Marokko: Das Kollektiv GenZ 212 ruft König Mohammed VI. auf, seinen immensen Reichtum zu teilen

Marokko: Das Kollektiv GenZ 212 ruft König Mohammed VI. auf, seinen immensen Reichtum zu teilen
Symbolbild

Es gibt Erschütterungen, die nicht von tektonischen Platten ausgehen, sondern aus den Tiefen eines Volkes. Seit einigen Tagen erlebt Marokko eine beispiellose Bewegung – zugleich generationell und zutiefst politisch: Die GenZ 212, ein Kollektiv junger Marokkanerinnen und Marokkaner, ist auf die Straße gegangen, um ihrer Wut Ausdruck zu verleihen. Eine kalte, strukturierte Wut, entschlossen auf die Zukunft gerichtet. Ihre Worte und Forderungen sind klar: sofortige Reformen im Bildungs- und Gesundheitssystem, Auflösung der Regierung – und nun auch ein direkter Appell an König Mohammed VI.

Dieser letzte Punkt markiert eine Wende. Bislang richteten sich die Protestierenden nur indirekt an den Monarchen – durch Slogans oder symbolische Anspielungen. Doch in einer kürzlich veröffentlichten Erklärung hat die GenZ 212 eine neue Haltung eingenommen: Sie spricht Mohammed VI. direkt an, fordert ihn nicht nur auf zu vermitteln, sondern sich persönlich zu engagieren – nicht symbolisch, sondern konkret, indem er einen Teil seines gewaltigen Privatvermögens zum Wohle des marokkanischen Volkes teilt.

Wenn Schweigen unerträglich wird
Das Königreich wird von einer Monarchie regiert, die nach wie vor über ein starkes symbolisches Kapital verfügt – besonders in den ärmeren Bevölkerungsschichten. Der König steht für Einheit, Kontinuität und, im kollektiven Bewusstsein, für Schutz. Doch diese unausgesprochene Verbindung zwischen Volk und Thron beruht auf einem Gleichgewicht: Wenn Regierungen versagen, wird der König zur letzten Zuflucht. Genau diesen moralischen Vertrag reaktiviert – und prüft – die GenZ 212 heute.

Denn das Schweigen des Palastes angesichts der wachsenden Proteste wird von Tag zu Tag schwerer zu ertragen. Während junge Menschen auf den Straßen sterben – bereits drei bei eskalierten Demonstrationen –, während die Slogans von Rabat bis Agadir hallen, hat der König bisher nicht gesprochen. Kein Wort. Kein Zeichen. Und doch richtet sich die GenZ 212 nun direkt an ihn – in einem Ton, der zugleich respektvoll und bestimmt ist: „Eure Majestät, wo seid Ihr?“

Ein Reichtum, der geteilt werden soll
Die wohl auffälligste und kühnste Forderung der Bewegung lautet: die Teilung des königlichen Vermögens. Mohammed VI. gilt regelmäßig als einer der reichsten Monarchen der Welt. Das Magazin Forbes schätzte sein persönliches Vermögen auf mehrere Milliarden Dollar. Der König kontrolliert weite Teile der marokkanischen Wirtschaft über die königliche Holding Al Mada (früher SNI), die in strategischen Sektoren präsent ist: Energie, Telekommunikation, Banken, Bergbau, Immobilien usw.

Das Kollektiv GenZ 212 bittet nicht um Almosen und fordert keine einmalige „Spende“. Es verlangt eine klare politische und moralische Geste: die freiwillige Umverteilung eines Teils dieses privaten Reichtums – in einem Land, in dem die Mehrheit der Bevölkerung kaum Zugang zu angemessener Gesundheitsversorgung, zu guter Bildung oder zu einem würdigen Leben hat.

Manche sehen darin eine Provokation, andere eine historische Bewusstwerdung: Man kann nicht länger mit einem so großen Widerspruch zwischen königlichem Prunk und sozialem Elend regieren. Ein modernes Marokko kann nicht auf veralteten Krankenhäusern aufgebaut werden, während man Stadien für die Fußball-WM 2030 errichtet. Ebenso wenig kann es hinnehmen, dass private Vermögen ins Unermessliche wachsen, während sich drei Kinder ein einziges Schulbuch teilen müssen.

Patriotismus und Klarheit
Es ist wichtig zu betonen, dass die GenZ 212 keine anti-monarchische Bewegung ist – im Gegenteil. Ihre Mitglieder betonen immer wieder ihre Verbundenheit mit den Institutionen, ihren Nationalstolz und ihren Willen, das Land von innen heraus zu verändern. Sie verbrennen keine Flaggen, sie rufen nicht nach Revolution; sie fordern Gerechtigkeit, Würde, Konsequenz – und vor allem echtes Zuhören.

In diesem Sinne richtet sich ihre Botschaft sowohl an den König als auch an das Volk: Es ist an der Zeit, dass die Reichtümer des Landes – ob natürliche, wirtschaftliche oder symbolische – allen zugutekommen, nicht nur einer privilegierten Minderheit.

Ihr Slogan „Wir wollen Krankenhäuser, nicht nur Stadien“ spricht Bände. Er stellt sich nicht gegen Fortschritt oder Marokkos internationale Ambitionen. Er sagt lediglich, dass Entwicklung ausgewogen sein muss. Dass das Bild, das man nach außen vermittelt, die Realität im Inneren widerspiegeln sollte. Derzeit aber ist dieses Bild verzerrt: glänzend nach außen, vernachlässigt nach innen.

Was die Bewegung stark macht, ist ihre Basis: eine hypervernetzte, informierte, klare und entschlossene Jugend. Entgegen den verbreiteten Klischees ist die marokkanische Generation Z weder apathisch noch „abgehängt“.

Die Jugend als Motor des Wandels
Ja, sie ist wütend – aber ihre Wut ist durchdacht. Sie lehnt sinnlose Gewalt ab, verurteilt Ausschreitungen, aber sie wird nicht zurückweichen. Und sie hat recht. Denn wenn sich nichts ändert, wird diese Jugend das Land verlassen. Sie wird anderswo ihre Zukunft aufbauen – wie es schon Tausende vor ihr getan haben. Das wäre eine nationale Tragödie. Nicht, weil sie sich vom Land abwendet, sondern weil man ihr keinen Grund gegeben hat, daran zu glauben.

Mohammed VI. steht nun vor einer Wahl: Er kann bei den üblichen Floskeln bleiben – „Die Regierung wird den Dialog suchen“, „Die Institutionen hören zu“ –

oder er kann eine starke, historische Geste setzen. Er könnte die diskreditierte Regierung auflösen. Eine große soziale Umverteilungsreform starten. Und ja – warum nicht? – einen Teil seines Vermögens in einen Fonds für Gesundheit und Bildung einbringen, verwaltet von unabhängigen Akteuren. Das wäre kein Zeichen von Schwäche, sondern von Größe.

Die GenZ 212 hat verstanden: Dieses Land braucht einen Schock, ein Erwachen.

Sie hat es auf der Straße begonnen – jetzt ist der König am Zug. (Quelle: afrik.com)