
Bislang hatte kein Staat die Unabhängigkeit Somalilands anerkannt. Israels Entscheidung, diesen beispiellosen Schritt zu gehen, verändert nun die politischen Koordinaten am Horn von Afrika und innerhalb der arabischen Welt spürbar. Zwischen dem Streben nach strategischer Präsenz, regionalen Einflusskämpfen und diplomatischem Druck wirft diese Anerkennung grundlegende Fragen auf – sowohl nach ihren tieferen Motiven als auch nach ihren möglichen Folgen für Somalia, Ostafrika und den israelisch-palästinensischen Konflikt.
Eine historische Anerkennung mit Signalwirkung
Am Freitag, dem 26. Dezember 2025, gab Israel offiziell bekannt, Somaliland als „unabhängigen und souveränen Staat“ anzuerkennen. Damit ist Israel bislang das erste und einzige Land weltweit, das die selbsternannte Republik mehr als 35 Jahre nach ihrer Abspaltung von Somalia diplomatisch anerkennt. Dieser Schritt verleiht einer faktischen Realität formellen Status: Seit seiner Unabhängigkeitserklärung im Jahr 1991 verwaltet Somaliland den Großteil des von ihm beanspruchten Territoriums eigenständig und vergleichsweise stabil, ohne jedoch lange Zeit internationale Anerkennung zu erhalten.
Israel begründet seine Entscheidung mit einem auf Gegenseitigkeit beruhenden Abkommen, das als Träger „potenzieller Vorteile für beide Seiten“ dargestellt wird. Zugleich beruft sich die israelische Regierung auf den „Geist der Abraham-Abkommen“, mit denen seit 2020 mehrere arabische Staaten ihre Beziehungen zu Israel normalisiert haben. Ziel sei es, die diplomatische Akzeptanz Israels in der muslimischen Welt weiter auszubauen.
Somaliland wiederum, das seit seiner Unabhängigkeit in einem anhaltenden politischen Konflikt mit Mogadischu steht, unterstreicht seine Autonomie und verweist auf seine relative Stabilität in einer von Instabilität geprägten Region. Dieses Selbstbild stärkt sein Narrativ als verlässlicher und berechenbarer Partner.
Euphorie in Hargeisa und neue Kooperationsperspektiven
In Hargeisa, der Hauptstadt der selbsternannten Republik, wurde die Entscheidung Israels mit außergewöhnlicher Begeisterung aufgenommen. Hunderte Menschen versammelten sich im Stadtzentrum, viele von ihnen mit israelischen Flaggen – Bilder, die in einer überwiegend muslimischen Gesellschaft Seltenheitswert haben. Für viele Einwohner Somalilands symbolisiert dieser Moment den Durchbruch einer jahrzehntelangen, international weitgehend ignorierten Anerkennungsbemühung.
Kurz nach der Ankündigung führten der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu und der somaliländische Präsident Abdirahman Mohamed Abdullahi ein Telefongespräch. Beide Seiten sprachen über eine rasche Intensivierung der bilateralen Zusammenarbeit in Bereichen wie Landwirtschaft, Gesundheitswesen, Technologie und Wirtschaft. Zugleich wurden mittelfristige Strukturprojekte in Aussicht gestellt. Der Präsident Somalilands bezeichnete den Tag als „historisch“ und sprach von einer „goldenen Seite“ in der Geschichte seiner Nation. Zudem erklärte er seine Absicht, den Abraham-Abkommen beizutreten.
Scharfe Ablehnung durch Somalia und regionale Akteure
In der Region stieß die Entscheidung jedoch auf massive Kritik. Die somalische Regierung verurteilte Israels Anerkennung Somalilands als „illegal“ und als gezielten Angriff auf die nationale Souveränität. Nach internationalem Recht bleibe Somaliland ein „integraler, untrennbarer und unveräußerlicher Bestandteil“ Somalias. Aus Sicht Mogadischus stellt der Schritt eine klare Einmischung in innere Angelegenheiten dar und verschärft die ohnehin fragile politische Lage des Landes.
