
Während Marokko die CAN 2025 als weltweite Leistungsschau im Hinblick auf die WM 2030 positionieren wollte, stößt die Organisation auf ein unerwartetes Phänomen: spärlich besetzte Tribünen bei mehreren Topspielen. Zwischen einer stockenden digitalen Ticketvergabe, unkontrollierter Spekulation und schwierigen winterlichen Wetterbedingungen sahen sich die Organisatoren gezwungen, eine radikale Lösung zu improvisieren: die kostenlose Öffnung der Stadientore während des laufenden Spiels.
Nationalhymnen vor Geistertribünen
Der visuelle Kontrast ist frappierend. Zwar werden die marokkanischen Infrastrukturen für ihre Modernität und die Rasenplätze für ihre makellose Qualität gelobt, doch die Stimmung kommt abseits der Spiele der „Lions de l’Atlas“ kaum in Gang. Bereits in den ersten Tagen des Turniers überschwemmten Bilder leerer Sitzreihen die sozialen Netzwerke und sorgten für erhebliche Verlegenheit beim lokalen Organisationskomitee.
Am 22. Dezember wirkte das Stadion von Agadir (45.000 Plätze) beim Spiel Ägypten–Simbabwe nahezu verwaist, mit kaum mehr als tausend Zuschauern während der Nationalhymnen. Ein ähnliches Bild bot sich in Marrakesch beim Duell Südafrika–Angola (offiziell 4.013 Zuschauer) sowie bei RD Kongo–Benin. Ein irritierendes Paradoxon – zumal die Ticket-App einige dieser Begegnungen als „ausverkauft“ (sold out) auswies.
Während das Eröffnungsspiel Marokko–Komoren mit über 60.000 Fans im Prinz-Moulay-Abdellah-Stadion in Rabat ausverkauft war, bricht der Zuschauerandrang drastisch ein, sobald die marokkanische Auswahl nicht auf dem Spielplan steht.
Digitale Ticketvergabe und „Fan ID“ im Zentrum der Kritik
Der Kern des Problems scheint technologischer und struktureller Natur zu sein. Das vollständig digitalisierte Ticketsystem, gekoppelt mit der Pflicht zur „Fan ID“ über die App Yalla, sollte ursprünglich den Zugang sichern und Betrug eindämmen. Tatsächlich hat es den Kaufprozess für einen großen Teil des Publikums verkompliziert, das mit solchen Verfahren wenig vertraut ist. Zudem befeuerte diese Starrheit einen gut organisierten Schwarzmarkt:
Offizielle Tickets zu Preisen zwischen 100 und 300 Dirham (9 bis 27 Euro) werden in sozialen Netzwerken und privaten Messengern für bis zu 3.000, ja sogar 5.000 Dirham weiterverkauft. Am Ende finden viele Wiederverkäufer, die massenhaft Plätze gehortet haben, zu diesen überzogenen Preisen keine Abnehmer. Das Ergebnis: digital verkaufte Tickets, die sich in leeren Sitzreihen niederschlagen.
Zwar reagierte die Kriminalpolizei mit der Festnahme von acht Personen, die in mehreren Städten des Königreichs der illegalen Spekulation verdächtigt werden – doch für den Turnierstart kam dies zu spät.
Kostenlose Öffnung: „CAN des Volkes“ oder Eingeständnis des Scheiterns?
Angesichts des Risikos eines massiven Imageschadens gegenüber dem Afrikanischen Fußballverband (CAF) und dem internationalen Fernsehpublikum entschieden die marokkanischen Behörden, die Stadien etwa zwanzig Minuten nach Anpfiff kostenlos zu öffnen – eine Methode, die bei früheren CAN-Ausgaben bereits regelmäßig angewandt wurde.
Die Wirkung zeigte sich sofort beim Spiel Kamerun–Gabun in Agadir. Von nahezu leeren Rängen zum Anpfiff füllte sich das Stadion nach und nach auf 35.200 Zuschauer. In den sozialen Netzwerken machte sich der Hashtag „la CAN du peuple“ („die CAN des Volkes“) breit und feierte ein Turnier, das endlich zugänglich sei.
Doch diese improvisierte Lösung stößt nicht überall auf Zustimmung und erzeugt Spannungen:
– Sicherheit: Beim Spiel Algerien–Sudan in Rabat brachte der plötzliche Zustrom die Sicherheitskräfte an ihre Grenzen, es kam zu Gedrängeszenen.
– Gerechtigkeit: Viele Fans, die regulär ein Ticket gekauft haben, stellen die Fairness eines Systems infrage, das am Ende diejenigen belohnt, die kein Ticket erworben hatten.
Ein Härtetest vor der WM 2030
Über die sportliche Dimension hinaus ist diese CAN 2025 eine entscheidende Bewährungsprobe für Marokko, das gemeinsam mit Spanien und Portugal die Fußball-Weltmeisterschaft 2030 ausrichten wird. Das Königreich muss seine Fähigkeit unter Beweis stellen, komplexe Besucherströme logistisch wie sicherheitstechnisch zu bewältigen.
Die Wetterbedingungen halfen nicht: Anhaltende Regenfälle hielten manche Zuschauer fern, zumal die meisten Stadien nicht vollständig überdachte Tribünen haben. Doch dieses Argument allein erklärt nicht das Ausmaß des Phänomens.
Zwar verzeichnete der erste Spieltag insgesamt 233.634 Zuschauer bei zwölf Partien – ein Anstieg gegenüber der vorherigen Ausgabe –, doch diese Gesamtzahlen können den eklatanten Gegensatz zwischen den Spielen Marokkos und dem übrigen Turnier nicht kaschieren.
Für die Organisatoren wird es in den kommenden Wochen darum gehen, das richtige Gleichgewicht zwischen Sicherheit, Zugänglichkeit und wirtschaftlicher Tragfähigkeit zu finden. Bleibt die „CAN des Volkes“ eine Ausnahme – oder wird sie zur neuen Norm? (Quelle: afrik.com)