
Von *Volker Seitz • Wir sollten den Menschen in Afrika mehr zutrauen und ihnen nicht einreden, dass sie ihre Probleme nicht selbst lösen können. Hilfe zur Selbsthilfe könnte vielfach mit einfachen Mitteln und Ideen umgesetzt werden. Die sind der deutschen Entwicklungshilfe aber wohl nicht teuer genug.
Die Debatte um Armut in Afrika ist ein Evergreen. Das konstruierte Bild vom hilfsbedürftigen Afrika ist ein Produkt des politischen Lobbyismus „für Afrika“. Deutsche Politiker lassen sich von Prominenten und Medien unter Druck setzen. Die Folge ist, dass die Afrika-Politik auf der „Helfen“-reduzierten Oberfläche bleibt. Welcher deutsche Politiker hat schon einmal mit kritischen Afrikanern wie Moeletsi Mbeki, Andrew Mwenda oder Axelle Kabou gesprochen?
Manchmal findet man Erstaunliches zu dem Thema in der FAZ. Am 30.10. 2025 zum Beispiel eine Leseranfrage: „Wieso geht es Afrika wirtschaftlich so schlecht?“ Warum schaffen es afrikanische Länder nicht, zu prosperieren? Erfreulicherweise wird die Frage von den Entwicklungsökonomen Rainer Thiele und Tobias Heidland, beide Professoren an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, realistisch beantwortet. Sie schreiben: „Dies liegt vor allem daran, dass die Regierungen nicht in der Lage oder willens sind, die Einnahmen aus dem Verkauf der Rohstoffe produktiv einzusetzen, etwa für den Ausbau der Infrastruktur oder des Bildungssystems … Vieles begünstigt nur eine kleine Elite. Das Paradebeispiel hierfür ist Nigeria, der größte Erdölproduzent Afrikas. Dort verdrängte die Ölindustrie in den Siebzigerjahren die bis dahin konkurrenzfähige Landwirtschaft und verhinderte breitenwirksames Wirtschaftswachstum. Selbst in einem Land wie Ghana, das ab 1984 mehrere Jahrzehnte stetiges Wirtschaftswachstum unter stabilen Rahmenbedingungen erreichte, führten die Ölfunde 2007 zu einer drastischen Verschlechterung der Regierungsführung mit zunehmender Staatsverschuldung und Korruption…Der erhoffte Wachstumsschub blieb aus. Mit Botswana hat es nur ein afrikanisches Land geschafft, Reichtum an Rohstoffen – dort Diamanten – mithilfe einer dem Wohl des Landes verpflichteten Regierung in langanhaltendes Wirtschaftswachstum umzusetzen.“
Wir sollten endlich auf die Bremse treten
Fazit: Meist liege es an der schlechten Wirtschaftspolitik der Regierungen. Das sind unbequeme Wahrheiten – nicht zuletzt können autokratische Regierungen in Afrika die Armut ihrer Bevölkerungen sowie die Entwicklungspolitiker, unterstützt von der Medienwelt („Journalisten wollen nicht sachlich informieren, sondern moralisch kontrollieren“, sagt Norbert Bolz), das Elend der einfachen Afrikaner als Ressource nutzen. Ich habe immer wieder über die Verirrungen der deutschen Entwicklungspolitik für Afrika und die intransparenten Strukturen des gigantischen Entwicklungshilfeapparates geschrieben.
Regierungen vieler an Rohstoffen sehr reicher Staaten – wie etwa Angola, Kongo, Kamerun, Kenia, Gabun, die beiden Kongos – verstecken sich hinter ihren Bedürftigen, während sie sich maßlos bereichern. Gerade in diesen Staaten sind Korruption und der Schlendrian auf höchstem Niveau. Die meisten afrikanischen „Eliten“ haben ihren Wohlstand nicht erfolgreicher Arbeit, sondern der Ausnutzung politischer Macht zu verdanken. Sie können Schmiergelder verlangen. Deshalb sollten wir endlich auf die Bremse treten und die jährlichen, derzeit rund 10,31 Milliarden Euro bilateraler Hilfe (mit multilateraler Hilfe ca. 30 Milliarden Euro jährlich) nicht mehr so wahllos einsetzen. Wir müssen auch nicht weiter Frankreich und Großbritannien übertrumpfen wollen, indem wir so viel „Hilfe“ wie beide Länder zusammen geben.
Afrika ist keineswegs arm, es verfügt über immense unerschlossene Reichtümer. Ein Großteil der weltweiten Diamanten- und Chromvorkommen, sowie Mangan-, Gold-, Kobalt-, Phosphat-, Platin-, Kupfer- und Bauxitvorkommen findet sich auf dem Kontinent. Trotz der Millionen Hektar ungenutzter landwirtschaftlicher Nutzflächen kommt aus Afrika 70 Prozent des weltweit gehandelten Kakaos und 60 Prozent des Kaffees.
Staatsgarantien für mittelständische deutsche Unternehmen
Zahlreiche Staaten, z.B. Namibia, Gabun und Kongo, wollen künftig ihre Rohstoffe vermehrt selbst verarbeiten. Deutsche Unternehmen könnten durch gezielte Investitionen in Infrastruktur – allerdings nur in Ländern, in denen die bestehenden Anlagen dauerhaft instandgehalten werden –, Ausbildung und Qualifizierung einen Beitrag leisten. Deshalb sollte ein größerer Teil der Entwicklungshilfe als Staatsgarantie für deutsche mittelständische Unternehmen gegeben werden.
