Seit 6.11.2022: Paul Biya herrscht in Kamerun seit 40 Jahren

Seit 6.11.2022: Paul Biya herrscht in Kamerun seit 40 Jahren
Foto: Paul Biya, facebook

Biya ist – nach dem Präsidialdiktator Teodoro Obiang Nguema Mbasogo (80) aus dem Nachbarland Äquatorialguinea – der am längsten regierende Staatschef in Afrika. Die meisten Kamerunerinnen und Kameruner haben nie ein anderes Staatsoberhaupt erlebt als Paul Biya. 1982 wurde er Präsident, zuvor war er bereits sieben Jahre lang Premierminister gewesen. Er lenkt Kamerun seit 40 Jahre nach Gutdünken.

Er stützt seine Macht auf ethnische Loyalitäten und familiäre Bindungen. Öffentliche Posten wie Minister und Staatssekretäre oder Leitungspositionen in Staatsunternehmen besetzt er mit Vertrauten, die ihm gegenüber absolut loyal sind. Er regiert Kamerun mehr durch Direktiven als durch persönliche Auftritte. Wie bei allen Autokraten sind seine seltenen Reden vor jubelnden Massen inszeniert. Er begegnet seiner Umgebung mit grenzenlosem Misstrauen. Seine wichtigsten Minister sieht er höchstens einmal im Monat. Niemandem gesteht er über längere Zeit einen festen Platz in seiner engeren Umgebung zu.

Biya steht vor allem wegen der Beschränkung der Meinungsfreiheit und wegen staatlicher Gewalt in der Kritik. Die ehemalige deutsche Kolonie Kamerun (1884 – 1919) galt in den vergangenen Jahrzehnten als Stabilitätsanker Zentralafrikas. Das Land ist reich an Öl und Gas sowie an Mineralien, speziell Eisenerz, Bauxit, Mangan, Kobalt und Nickel, verfügt jedoch – auch wegen der schlechten Infrastruktur – über keine verarbeitende Industrie in diesen Sektoren, was das Land abhängig macht von den Preisentwicklungen an den internationalen Rohstoffmärkten. Die Wirtschaft entspricht bei weitem nicht ihrem Potenzial. Von den Bodenschätzen profitierten nur wenige Kameruner um die Familie Biya. Fast alle kamerunischen Regierungspolitiker haben ein Sonderbudget, das jeder parlamentarischen Kontrolle entzogen ist. Die oberste Schicht – so mein Eindruck in Kamerun – schwelgt in Luxus und Verschwendungssucht.

Das Land steht auf dem Korruptionswahrnehmungsindex 2021 von Transparency International auf Platz 144 von 180 und ist laut Weltbank nicht in der Lage, ausreichend Investitionen, insbesondere aus dem Ausland, anzuziehen. Ein Drittel der 28 Millionen Einwohner lebt von weniger als 2 Euro pro Tag und die Armutsrate liegt laut den Vereinten Nationen bei fast 40 %. Nur 10 % der Erwerbstätigen haben einen Arbeitsplatz im formellen Sektor.

Den Entwicklungshilfegebern versprach er – bereits zu meiner Zeit- regelmäßig Reformen, ohne dass er sie anwenden wollte.

Heute ist das Land innenpolitisch gespalten und geprägt von Konflikten.

Paul Biya lässt insbesondere seit seiner höchst umstrittenen Wiederwahl im Jahr 2018 jede abweichende Meinung gnadenlos unterdrücken, wobei es nach friedlichen Märschen im Jahr 2020 zu Verhaftungen von Hunderten von Oppositionsführern und Regierungsgegnern kam. Im Dezember wurden rund 50 Personen wegen „Rebellion“ zu ein- bis siebenjährigen Haftstrafen verurteilt.

