In vielen Mannschaften bei der Europameisterschaft gibt es zahlreiche sehr erfolgreiche Spieler mit afrikanischen Wurzeln. Deshalb werde ich derzeit häufig gefragt, weshalb es noch keine afrikanische Auswahl geschafft hat, bei den bisherigen Weltmeisterschaften über das Viertelfinale hinauszukommen?
In vielen Mannschaften bei der aktuellen Europameisterschaft gibt es zahlreiche sehr erfolgreiche Spieler, deren Familien aus afrikanischen Ländern stammen. Kylian Mbappé, Romelu Lukaku, Nico Williams oder Lamine Yamal. Fast jeder kennt sie. Deshalb werde ich derzeit häufig gefragt, weshalb es noch keine afrikanische Auswahl geschafft hat, bei den bisherigen Weltmeisterschaften über das Viertelfinale hinauszukommen, obwohl es fantastische Spieler, große Individualisten, eine überwältigende Mischung aus Dynamik, Spielfreude und massenhafte Begeisterung gibt.
Afrikaner geben ihren Nationalmannschaften gerne Kampfnamen. Nicht immer sind sie furchteinflößend, wie etwa in Benin und Burundi. Die Namen haben kulturgeschichtliche und mythologische Bedeutung und stammen meist aus dem Tierreich.
Beispiele: Benin: Les Ecureuils – Eichhörnchen; Burundi: Les Hirondelles – Die Schwalben; Côte d’Ivoire: Les Éléphants – Die Elefanten; Kamerun: Les Lions indomptables – Die unbezähmbaren Löwen; Madagaskar: Les Scorpions – Die Skorpione; Mosambik: Mambas; Nigeria: Super Eagles – Mächtige Adler.
Was könnten die Gründe sein?
Die afrikanischen Verbände stehen unter der Kuratel ihrer Regierungen. Der Dauerpräsident von Kamerun (seit 1982) Paul Biya mischt sich bis in die Mannschaftsaufstellungen ein. Fußball ist in Afrika auch immer Staatspolitik. Auf keinem anderen Kontinent werden Politiker beim Fußball so wichtig genommen und umgekehrt. Durch den Eingriff der Politik ist die Autonomie des Sports nicht gewahrt.
Medizinische Betreuung wird immer wieder durch Zauberkraft ersetzt. Man vergräbt einen Fetisch auf dem Spielfeld, um böse Geister zu vertreiben. Die Trainer werden regelmäßig geheuert und gefeuert, wiederum in Kamerun auch auf Anweisung des Präsidenten. In Kamerun waren von 2000 bis heute 22 Trainer tätig, darunter drei Deutsche: Winfried Schäfer, Otto Pfister und Volker Finke.
Auch der Fußball ist keine korruptionsfreie Zone, im Gegenteil. So beklagen beispielsweise mir bekannte afrikanische Journalisten immer wieder die unverhohlenen Plünderungen der Verbandskassen und die persönliche Bereicherung durch die Spitze einiger Verbände. Das Geld, das durch die WM-Teilnahmen verdient wurde, wird nicht in die Sportinfrastruktur oder Jugendarbeit investiert.
Die Verbandsfunktionäre können oder wollen oft nicht planen und nicht organisieren, schon gar nicht langfristig. Der Mangel an Professionalität ist leider immer noch offenbar. Wer als Europäer in Afrika trainieren will, braucht Gelassenheit und er muss kämpfen. Der Begriff der positiven Motivation durch Funktionäre ist weitgehend unbekannt. Es fehlt an einem gezielten Aufbau von Breitensport und auch am Leistungssport orientierten Strukturen. Deshalb drängen seit Jahren talentierte Jugendliche nach Europa.
Fußball ist hochpolitisch
Seit Mitte der 1990er Jahre hat die Migration afrikanischer Fußballspieler nach ganz Europa zugenommen. Kommerzialisierung und TV-Übertragung von wichtigen Spielen haben das Interesse am europäischen Fußball in Afrika geweckt. Lockerungen der Beschränkungen für ausländische Spieler im europäischen Profifußball (Bosman-Urteil = Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes von 1995) öffnete afrikanischen Spielern die Türen zum europäischen Fußball. Beim Afrika Cup im Januar/Februar 2024 fehlten z.B. den deutschen Vereinen insgesamt 20 Profis. (Weltweit spielen mittlerweile fast 2000 Afrikaner in Profiligen.)
Allerdings versuchen dunkle Gestalten mitzuverdienen. Tausende von afrikanischen Fußballtalenten werden von dubiosen Spielervermittlern unter Vernachlässigung von Schule und Ausbildung nach Europa gelockt. Aber die Traumkarriere eines Profis, der die Großfamilie ernähren kann, erfüllt sich äußerst selten. Hauptsache, die Vermittler verdienen mit. Wenn die Spieler scheitern, stehen sie vor dem Nichts.
Zu meiner Zeit in Kamerun wurde Winfried Schäfer als Nationaltrainer von Kamerun entlassen. Die Besorgnisse bei der kamerunischen Regierung waren groß, dass dies die Beziehungen zwischen Kamerun und Deutschland trüben könnte. Unterschwellig gab es die Befürchtung, dass die reichlich fließende Entwicklungshilfe gekürzt werden könnte. Ich habe dem Generalsekretär des Präsidenten versichert, dass unsere Beziehungen durch eine sportpolitische Entscheidung nicht beeinträchtigt würden. Der Vorfall zeigt aber, wie hochpolitisch in Afrika Fragen der Fußballnationalmannschaft sind.
Notwendige Nachbemerkung: Die Entwicklungshilfe wurde übrigens auch nach Korruptionsvorwürfen nicht ausgesetzt. Stattdessen wurden Kamerun laut einer Mitteilung des Bundesfinanzministeriums vom 13. Juni 2024 Schulden in Höhe 1,4 Milliarden Euro erlassen.
(Quelle: achgut.com, mit freundlicher Genehmigung des Autors *Volker Seitz, Botschafter a.D., Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert“, dtv. 11. Auflage 2021. Foto: ia)