Marokko: Mangelnder Bürgersinn im Mittelpunkt der Debatten vor dem Afrika-Cup

Marokko: Mangelnder Bürgersinn im Mittelpunkt der Debatten vor dem Afrika-Cup

Drei Monate vor der Eröffnung des Afrika-Cups (CAN) und fünf Jahre vor der gemeinsam mit anderen Ländern organisierten Fußball-Weltmeisterschaft flammt in Marokko erneut die alte Debatte über fehlenden Bürgersinn auf. Laut einer im Mai veröffentlichten Umfrage glauben nur 3 % der Marokkaner, dass das Niveau an Bürgersinn im öffentlichen Raum hoch ist, berichtet RFI.

Diese Untersuchung hat eine wahre Flut von Artikeln ausgelöst, die alle dasselbe sagen: Auch wenn das Land bei diesen großen Sportereignissen dank seiner brandneuen Infrastruktur glänzen wird, könnte sein Image unter dem Chaos leiden, das auf seinen Straßen noch immer herrscht.

Ein altes Gebäude aus den 1930er-Jahren. Durch den großen Innenhof laufen jeden Tag Hunderte von Menschen. Kein Papier liegt auf dem Boden. Mohammed ist der Hausmeister des Gebäudes: „Die Leute werfen ihre Zigarettenstummel, Obstschalen, Verpackungen. Sie werfen sie hin, und ich sammle sie wieder auf. Ich kann nicht anders – ich bin der Hausmeister. Eigentlich besteht meine Arbeit nur darin, die Tür zu bewachen.“ Doch Mohammed ist gezwungen, auch den Hof zu reinigen: „Ich leide darunter, ich bin müde. Das ist nicht normal, das ist eine Schande, ehrlich gesagt.“

Genau das – die fehlende Sauberkeit – kritisiert auch die Mehrheit der Befragten in der Studie des marokkanischen Zentrums für Bürgersinn (CMC). Tausend Menschen wurden im ganzen Königreich befragt. 70 % warnen vor Belästigungen von Frauen, 60 % vor Verstößen gegen die Straßenverkehrsordnung.

„Wir leben im Chaos. Es gibt keinen Respekt. Wenn es welchen gäbe, würde all das nicht passieren.“ Nawal wohnt nur wenige Meter entfernt mit ihren beiden Kindern in einer Wohnung direkt über einer Bar. „Nachts gibt es Schlägereien, die Leute urinieren auf die Straße. Es wird ständig gehupt. Was soll man von der neuen Generation erwarten, die in so einem Umfeld aufwächst?“

Fehlender Bürgersinn – eine alltägliche Plage
Seit der Veröffentlichung der Umfrage des CMC sind Hunderte von Artikeln in der marokkanischen Presse erschienen. Nawal fühlt sich von den Behörden im Stich gelassen. Zusammen mit anderen Anwohnern hat sie mehrere Sitzstreiks organisiert, um ein Ende der Belästigungen zu fordern – bisher ohne Erfolg: „Wir haben Beschwerden eingereicht, sind zur Provinzverwaltung gegangen, haben sogar einen Anwalt genommen, aber nichts hat sich geändert. Wir wissen nicht, ob es ein Bildungsproblem ist oder ob die Leute es einfach egal finden. Sie sind völlig verantwortungslos. Im öffentlichen Raum respektieren sie gar nichts.“

Die Ursachen für den fehlenden Bürgersinn werden in den marokkanischen Medien intensiv diskutiert – ebenso wie die Maßnahmen, die zur Verbesserung der Lage beitragen könnten. Sollte nichts geschehen, warnen die Kommentatoren, könnte Marokkos „Soft Power“ erheblich darunter leiden.