Afrikanische Friedenstruppen in der Ukraine?

Afrikanische Friedenstruppen in der Ukraine?

Von *Wolfgang Kolb. Vielleicht können nur noch Friedenstruppen einen Waffenstillstand im Ukrainekrieg erreichen. Wenn ja, dürften sie aber nicht aus Europa, sondern aus Afrika stammen. Klingt exotisch, aber der Gedanke hat Charme.

Der Krieg in der Ukraine dauert mittlerweile fast vier Jahre, ein schnelles Ende ist nicht in Sicht. Frontlinien verhärten sich, diplomatische Initiativen laufen ins Leere, und jede neue Waffenlieferung wird von Moskau als Eskalation gedeutet. Während aktuell die Zeit für Russland arbeitet, ringt Europa mit der Frage: Wie könnte ein Waffenstillstand erreicht werden, ohne den Konflikt zu verschärfen? Immer wieder taucht dabei ein Gedanke auf, der ebenso pragmatisch wie riskant wirkt: die Stationierung internationaler Friedenstruppen.

Die Idee ist nicht neu – Friedenstruppen begleiteten schon zahlreiche Konflikte weltweit. Doch im Fall der Ukraine hat der Vorschlag eine besondere Brisanz. Würden europäische oder NATO-Truppen entsandt, könnte Russland dies sofort als offene Kriegsbeteiligung werten. Schon heute wirft Moskau westlichen Staaten aktive Teilnahme vor – wegen Waffenlieferungen, Geheimdienstinformationen und Ausbildung ukrainischer Soldaten. Wie also eine Eskalation vermeiden? Eine mögliche Antwort lautet: durch eine Beteiligung, die weder europäisch noch amerikanisch geprägt ist. Was, wenn nicht EU- oder NATO-Soldaten, sondern Kontingente aus Afrika zwischen den Fronten stünden?

Eine ungewöhnliche, aber naheliegende Alternative
Auf den ersten Blick klingt die Vorstellung exotisch. Afrikanische Blauhelme in Europa? Doch der Gedanke hat Charme: Afrikanische Staaten gehören nicht der NATO an, sie bedrohen Russlands Sicherheitsinteressen nicht unmittelbar, und sie verfügen über lange Erfahrung in internationalen Friedenseinsätzen.

Viele afrikanische Soldaten haben gelernt, in schwierigen Konfliktumfeldern zu operieren: In Mogadischu haben sie asymmetrische Kriegsführung erlebt, in Darfur den Schutz von Flüchtlingslagern übernommen, im Kongo zwischen Milizen und Zivilisten vermittelt. Diese Einsätze waren riskant, oft verlustreich – und doch haben sie Kompetenzen geschaffen, die in der Ukraine von Nutzen sein könnten.

Die Strukturen dafür existieren bereits. Die Afrikanische Union hat mit der African Standby Force (ASF) eine multinationale Eingreiftruppe aufgebaut, die 2016 für einsatzbereit erklärt wurde. Sie umfasst fünf regionale Brigaden mit insgesamt rund 25.000 Soldaten, Polizisten und Zivilisten. Zwar bestehen Defizite in Logistik und Koordination, doch der Rahmen für ein gemeinsames Vorgehen ist vorhanden. Eine „United African Army“ im Dienste internationaler Stabilität wäre also mehr als nur eine theoretische Idee.

Rechtliche und politische Hürden
Doch wie realistisch wäre eine solche Mission? Völkerrechtlich gilt: Ohne Zustimmung beider Konfliktparteien kann keine Friedenstruppe entsandt werden. Die Ukraine würde vermutlich einverstanden sein, schließlich wünscht sie sich internationale Garantien. Russland jedoch hat wiederholt erklärt, dass es ausländische Soldaten in der Ukraine als legitime Ziele betrachte – egal ob sie aus Europa oder Afrika stammen.

Damit stellt sich die Frage: Würde Moskau afrikanischen Truppen wirklich mehr Vertrauen entgegenbringen? Einerseits könnten Länder wie Südafrika aufgrund ihrer BRICS-Mitgliedschaft als Brückenbauer auftreten. Andererseits sind viele afrikanische Staaten wirtschaftlich eng mit Europa verflochten und auf Hilfsgelder angewiesen. Wären sie dann noch neutral – oder schnell eine „Proxy-Armee des Westens“, wie es der Kreml darstellen könnte?

Dennoch liegt in dieser Ambivalenz auch eine Chance: Gerade weil afrikanische Länder zwischen West und Ost lavieren, könnten sie die notwendige Akzeptanz auf beiden Seiten gewinnen. Neutralität ist nie absolut, aber manchmal ist „weniger Parteilichkeit“ bereits ein Fortschritt.

Europas Vorteil – Afrikas Verantwortung
Aus europäischer Perspektive wäre der Nutzen offensichtlich: keine eigenen Särge, weniger innenpolitische Belastung, geringere Eskalationsgefahr mit Russland. Doch diese Vorteile werfen sofort moralische Fragen auf. Wollen wir wirklich, dass nigerianische oder ägyptische Familien ihre Söhne verlieren, damit deutsche oder französische Familien es nicht tun? Ist es legitim, die Opferlast auf einen anderen Kontinent abzuwälzen?

