*Volker Seitz: Ghana – Die letzte Reise als Fest mit fröhlichen Särgen

*Volker Seitz: Ghana - Die letzte Reise als Fest mit fröhlichen Särgen
„Stilvoll ins Jenseits“ (Kehrer Verlag, 2025)

In Ghana ist eine Beerdigung ein wichtiges, fröhliches Ereignis für die Familie und Gemeinde. So hat sich eine einzigartige Sargkultur entwickelt, die Bezug auf Eigenschaften oder den Beruf der Toten nimmt.

In der ghanaischen Kultur der Ga wird der Tod nicht als Ende des Lebens betrachtet. Vielmehr gilt er als Übergang in eine andere Existenzform, bei der die Verstorbenen als Ahnen Teil der Gemeinschaft bleiben. Die Beerdigung ist daher nicht nur ein Abschied, sondern auch ein farbenfrohes Fest, das das Leben des Verstorbenen würdigt und seine Rückkehr in die spirituelle Welt feiert. Mit der Tradition begonnen haben die Ga nach Einführung der Sargpflicht.

Die Ethnie lebt in der Küstenregion Greater Accra, in Togo und in Benin (dort habe ich erstmals solche Särge gesehen) und gilt als Erfinder der außergewöhnlich fantasievollen Särge (Fantasy Coffins). Sie haben das Phänomen populär gemacht. Die Särge haben eine solche Popularität erreicht, dass sie mittlerweile auch in weiteren Regionen Ghanas und von anderen Ethnien verwendet und hergestellt werden.

Die Schweizer Ethnologin und Kunsthistorikerin Regula Tschumi lebt in der Schweiz und in Ghana, hat die öffentlichen Trauerfeiern fotografiert und auf eindrucksvolle Weise mit Humor und Leichtigkeit in ihrem Buch „Stilvoll ins Jenseits“ (Kehrer Verlag, 2025) kommentiert.

Die Beerdigung findet immer über ein Wochenende statt, damit vielen Gästen die Anreise ermöglicht werden kann. Je mehr Trauergäste zu einer Beerdigung kommen, desto höher ist das Ansehen der Familie und desto mehr Menschen beteiligen sich an den hohen Kosten. Oft findet sie erst einige Wochen nach dem Eintritt des Todes statt, damit ein bestimmter personalisierter Sarg angefertigt werden kann. Der Verstorbene kommt in dieser Zeit in eine Kühlhalle. Der Abschied von einem geliebten Menschen wird als ein fröhliches Fest inszeniert. Hier stehen Särge im Mittelpunkt, die so außergewöhnlich und fantasievoll gestaltet sind, dass sie Geschichten erzählen. Sie erinnern nicht nur an das Leben des Verstorbenen, sondern feiern es auch. Lässt die Familie einen Automechaniker beispielsweise in einem Sarg in Form eines teuren Lkws beerdigen, ist die Karriere im Jenseits gesichert. In ihrem Glauben geht das Leben im Jenseits weiter und unterscheidet sich nicht allzu sehr vom irdischen. Da die Ahnen über ihre Familien auf Erden wachen, ist der Sarg auch eine Art Opfergabe. Die meisten Ghanaer sind zwar Christen, haben aber eine sehr traditionelle Beziehung zu ihren Ahnen und Naturreligionen.

Ghanas Särge in Europas Galerien
Je höher der gesellschaftliche Rang eines Verstorbenen ist, desto größer fällt in der Regel der Sarg als Statussymbol aus. Die Feiern dauern mitunter eine ganze Woche bis zur eigentlichen Beisetzung. Jeden Abend müssen Verwandte, Freunde und Nachbarn verköstigt werden. Wer kann, engagiert Live-Musik – es wird getanzt, immer unterbrochen von Gesang und Wehklagen – und lässt die Beerdigung filmen. Die Gäste erhalten einen einheitlichen Stoff, damit sie sich ein Kleidungsstück für die Feier nähen lassen.

Die ersten kunstvoll gestalteten Särge entstanden vor rund 75 Jahren. Ihrem Glauben zufolge geht das irdische Leben im Jenseits weiter, weshalb Särge oft an einst ausgeübte Berufe oder auch unerfüllte Wünsche erinnern. Ein Fußballspieler, der zeitlebens in die USA auswandern wollte, tritt seine letzte Reise in einem Sportschuh mit den Farben der amerikanischen Flagge an. Ein Dorfältester, der vom Fliegen träumte, aber nie im Flugzeug saß, darf seine letzte Reise in einem Sarg in Form eines Flugzeuges der Ghana International Airline antreten.

