*Volker Seitz/Südafrika: Eine andere Form von Apartheid?

*Volker Seitz/Südafrika: Eine andere Form von Apartheid?
Lucinda Evans (Foto X)

Wer Gründe für den Machtverlust des ANC in Südafrika sucht, sollte der Menschenrechtsverteidigerin Lucinda Evans gut zuhören.

Über den historischen Machtverlust des ANC nach der 7. Wahl in Südafrika seit dem Ende der Apartheid wurde seit Juni viel geschrieben. Die sogenannten Leitmedien waren allerdings in der Analyse der Gründe des steten Niedergangs des Landes sehr dezent (Ausnahme Wolfgang Drechsler, u.a. Handelsblatt, Finanz und Wirtschaft, Weltwoche). Diese Lücke füllt die Zeitschrift „Afrika Süd“ in ihrem neuesten Heft Mai/Juni 2024 Nr. 3 (war gerade in meinem Briefkasten), mit einem hochinteressanten Interview von Lucinda Evans aus einem Township in Kapstadt. Sie nennt sich Menschenrechtsverteidigerin und führt seit 2008 die NGO Philisia Abafazi Bethu, die sich gegen geschlechterbasierte Gewalt einsetzt. Das Interview hat den Titel „Enttäuschungen, Sorgen und Hoffnungen 30 Jahre nach dem Ende der Apartheid.“

Lebensumstände in ihrer Gemeinschaft
Während der Apartheid habe es ein Gemeinschaftsgefühl gegeben. Aber später: „Die Gangster haben angefangen, um ihre Territorien zu kämpfen. Am Anfang haben die Gangster noch an unsere Türen geklopft und gewarnt: Hey es gibt eine Schießerei, lasst eure Kinder drinnen. Und heute werden Kinder erschossen, weil sie draußen herumlaufen, während die Gangster schießen. … Eigentlich sollte die Lebensdauer der Wohnungen nur 20 Jahre betragen. Und die Menschen leben jetzt schon über 50 Jahre in diesen Wohnungen“. Entsprechend sei der Zustand der Leitungen, Wände und Dächer. Die Leute seien verärgert, weil es 1994 so viele große Versprechungen gab und so viel Hoffnung. „Es macht dich so traurig, wenn sie sagen, dass es während der Apartheid besser war als jetzt. Weil es wie eine andere Form der Apartheid ist.“ (sic)

Situation von Frauen und Kindern
In diesem Land seien Frauen nicht frei. „Sie waren nie frei. Nicht 1652 (erste dauerhafte Siedlung der Niederländer auf südafrikanischem Boden), nicht 1994, und wir sind nicht frei 2024. … Wir leben in einer gescheiterten Demokratie. Es gab große Träume über die Rainbow Nation und Südafrika. Alles sollte gut sein, wir würden alle genug Essen haben und glücklich leben. Aber das ist nicht der Fall. … Statistiken sagen, dass in diesem Land jeden Tag 126 Frauen vergewaltigt werden. In diesem Land werden jeden Tag 57 Menschen umgebracht. … Unsere Verfassung ist bekannt dafür geworden, besonders progressive Frauenrechte zu haben. Aber es gibt keine Implementierung. Die Umsetzung unserer Rechte ist völlig unzureichend.“

Gescheiterte Demokratie
„Manchmal frage ich mich… die 30-Jährigen, die wir ‚born frees‘ nennen, warum sind sie so gewalttätig? … Warum haben wir gewalttätige Zehn- bis Fünfzehnjährige? Woher kommt das? … Die Demokratie hat die Mehrheit unserer Leute im Stich gelassen. Es gibt immer noch Kinder, die zwei bis drei Stunden zu Fuß zur Schule laufen müssen. Oder Kinder, die auf dem Schulweg ihre Kleidung ablegen müssen, um einen Fluss zu durchqueren. … Ein anderes Beispiel für unsere gescheiterte Demokratie ist die Korruption, wie z.B. der Phala Phala-Skandal, wo Geld im Sofa unseres Präsidenten gefunden wurde. Es gibt keine Verantwortlichkeiten oder Konsequenzen. … Es gibt eine kleine Minderheit von sehr reichen Menschen in diesem Land, die sehr viel Macht haben. … Es muss eine große Veränderung geben in der Art und Weise, wie dieses Land regiert wird.“

Ich empfehle, das ganze Interview zu lesen. Die Probleme Südafrikas werden von einer klugen Frau hellsichtig wahrgenommen und beschrieben. (Quelle: achgut.com, mit freundlicher Genehmigung des Autors *Volker Seitz, Botschafter a.D., Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert“, dtv. 11. Auflage 2021).