Porträt: Marokkos König Mohammed VI – eine Herrschaft zwischen sichtbarer Modernität und struktureller Trägheit

Porträt: Marokkos König Mohammed VI – eine Herrschaft zwischen sichtbarer Modernität und struktureller Trägheit

Seit seiner Thronbesteigung 1999 wird der marokkanische König Mohammed VI. oft als modernisierender Monarch dargestellt – als „König der Armen“, volksnah und als Hoffnungsträger nach den Jahrzehnten autoritärer Herrschaft Hassan II. Sechsundzwanzig Jahre später zeigt sich jedoch eine ambivalente Bilanz. Zwischen ambitionierten Reformen, demokratischer Stagnation und wachsenden sozialen Spannungen ist das heutige Marokko geprägt von einer Macht, die sich im Diskurs reformerisch gibt, im Kern jedoch konservativ bleibt.

Ein modernisierender König … auf bestimmten Gebieten
Es ist unbestreitbar, dass Mohammed VI. in den ersten Jahren seiner Herrschaft bedeutende Reformen angestoßen hat. Die Reform des Familiengesetzes (Moudawana) im Jahr 2004 markierte einen Wendepunkt in der arabisch-muslimischen Welt, indem sie den Frauen mehr Rechte einräumte und patriarchale Grundlagen infrage stellte. Der König trieb zudem eine stärkere wirtschaftliche Öffnung voran: große Infrastrukturprojekte (Hochgeschwindigkeitszug, Häfen, Autobahnen), die Entwicklung des Tourismus sowie eine aktive Afrikapolitik, die Marokko zu einem unverzichtbaren regionalen Knotenpunkt machen sollte.

Darüber hinaus investierte das Land massiv in erneuerbare Energien und wurde mit dem Solarkomplex Noor in Ouarzazate zu einem Vorzeigebeispiel für nachhaltige Energiepolitik. Diese Initiativen zeigen den Willen des Monarchen, das Land in die Moderne zu führen und globale Herausforderungen – insbesondere ökologische – frühzeitig anzugehen. Hinter dieser modernisierenden Fassade bleibt das Regime jedoch von anhaltendem Autoritarismus geprägt.

Eine Demokratie unter Kontrolle
Der König verfügt über weitreichende exekutive Macht, die sich nicht nur aus seinem Titel als „Befehlshaber der Gläubigen“ ableitet, sondern auch aus seiner Kontrolle über zentrale strategische, wirtschaftliche und sicherheitspolitische Fragen. Zwar brachte die Verfassung von 2011, die im Kontext des Arabischen Frühlings entstand, einige demokratische Reformen – Stärkung von Parlament und Regierung, formelle Gewaltenteilung –, in der Praxis jedoch bleibt die königliche Macht dominierend, ja erdrückend. Die Alaouiten-Monarchie verstand es geschickt, Protestbewegungen abzufedern, ohne je die zentrale Stellung des Thrones infrage zu stellen.

Die Bewegung vom 20. Februar 2011, die echten demokratischen Wandel einforderte, wurde durch geschickt dosierte institutionelle Zugeständnisse entschärft. Jüngst offenbarte die Niederschlagung der Rif-Proteste (2016–2017) die Grenzen der Toleranz des Regimes gegenüber sozialen Forderungen. Journalisten, Aktivisten und Oppositionelle werden weiterhin unter verschiedensten Vorwänden – häufig moralischer Natur – inhaftiert, um jede kritische Stimme zu diskreditieren. Diese Instrumentalisierung der Justiz, gekoppelt mit strenger Medienkontrolle und zunehmend raffinierter digitaler Überwachung, illustriert ein politisches Klima der Erstarrung.

Eine ungleiche Wirtschaft und eine abgeschottete Elite
Makroökonomisch erscheinen die Ergebnisse auf den ersten Blick solide: monetäre Stabilität, moderates Wachstum, Attraktivität für ausländische Investoren. Doch diese Zahlen verschleiern eine alarmierende soziale Realität. Die Jugendarbeitslosigkeit – insbesondere unter Hochschulabsolventen – bleibt hoch, und die regionalen Unterschiede sind eklatant. Die Kluft zwischen Casablanca und den Randregionen wie dem Rif oder dem tiefen Süden wird immer größer. Unter Mohammed VI. entwickelte sich Marokko zu einem der ungleichsten Länder Nordafrikas.

Der Reichtum konzentriert sich weiterhin in den Händen weniger, oft dem Königshaus nahestehender Familien, denen Vetternwirtschaft vorgeworfen wird. Der königliche Holding Al Mada (ehemals SNI), der in Schlüsselbranchen der Wirtschaft dominierend ist, wirft Fragen nach Interessenkonflikten und der Trennung zwischen öffentlichen und privaten Interessen auf. Der 2021 groß angekündigte „neue Entwicklungsplan“ bleibt bislang weitgehend ein leeres Versprechen. Verzögerte Strukturreformen und eine ineffizient wirkende, von vielen als abgehoben empfundene politische Elite untergraben zunehmend das Vertrauen der Bürger.

Längere Abwesenheiten und berechtigte Zweifel
Ein weiterer Kritikpunkt an der Herrschaft Mohammeds VI. ist seine wachsende Abwesenheit von der nationalen Bühne. Seine langen Aufenthalte im Ausland, vor allem in Frankreich, sorgen regelmäßig für Irritationen und Unbehagen in der Bevölkerung. In einem Land, in dem die Macht so stark um die Figur des Königs zentriert ist, wirft seine physische Abwesenheit Fragen nach Regierungsführung, Transparenz und Entscheidungsprozessen auf. Dieses königliche Schweigen – gerade in Krisenzeiten, etwa beim Erdbeben von Al Haouz 2023 oder während politischer Repressionen – wird oft als Rückzug oder kalkulierte Distanz interpretiert. Doch angesichts wachsender gesellschaftlicher Erwartungen scheint diese Haltung zunehmend schwer haltbar. Mohammed VI. wird in die Geschichte eingehen als ein König, der sein Land modernisieren wollte, ohne dessen politische Grundlagen anzutasten. Zwar gelang es ihm, zwischen wirtschaftlicher Öffnung, sozialer Stabilität und monarchischer Autorität zu balancieren, doch eine echte demokratische Transition hat er weder eingeleitet noch gewollt. Das Marokko des Jahres 2025 steht daher an einem Scheideweg: modernisiert an der Oberfläche, doch von tiefen Ungleichheiten und einem anhaltenden Demokratiedefizit gezeichnet. (Quelle: afrik.com)