Biya hat ein informelles System von Personenbeziehungen aufgebaut, das der Machtausübung dient. Sein Machtgerüst besteht aus Bestechung, Erpressung und Wahlmanipulation. Korruption seiner engen Mitarbeiter wird geduldet, solange sie dem Regime nützlich sind. Die meisten seiner Günstlinge wurden zu Millionären gemacht. Nicht mehr nützlich, wurden sie angeklagt und verschwanden in Gefängnissen. Zurzeit sitzen etwa 20 seiner ehemaligen Minister in Haft.

Das Land ist im anglophonen Westen in Bürgerkrieg versunken, weil Biya seit 2017 jede Form von Protest brutal niederschlagen läßt. (Kamerun besteht aus zehn Provinzen, acht davon französischsprachig (ca. 22 Mio. Einwohner), zwei englischsprachig (ca. 6 Mio. Einwohner). Separatisten fordern die Unabhängigkeit zweier Provinzen, in denen der überwiegende Teil der englischsprachigen Bevölkerung lebt. Die Krise im englischsprachigen Teil Kameruns wurde anfangs geleugnet, dann zum Terrorismus-Problem erklärt. Auf beiden Seiten gab es bislang keine Verhandlungsbereitschaft.

Vor diesem Hintergrund ist es auch interessant, dass der russische Verteidigungsminister im April 2022 ein auf fünf Jahre angelegtes Abkommen über militärische Zusammenarbeit mit Kamerun unterzeichnet hat.

Teure Urlaube auf Staatskosten
Während sein Land verarmt, gönnt sich Biya mit stattlicher Entourage immer längere Aufenthalte vorwiegend in der obersten Etage des Hotels Intercontinental in Genf. Mit Blick auf Montblanc und Genfer See. Seine fast vierzig Jahre jüngere Frau Chantal, die für ihre teuren Kleider und ihre extravagante Frisur bekannt ist, begleitet ihn auf nahezu allen Trips. Hinzu kommt eine ganze Reihe von Ministern, Bodyguards, Dienstpersonal und weiteren Mitarbeitern. Laut ehemaligen Vertrauten gehörten der Entourage bis zu fünfzig Personen an. Am 18. Februar 2018 veröffentlichte OCCRP (Organized Crime and Corruption Reporting Project), ein Zusammenschluss von 40 Non-Profit Organisationen, unter anderem 14 aus Afrika, mit Unterstützung von Amnesty International die privaten Kosten der Auslandsreisen zu Lasten der Staatskasse. Insgesamt habe Biya seit 1982 viereinhalb Jahre (1.645 Tage) im Ausland verbracht und dafür 65 Millionen US-Dollar ausgegeben.

Um die Kosten der Reisen zu schätzen, haben sie den Übernachtungspreis im Fünf-Sterne-Intercontinental in Genf, wo Biya sich üblicherweise aufhält, mit den Aufenthaltstagen multipliziert. Die Hotelrechnung für Biya und sein Gefolge summierte sich auf 40.000 Dollar pro Tag. Hinzu kamen 117 Millionen Dollar für Fluggerät, zumal die Maschinen bis zu 14 Tage standby (mit täglichen Kosten von 157.000 Dollar) stehen bleiben mussten.

Ein Urlaub vor ein paar Jahren, den Biya mit seinem Hofstaat und der Familie im französischen La Baule verbrachte, war ausgesprochen mondän: 43 Suiten mieteten der Präsident und seine Entourage (Butler, Zofe bis zum Chauffeur, alle sind mit Diplomatenpässen ausgestattet) für 800.000 Euro.

Kein Vertrauen in Institutionen
Die letzte Präsidentschaftswahl vom 7. Oktober 2018 hat der greise Biya „offiziell“ mit 71,1 Prozent der Stimmen gewonnen. Der Rechtsanwalt (in Paris zugelassen) und Oppositionsführer Maurice Kamto wurde mitsamt Dutzenden seiner Mitarbeiter Ende Januar 2019 festgenommen und der Rebellion angeklagt. Dennoch hatte die EU – auch im Namen der „Entwicklungszusammenarbeit“ – das „freie und faire“ Wahl-Ergebnis auch diesmal hingenommen – egal wie es zustande kam. Sie redeten nur von ein paar Unregelmäßigkeiten. Sie sahen trotz einer verbreiteten Unzufriedenheit über Biyas Amtsführung und der Ungewissheit über den Gesundheitszustand seine Wiederwahl als „Stabilität“.