Gleichzeitig darf man nicht vergessen: Europäische Staaten haben in der Vergangenheit selbst Opfer gebracht – in Afghanistan, im Irak oder auf dem Balkan. Insofern wäre es nicht unlogisch, dass auch andere Regionen der Welt Verantwortung übernehmen.

Für afrikanische Länder böte ein Einsatz in Europa zudem eine historische Gelegenheit. Seit Jahrzehnten fordern sie, in internationalen Organisationen stärker berücksichtigt zu werden. Eine Mission im Herzen Europas könnte diesen Anspruch unterstreichen: Afrika nicht nur als Krisenregion, sondern als aktiver Garant globaler Sicherheit. Das wäre ein Signal, das weit über die Ukraine hinausreicht.

Wirtschaftliche Dimensionen
Neben politischen Erwägungen spielt auch Ökonomie eine Rolle. Friedensmissionen sind für viele Staaten eine Einnahmequelle. Die Vereinten Nationen geben jährlich rund 5,6 Milliarden US-Dollar für Peacekeeping aus. Davon profitieren vor allem jene Länder, die Soldaten entsenden – für manche sind diese Zahlungen überlebenswichtig.

Allein elf afrikanische Staaten erhielten zuletzt zusammen etwa 2,1 Milliarden Dollar für ihre Beteiligung an laufenden Missionen. Diese Gelder fließen in Staatshaushalte, Infrastrukturprojekte oder in die Modernisierung der Armeen. Eine Ukraine-Mission könnte also nicht nur politisches Prestige, sondern auch ökonomischen Nutzen bringen.

Doch gerade dieser Aspekt ist ambivalent: Wird Frieden hier zu einem Geschäft? Ist es ethisch vertretbar, dass Soldaten ihr Leben riskieren, weil ihr Staat die UN-Erstattungen benötigt? Oder verschwimmt damit die Grenze zwischen Peacekeeping und Söldnertum?

Bedingungen für eine realistische Umsetzung
Damit ein solcher Vorschlag mehr als nur ein Gedankenspiel bleibt, müssten mehrere Voraussetzungen erfüllt sein:

  • Ein UN-Mandat, das der Mission völkerrechtliche Legitimität verleiht.
  • Die Zustimmung Russlands, ohne die jede Truppenstationierung scheitern würde.
  • Klare Aufgaben, etwa die Überwachung eines Waffenstillstands – keine aktiven Kampfhandlungen.
  • Eine transparente Finanzierung, um den Verdacht von Söldnertum zu vermeiden.
  • Eine Exit-Strategie, die verhindert, dass sich der Einsatz endlos hinzieht.

Ob diese Bedingungen realistisch erfüllbar sind, bleibt fraglich. Aber gerade die Auseinandersetzung damit zeigt, wie komplex moderne Friedenssicherung geworden ist.

Afrikas Chance auf der Weltbühne
Unabhängig davon, ob der Plan je umgesetzt wird, eröffnet er einen spannenden Perspektivwechsel. Jahrzehntelang hat Afrika gefordert, in internationalen Gremien wie dem UN-Sicherheitsrat mehr Gewicht zu erhalten. Bisher vergeblich. Eine erfolgreiche Mission in Europa könnte die Karten neu mischen und afrikanischen Staaten einen Platz unter den globalen Akteuren verschaffen.

Stellen wir uns vor: Ein afrikanisches Kontingent patrouilliert zwischen Charkiw und Donezk, schützt Zivilisten, überwacht einen Waffenstillstand. Wäre das nicht ein starkes Signal, dass Afrika nicht nur Krisenexporteur, sondern Lösungsanbieter sein kann?

Natürlich birgt die Idee enorme Risiken – militärisch, politisch, diplomatisch. Aber sie zwingt uns, eingefahrene Denkmuster zu hinterfragen. Warum betrachten wir globale Sicherheit noch immer vor allem eurozentrisch? Warum trauen wir Afrika nur Einsätze auf dem eigenen Kontinent zu?

Afrikanische Friedenstruppen in der Ukraine – dieser Gedanke ist kühn, vielleicht utopisch, voller praktischer Hindernisse. Aber gerade deshalb ist er wertvoll. Er zwingt uns, über Alternativen nachzudenken, die über klassische Ost-West-Schemata hinausgehen. Ob je afrikanische Soldaten in der Ukraine eingesetzt werden, ist fraglich. Doch die Diskussion darüber macht deutlich: Die alten Rezepte reichen nicht mehr. Frieden erfordert neue Ideen – auch solche, die zunächst fremd oder ungewöhnlich wirken. Vielleicht ist es genau dieser Perspektivwechsel, der den Weg zu einer multipolaren Weltordnung ebnet. Einer Ordnung, in der auch Afrika Verantwortung trägt, nicht nur für sich selbst, sondern für die globale Gemeinschaft.

Quelle: achgut.com, mit frdl. Genehmigung des Autors *Wolfgang Kolb (*1969) hat abgeschlossene Lehren als Handelsfachpacker in Bayern und Büchsenmacher in Hessen, war an der FOS Bamberg und studierte Betriebswirtschaft in Coburg. Er wohnt seit 2008 im Ausland und ist seit 2022 in Auckland, Nordinsel als Product Manager für Health New Zealand – Te Whatu Ora, im staatlichen Gesundheitswesen, tätig. Mit seiner nigerianischen Frau ist er seit 12 Jahren zusammen, wodurch sein Interesse an diesem Land geweckt wurde.