
Afrika wählt – und alles bleibt, wie es ist. Ross Thomas’ Roman über einen afrikanischen Wahlkampf aus den 60ern liest sich wie ein Bericht von heute: korrupte Eliten, gekaufte Wahlen, westliche Einflüsterer.
Der geistreiche Ross Thomas (exzellent von Gisbert Haefs neu übersetzt) hat in Form eines Politthrillers einen Roman über einen afrikanischen Präsidentschaftswahlkampf in dem gerade unabhängig gewordenen fiktiven Land Albertia (gemeint ist Nigeria) geschrieben. („Stimmenfang – ein afrikanischer Wahlkampf“, Alexander Verlag, 2025)
Anders als viele europäische oder amerikanische Schriftsteller hatte Ross Thomas (1926–1995) als politischer PR‑Mann und Wahlkampfmanager in den 1960er Jahren Erfahrungen in Nigeria gesammelt. Wenn andere immer Gefahr liefen, an Problemen vorbeizuschreiben, kannte Thomas die Strukturen vor Ort hervorragend. Er hatte auch ein Gefühl dafür entwickelt, was Afrikaner zwischen den Zeilen sagen und Informationen übermitteln.
Der Roman schildert den Wahlkampf in einer britischen Kolonie, die von dem Vereinigten Königreich in die Unabhängigkeit entlassen wird. Drei Kandidaten treten bei den ersten Wahlen an, und es geht um Macht („Es wird also tatsächlich nur einmal eine Wahl geben, die erste, weil beim nächsten Mal die, die drin sind, dafür sorgen werden, dass es keine weitere mehr gibt.“ Seite 18), Rohstoffreichtum („Es hat Öl, das noch nicht angetastet wurde , Bodenschätze, eine solide Landwirtschaft… S. 17), politische Korruption („Für Geld ist gesorgt. Du brauchst dir nur auszudenken, wie es ausgegeben werden soll.“ S. 43) und Einfluss von Unternehmen („Wir haben hier drei amerikanische Unternehmen, die versuchen, ein Hindernisrennen zwischen drei Pferden zu manipulieren.“ S.46) und der CIA („Und die CIA könnte das letzte Wort darüber haben, wer der erfolgreichste Bewerber sein wird.“ S. 49).
Was hat sich verändert?
Sehr modern ist die Aussage eines Politikers, der einen Jaguar fährt: „Ich parke ihn bei einem Regierungsrasthaus , ziehe mich um und fahre mit dem Fahrrad ins Hinterland. Ich unterhalte mich mit den Dörflern. Die meisten wissen nicht, wer ich bin, und ich habe ein gewisses Sprachtalent, darum komme ich mit den Dialekten gut klar. Ich rede mit denen, die reden mit mir. Ich kriege heraus, was sie in dieser Woche aufregt, dann fahre ich zurück und versuche, das in Ordnung zu bringen, damit der Führer sich das anrechnen lassen kann. Manchmal meine ich, alle Minister sollten das tun, statt in ihrem Mercedes herumzukutschieren. (S. 165/66)
Auch die herumstreifenden Banden politischer Hooligans aller Parteien gab es damals schon. „Ursprünglich als eine Art Schutzdienst gedacht, der täglich ein paar Shilling und die Gelegenheit, allgemein lästig zu sein, einbrachte, wuchs sich das Rowdytum zur Straßenräuberei aus. Die Banden begnügten sich nicht mehr damit, die Redner der anderen Parteien zu stören und ihre Anhänger zu belästigen, sondern gingen dazu über, Blockaden auf wichtigen Straßen einzurichten und die Insassen von Privatwagen und Mammy-Lastern auszuplündern.“ (S. 345)
Mit diesem Buch hat der Berliner Alexander Verlag auch den letzten Band der vorbildlichen Ross-Thomas-Edition in ungekürzter, neu übersetzter Auflage (was dringend notwendig war) wieder zugänglich gemacht. Auch in diesem Buch ist Thomas als desillusionierter Berichterstatter lässig lakonisch und manchmal sarkastisch.