Das würde viele Menschen in Afrika in Lohn und Brot bringen. Ich meine, die Bundesregierung sollte Mut beweisen und im Rahmen ihres Afrika-Engagements entsprechende Risiken absichern und Investitionen steuerlich fördern. Daneben sollten mit mehr afrikanischen Ländern Doppelbesteuerungsabkommen abgeschlossen werden. Das Thema Investitionsschutz sollte auf europäischer Ebene aktiv aufgegriffen werden, um Verhandlungen über europäische Investitionsförderungs- und Schutzverträge aufzunehmen. Über die Verbände könnten die Unternehmer auf die Bundesregierung einwirken.
Derzeit leben ungefähr 11 Millionen afrikanische Migranten in Europa. Afrikaner, die es außerhalb ihres Kontinents geschafft haben, erfolgversprechende Produkte oder Dienstleistungen zu entwickeln, sollten gefördert werden. Der deutsche Mittelstand und die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) könnten Managementfähigkeiten unterstützen, und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) könnte für einige Jahre Wagniskapital zur Verfügung stellen. Die damit gegründeten Unternehmen, etwa im Handwerk, in der Infrastruktur, Lebensmittelverarbeitung, Medizintechnik, Biotechnologie, Pharmazie oder IT, könnten dringend benötigte Arbeitsplätze schaffen.
Für das Ministerium nicht teuer genug?
Ich rege direkte Investitionen aus Entwicklungshilfemitteln auch zum Aufbau einfacher, arbeitsintensiver Industrien an, zum Beispiel, um Pflastersteine herzustellen, um einfache Straßen zu bauen. Asphaltstraßen müssen oft schon nach der zweiten Regenzeit instandgesetzt werden, während Pflastersteine bei Bedarf leicht ersetzt werden können. Ich habe ein derartiges Projekt in Benin begleitet. Obwohl es der afrikanischen Jugend Arbeit und eine Zukunft gegeben hat, wurde es aus mir unverständlichen Gründen wieder eingestellt. Es war offenbar für das BMZ nicht teuer genug.
Eine weitere Idee wäre die Gründung eines Unternehmens für das Recycling von Elektroschrott, als Ersatz für die Deponie von Agbogbloshie in Accra, der Hauptstadt von Ghana. Viele Menschen sind dort wirtschaftlich von der Arbeit auf der Müllhalde abhängig. Junge Männer und Kinder arbeiten unter gefährlichen Bedingungen (Atemwegserkrankungen, Krebsrisiko), um die oft aus Europa illegal eingeführten Geräte, Computerfestplatten, Kühlschränke, Gefriertruhen und Fernseher manuell zu zerlegen, um wertvolle Metalle zu gewinnen. Die Verbrennung von Elektroschrott setzt giftige Dämpfe frei. Toxische Chemikalien gelangen in den Boden und das Grundwasser.
Die wertvollen Rohstoffe wie Kupfer, Coltan und Cadmium könnten gesundheitlich fachgerecht in einem gemeinsamen Unternehmen recycelt werden. Wenn die Jugendlichen angestellt würden, könnten sie zum Familienunterhalt beitragen. Hier könnte die deutsche Entwicklungshilfe tatsächlich etwas für den Umweltschutz, die Gesundheitsvorsorge sowie soziale Gerechtigkeit tun. Der Klima-Aktivismus wie in Europa funktioniert in Afrika nicht. Hier könnten wir allerdings das Klima in Accra wahrhaftig verbessern.
Bleibt der Erfolg aus, fließt kein Geld mehr
Jeder beruflich qualifizierte Afrikaner, der in sein Land zurückkehren will, sollte großzügige Starthilfen bekommen, um ihn beim Berufsstart in seiner Heimat zu unterstützen, etwa Anschubfinanzierung für eine Firmengründung. Sogar ein Betrag bis zu 100.000 Euro wäre schon nach einigen Monaten billiger als eine dauerhafte Arbeitslosigkeit in Deutschland.
Es sollte eine konkrete, transparente Ergebnisvereinbarung zwischen Geber und Nehmer geben. Die GIZ könnte bei einem Businessplan helfen und die Firma für eine festgelegte Zeit betreuen. Sobald der ehemalige Migrant Ergebnisse nachweist, die von unabhängigen Prüfern abgenommen wurden, zahlt die KfW sukzessiv die zugesagte Summe. Über jedes Projekt muss regelmäßig Rechenschaft abgelegt werden. Bleibt der Erfolg aus, fließt kein Geld mehr.
Dieses Konzept bringt die Leute dazu, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Teurer als alle bisherigen Versuche würde es nicht werden, und wir würden nicht mehr das Narrativ der afrikanischen Armut und Hoffnungslosigkeit pflegen.
Wir sollten das „Brücke am Kwai“-Syndrom, das dazu führt, dass man der geleisteten Arbeit mehr Wert beimisst als dem, was als Wirkung dabei herauskommt, endlich erkennen. Wohltätigkeit ist etwas Wunderbares, aber nicht unbedingt ein Hebel, der in 60 Jahren Entwicklungs„hilfe“ in Afrika Spuren hinterlassen hat. Und wir sollten den Menschen in Afrika nicht mehr einreden, dass sie ihre Probleme nicht selbst lösen können. (Quelle: achgut.com, mit frdl. Genehmigung des Autors *Volker Seitz, Botschafter a.D. und Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert“, dtv, 2021 (11. aktualisierte Auflage).