Auch Ägypten und die Türkei äußerten scharfe Kritik und ordneten die Anerkennung in eine vermeintlich „expansionistische Politik“ Israels ein. Sie sehen darin zudem einen weiteren Versuch, die internationale Anerkennung eines palästinensischen Staates zu unterlaufen. Die Arabische Liga, Saudi-Arabien und Dschibuti schlossen sich der Ablehnung an und warnten vor einer weiteren Destabilisierung des Horns von Afrika sowie vor der Infragestellung bestehender international anerkannter Grenzen.
Hinzu kommt, dass Eritrea in der Region bereits als enger Verbündeter Israels gilt und – neben Kamerun – zu den wenigen afrikanischen Staaten zählt, die den Staat Palästina nicht anerkannt haben. Mit Somaliland gewinnt Israel somit einen potenziellen weiteren Partner in einer geopolitisch sensiblen Region.
Die Afrikanische Union warnte durch ihren Kommissionspräsidenten Mahmoud Ali Youssouf, dass jede Untergrabung der Einheit, Souveränität und territorialen Integrität Somalias einen gefährlichen Präzedenzfall schaffen könnte. Die Sorge ist groß, dass andere separatistische Bewegungen auf dem Kontinent ermutigt werden könnten, ähnliche Anerkennungen einzufordern – mit potenziell weitreichenden Folgen für Frieden und Stabilität in Afrika.
Selbst die Vereinigten Staaten reagierten zurückhaltend. Präsident Donald Trump distanzierte sich öffentlich von der einseitigen Initiative Benjamin Netanjahus und äußerte gegenüber der New York Post ironisch Zweifel an der internationalen Relevanz Somalilands. Diese amerikanische Zurückhaltung erschwert es Israel, die Anerkennung als klaren diplomatischen Erfolg auf globaler Ebene zu präsentieren.
Geopolitische Dimensionen und humanitäre Fragen
Für viele Beobachter geht die Anerkennung weit über einen symbolischen Akt hinaus und fügt sich in eine langfristige geopolitische Strategie ein. Israel strebt offenbar eine stärkere Verankerung am Horn von Afrika an – einer Schlüsselregion an der Schnittstelle von Rotem Meer, Golf von Aden und Indischem Ozean. Vor dem Hintergrund zunehmender Spannungen mit Iran und dessen regionalen Verbündeten sehen einige Analysten in diesem Schritt auch den Versuch, näher an den Einflussbereich der Huthi-Rebellen im Jemen heranzurücken, um deren Aktivitäten besser überwachen zu können.
Theoretisch könnte die Anerkennung zudem den Zugang zu internationaler humanitärer Hilfe erleichtern – ein entscheidender Faktor angesichts der schweren Ernährungskrise in Somaliland. Wiederkehrende Dürren und der Mangel an strukturierter multilateraler Unterstützung haben dazu geführt, dass Millionen Menschen unter akuter Mangelernährung leiden.
Bisher hat die fehlende internationale Anerkennung Somaliland den direkten Zugang zu UN-Hilfsfonds verwehrt und bestehende Krisen verschärft, trotz erheblicher interner Anstrengungen zur Stabilisierung. Die alleinige Anerkennung durch Israel dürfte jedoch kaum ausreichen, um diese Blockade aufzulösen, da der Widerstand Somalias innerhalb der Afrikanischen Union vorerst anhält.
Darüber hinaus kursieren umstrittene Spekulationen, wonach diese Annäherung auch im Kontext des israelisch-palästinensischen Konflikts instrumentalisiert werden könnte. Teilweise ist sogar von Szenarien einer möglichen Umsiedlung von Bevölkerungsgruppen aus dem Gazastreifen in diese Region Afrikas die Rede. Solche Überlegungen werden jedoch von regionalen wie internationalen Akteuren weitgehend zurückgewiesen.
Angesichts der breiten Ablehnung durch Nachbarstaaten, regionale Organisationen und die Afrikanische Union bleibt somit eine zentrale Frage offen: Wird Israels Anerkennung Somalilands tatsächlich nachhaltige politische und wirtschaftliche Vorteile für beide Seiten bringen – oder handelt es sich um ein riskantes Manöver mit hoher symbolischer Wirkung, dessen langfristiger Nutzen begrenzt bleibt? (Quelle: afrik.com)