Die allgegenwärtige Korruption hat jedes Vertrauen der Bürger in die Institutionen zerstört. Keine kamerunische Regierung hat es vermocht, die Bürger effizient, ohne Korruption und Vetternwirtschaft, mit staatlichen Dienstleistungen zu versorgen. Anstelle von Regeln gibt es nur Beamte, die immer beweisen können, dass der Bürger im Unrecht ist, solange, bis er genug bezahlt.

Der auch in Europa bekannte kamerunische Schriftsteller Patrice Nganang („Hundezeiten“) meint, dass Kamerun eine neue Verfassung brauche, einen neuen Gesellschaftsvertrag, um die „Klugheit, die Fantasie“ der Kinder Kameruns einzusetzen. Dies sei aber nur „auf der Asche des Regimes möglich“. „In Afrika ist die Lücke zwischen dem Alter der politischen Führer und der jungen Bevölkerung größer als irgendwo sonst“, sagt Zachariah Mampilly, Professor für Afrikastudien am Vassar College, einer Elitehochschule in Poughkeepsie im Bundesstaat New York.

Nachfolge
Politische Kreise in Kamerun spekulieren, dass Paul Biyas ältester Sohn, Franck wie die Söhne der Autokraten in Togo, Kongo, Gabun und Tschad nach der Macht greifen könnte.  Die sozialen Medien werden seit 2021 mit Bildern von Franck Biya überflutet, wie er angeblich Unterstützung für seine eigene politische Partei sammelt. Bemerkenswert: als im Juli 2022 der französische Präsident Macron Kamerun besuchte, wurde ihm Franck Biya offiziell vorgestellt.

Auch dem populären ehemaligen Fußballspieler und seit Dezember 2021 Präsidenten des kamerunischen Fußballverbands Fecafoot, Samuel Eto’o werden nach dem Vorbild von George Weah in Liberia, Ambitionen für die Nachfolge von Biya nachgesagt.

„Die Opposition ist nicht geeint und stark genug, um sich ernsthaft um das höchste Amt zu bewerben“, urteilte der Politologe Jacques Ebwea gegenüber AFP. Andererseits besteht die Gefahr, dass die Regierungspartei RDPC „nach dem Tod des Präsidenten in mehrere Fraktionen zerfällt“ und sich über die Anwärter zerstreitet, warnt sein Kollege Louison Essomba. Zu den ernsthaftesten gehört der Generalsekretär des Präsidialamtes, Ferdinand Ngoh Ngoh, der als enger Vertrauter der sehr einflussreichen First Lady Chantal Biya gilt. Er übt de facto per Delegation einen Großteil der Exekutivgewalt aus und hat Vertraute an der Spitze der Verwaltung platziert.

Sollte sich ein Nachfolger von Biya (er wird im Februar 90) wirklich dem Rechtsstaat und der Gewaltenteilung verpflichtet fühlen und ein echter Wechsel in dem Land einkehren, wäre dies ein positives Ereignis für die ganze Region. Für einen Nachfolger bleiben die größten Probleme der Kampf gegen Armut, die korrupten Praktiken der Willkür und Bestechlichkeit im täglichen Leben und die Arbeitslosigkeit. Es wird ihm nichts weiter übrigbleiben als mit glaubwürdigem und kompetentem Personal um Vertrauen zu werben. Kameruner, die ich kenne, wünschen sich nach Biya eine Persönlichkeit, die sie wirklich repräsentiert. (*Volker Seitz)

*Volker Seitz war von 1965 bis 2008 für das deutsche Auswärtige Amt tätig, zuletzt als Botschafter in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und Äquatorialguinea mit Sitz in Jaunde. Er ist Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert“ (dtv).  Inzwischen liegt das Buch aktualisiert und erweitert in elfter Auflage vor.