt.
Seine erste Reise ging 2012 in den extremen Norden Kameruns, um nach den Erzählungen seines Urgroßvaters, Reinhold Knoblich, die Relikte und Ruinen des Kolonialismus, Friedhöfe, Sumpfgebiete und Urwälder zu fotografieren.
Seine zweite Reise folgte der Route der deutsch-französischen Grenzexpedition 1912/13 (Marokko-Kongo-Vertrag). Mit diesem Vertrag legten Deutschland und Frankreich ihren kolonialen Streit über die jeweiligen Einflusssphären in Marokko und in Äquatorialafrika bei. Reinhold Knoblich schildert im Anhang des Buches die Erkundungsreise. Die Expedition sollte den genauen Grenzverlauf festlegen und Schneisen ziehen, wo keine Flüsse eine naturgegebene Linie definierten. Andréas Lang kommentiert, dass Knoblich von seiner zivilisatorischen Mission, den Menschen in Afrika im Zuge der Kolonialisierung Recht und Ordnung zu bringen, überzeugt war. Der Titel „Phantom Geography“ bezieht sich auf die willkürliche Grenzziehung durch den Marokko-Kongo-Vertrag.
Urgroßvater auf einem Flusspferd
Ein Glücksfall für Lang, dass er Kontakt zu dem Enkel Jesco von Puttkamers (Leutnant in der Schutztruppe) hatte. Dieser überließ ihm für eine Ausstellung und Recherchen vier Fotoalben seines Großvaters, in denen viele Aufnahmen zu finden sind, die direkt mit den Ereignissen zu tun hatten, von denen Reinhold Knoblich in seinen Schriften berichtet. Sie sind ebenfalls im Anhang abgelichtet, sowie ein Foto seines eigenen Urgroßvaters auf einem Flusspferd. (Letzteres finde ich sehr mutig, weil ich Flusspferde als sehr aggressiv erlebt habe.)
Anmerkung: im pommerschen Adelsgeschlecht Puttkamer gibt es häufig den Vornamen Jesco. So gab es in Kamerun seit 1895 auch den Gouverneur Jesco von Puttkamer. Er wurde bereits 1907 nach diversen Skandalen wie willkürliche Enteignungen, Zwangsumsiedlungen und Passfälschung zugunsten einer Geliebten in den Ruhestand versetzt.
Mit dem Kolonialismus verbindet der Autor eine Geschichte von Brutalität und grenzenloser Ausbeutung. Er wollte wissen, welche Abgründe sich hinter dem Tagebuch und den Fotografien verbargen. Was hat seinen Urgroßvater, der aus armen Verhältnissen kam, getrieben, die Strapazen und Gefahren auf sich zu nehmen? Lang glaubt, dass sein Urahn „auch ein Verbrecher im System der kolonialen Gewaltmaschinerie war“. Er legt Wert darauf zu betonen, dass seine Recherchen und Arbeiten aus künstlerischer Perspektive entstanden sind und keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder fundierte wissenschaftliche Aufarbeitung erheben.
Zumindest ein Schein von Gerechtigkeit
Ich habe in Kamerun als deutscher Botschafter gearbeitet und habe mich immer wieder gewundert, welche Wertschätzung wir – im Gegensatz zu den Franzosen – dort hatten. Die kurze deutsche Kolonialgeschichte war kein harmloses Zwischenspiel. Aber ich habe in vier Jahren in Kamerun häufig Menschen getroffen, die sich gerne – vermutlich vom Hörensagen in der Familie – an die autoritäre Ordnung der Kolonialzeit erinnern, weil sie zumindest den Schein von Gerechtigkeit bot. Die hässlichen Seiten des kolonialen Alltags mit ihren rassistischen Diskriminierungen, die Praxis des Arbeitszwanges und der Strafjustiz werden ausgeblendet oder es ist ihnen egal, weil sie täglich um ihren Lebensunterhalt kämpfen müssen. (Dazu muss man wissen, dass seit 1982 der Autokrat Paul Biya mit harter Hand in Kamerun herrscht, dessen Machtgerüst aus Gewalt, Korruption, Bestechung und Erpressung besteht, während viele Kameruner in Armut leben.)
Das erklärt auch, dass zu meiner Zeit die deutsche Brauerei Warsteiner landesweit sehr erfolgreich sogar mit der Kolonialzeit für ihre Produkte werben konnte.
Andréas Lang hat auch Kameruns bekanntesten Regisseur Jean-Pierre Bekolo getroffen. Der hat ihm offensichtlich nicht erzählt, dass er in der afrikanischen Zeitschrift „Chimurenga Chronic“ die Rekolonisierung Afrikas durch die ehemaligen Kolonialherren gefordert hat: „Wir schaffen es einfach nicht. Wir sind darauf angewiesen, dass die Weißen zurückkommen.“ Bekolo beschreibt, wie die afrikanischen Eliten, die ihr eigenes Land ausplündern, dem weißen Mann alles verdanken. Sie erwerben ihre Diplome, fahren ihre Autos, tragen ihre Anzüge und schicken ihre Kinder auf ihre Schulen… Im Staatsapparat gibt es keinen Platz für Afrika und seine Traditionen, einzige Ausnahme sind die traditionellen Tanzgruppen, die zum Flughafen geschafft werden, wenn der Präsident auf Reisen geht.
Natürlich wollte Bekolo mit dem Interview provozieren. Er wünscht sicher keine Kolonialherren zurück. Aber er hat mit seinem Interview drastisch auf die Fehlentwicklungen auf seinem Kontinent hingewiesen.
Die Realität des Kolonialismus
Es bleibt dem Betrachter überlassen, die zum Teil möglicherweise oft bewusst düsteren Fotos von Andréas Lang dem historischen Material seines Urgroßvaters und denen aus Jesco von Puttkamers Fotoalbum gegenüberzustellen. Das bisher unveröffentlichte historische Material zeigt die Realität des Kolonialismus. Das Tagebuch von Knoblich und ein Jahresbericht von 1913 des Offiziers Puttkamer sind erfreulicherweise unbearbeitet. Lang ist es gelungen, mit Bild- und Textzeugnissen am Beispiel Kamerun – aus künstlerischer, weniger aus historischer Sicht – eine Art Archäologie zu schaffen. (Quelle: achgut.com, mit frdl. Genehmigung des Autors *Volker Seitz. Volker Seitz ist Botschafter a.D. und Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert“, dtv, 2021 (11. aktualisierte Auflage).
Andréas Lang: A Phantom Geography, Spector Books, Leipzig, 2024 (deutsch/englisch)