Die amerikanische Originalausgabe erschien unter dem Titel „The Seersucker Wipsaw“ 1967 in den USA. Die deutsche Ausgabe erschien 1984 verstümmelt und mangelhaft übersetzt.
Was hat sich seit der Unabhängigkeit afrikanischer Staaten in den 1960er Jahren verändert?
Wie in dem Roman von Ross Thomas meisterhaft beschrieben, ist es auch heute noch nicht selbstverständlich, dass Abstimmungen friedlich und fair verlaufen und die Ergebnisse akzeptiert werden.
Turbulenzen?
Seit der Unabhängigkeit vor über 60 Jahren gab es in afrikanischen Staaten mehr als 200 Staatsstreiche oder Putschversuche. Afrika – insbesondere in der Sahelzone – ist die am stärksten betroffene Region. Seit den 1990er Jahren gab es in Afrika mehr Putschversuche als im Rest der Welt. Ein Trend, der sich hauptsächlich in den letzten fünf Jahren verstärkt hat. Zuletzt waren Staatsstreiche in Mali (2 ×), Niger, Tschad, Sudan, Guinea, Burkina Faso (2 ×) und Gabun, erfolgreich. Auslöser sind meist fragwürdige Wahlen und langjährige autoritäre und korrupte Machteliten.
Auch Nigeria hat im Laufe der Geschichte seit 1960 fünf erfolgreiche Staatsstreiche erlebt. Ein Putsch wurde 1993 vereitelt. Allerdings gingen die letzten Urnengänge mit massiver Gewalt einher.
Staaten sind immer noch weit davon entfernt, den Ansprüchen eines demokratischen Rechtsstaates zu genügen. Die Regierung – die sich als Hüter der Stabilität präsentiert – kontrolliert oft große Teile der Presse und kann die staatliche Infrastruktur für ihren Wahlkampf nutzen. Die meisten Länder sind von echter Gewaltenteilung weit entfernt. Teilhabe an demokratischen Entscheidungsprozessen beschränkt sich in der Regel darauf, Repräsentanten zu wählen. Freie und allgemeine Wahlen sind aber nur dann demokratisch wirkungsvoll, wenn sie in gesicherte Bürgerrechte und Gewaltenkontrolle eingebettet sind. Demokratie erzeugt nicht automatisch fairen sozialen Ausgleich und Wohlstand, das leisten nur soziale Demokratien.
Aber auch eine demokratische Ordnung ist allein noch keine Garantie für die Herstellung sozial und politisch gerechter Verhältnisse. Anfang der 90er Jahre wechselten viele afrikanische Staaten zu formaler Demokratie. Mit wenigen Ausnahmen führen afrikanische Länder heute Wahlen mit mehreren Parteien durch. Dennoch waren auch diese Demokratien kein Allheilmittel für die immer deutlicher werdenden Probleme Afrikas. Statt eine Politik für das Gemeinwohl zu betreiben, waren die neuen, gewählten Politiker kaum weniger hinter ihrem persönlichen Profit her. Eine funktionierende Demokratie hängt aber von mehr ab als von den Wahlzetteln in der Urne. Sie braucht Respekt für geltende Gesetze, funktionierende und gerechte Strukturen sowie einen freien Informationsfluss.
In wenigen Staaten (Botswana, Ghana, Mauritius, Kap Verde, Senegal, Seychellen) ist die Fairness der Wahl so groß, dass die Opposition eine reelle Chance hat, die Mehrheit der Sitze zu erringen. In anderen Staaten ist zu befürchten, dass die Bekanntgabe des Ergebnisses zu Turbulenzen führt – unabhängig davon, wer zum Sieger erklärt wird. (Quelle: achgut.com, mit frdl. Genehmigung des Autors *Volker Seitz, Botschafter a.D. und Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert“, dtv, 2021 (11. aktualisierte Auflage).