In den letzten Jahren hat die ghanaische Sargkunst internationale Aufmerksamkeit erregt. Museen und Galerien weltweit haben diese Werke ausgestellt, darunter das British Museum in London, das Centre Pompidou in Paris, das Museum für Sepulkralkultur in Kassel, das Kunstmuseum in Bern und das Musée d’ethnographie Neuchâtel.

Die Särge werden nicht nur als Artefakte einer lebendigen Bestattungskultur, sondern auch als moderne Kunstwerke gefeiert. Befördert hat sie der Kolonialismus und die Missionare, die die Bestattung in klassischen Holzsärgen einführten. Vor 100 Jahren hat die Bestattung in Särgen hier gar keine Rolle gespielt, die Verstorbenen wurden einfach im Boden des Hauses begraben. Nach Einführung der Sargpflicht hat aber bald ein Wandel von der Kistenform zum figürlichen Sarg eingesetzt. So entstand eine Tradition und Bestattungskultur, die nicht nur Ausdruck von Optimismus und Kreativität ist, sondern auch künstlerisches Feingefühl verlangt. Der Humor ist Teil des Lebens. Auch im Angesicht des Todes bleibt Raum für Lebensfreude und Aufrichtigkeit.

Afrikanische Lösungen
Gegen die extravaganten Särge wehren sich die meisten Kirchen. Die figürlichen Särge dürfen – bis auf wenige Ausnahmen – nicht zum Gottesdienst in die Kirche gebracht werden, auch wenn ein prominentes Kirchenmitglied einen Sarg in Form einer aufgeschlagenen Bibel erhält. Die typische afrikanische Lösung ist: Der Pfarrer hält in solch einem Fall seine Predigt im Freien vor dem Haus der Familie. Der Adler ist eines der wenigen Symbole, die von den Kirchen für figürliche Särge zugelassen werden. In dem Buch ist auch dieser Sarg abgebildet, der einem hohen Geistlichen als letzte Ruhestätte dient.

Wenn eine muslimische Familie einen Verstorbenen mit einem figürlichen Sarg auf besondere Weise ehren will, muss auch hier ein afrikanischer Kompromiss geschlossen werden. Muslime müssen gemäß den islamischen Vorschriften in Tüchern beerdigt werden. Aber in Afrika kann man – wie ich es erlebt habe – jede Regel umgehen. Muslime umgehen die religiöse Vorschrift, indem der Verstorbene in einen Sarg gelegt wird, auf dem Friedhof wieder herausgenommen und dort in einem weißen Tuch beerdigt wird.

Bei Bestattungen von Königen, Priestern, Priesterinnen und anderen Angehörigen der sogenannten traditionellen Gesellschaft spielen Regeln und Rituale der religiösen Kultgruppe eine Rolle. In ihrer Abfolge entsprechen traditionelle Beisetzungen den Riten, die von der verstorbenen Person bei ihrer Amtseinführung durchlaufen wurden. Ein Dorfkönig wird in einem goldenen Hocker (als Machtsymbol) zu Grabe getragen.

In den letzten Jahren hat sich in der ghanaischen Bestattungskultur ein neuer Trend herausgebildet. Eine Gruppe junger Künstler tanzt bei Beerdigungen nach einer einstudierten Choreografie und zu trendiger Musik mit dem Sarg. Die speziellen Uniformen passen in Stil und Farbe zur jeweiligen Beerdigung und zum Sarg. Zu den Tanzauftritten gehört auch schwarzer Humor, wodurch die Trauernden abgelenkt werden sollen. Sie sollen nicht weinen, sondern sich freuen und lachen. Mit der Performance sollen die Angehörigen ermutigt werden, ein gelungenes Leben zu feiern und dankbar dafür zu sein, für alles, was die verstorbene Person der Familie sowie ihren Freunden geschenkt hat. Die Beerdigung sei das wichtigste Fest im Leben eines jeden Menschen. Alle anderen Feste könne man wiederholen oder nachholen. (Quelle: achgut.com, mit frdl. Genehmigung des Autors *Volker Seitz, Botschafter a.D. und Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert“, dtv, 2021 (11. aktualisierte Auflage).