* Volker Seitz: Deutsche wissen offenbar immer, was anderen guttut

* Volker Seitz: Deutsche wissen offenbar immer, was anderen guttut
„Die wissen nicht einmal, wie ein Brunnen aussieht.“

Wenn junge „Voluntouristen“ zum „Helfen“ nach Afrika kommen, klingt das erst mal gut. Aber ob die Afrikaner von diesen Egotrips ins Elend profitieren, darf mit Fug und Recht bezweifelt werden.

Die Welt am Sonntag vom 8. August 2025 schrieb unter dem Titel „Wenn Touristen Einheimischen helfen wollen – und das Gegenteil eintritt“: Viele junge Menschen verbinden Auslandsaufenthalte mit einem freiwilligen Engagement, etwa für Kinder oder Tiere. Das kann vor Ort großen Schaden anrichten. Manche Einrichtung wird sogar eigens geschaffen, damit ausländische Helfer etwas zu tun haben.“

Tatsächlich werben verschiedene Anbieter für ein freiwilliges Engagement in Afrika. Zahlenden Kunden wird ermöglicht, ein Abenteuer zu erleben und gleichzeitig Gutes für Kinder oder Tiere zu tun:

•  Auf dem ärmsten Kontinent der Welt helfen

•  Sprachkenntnisse ausbauen – Englisch und Französisch

•  Freiwilligenarbeit mit Kindern, Tieren, Randgruppen

In dem Artikel der WamS wird Alien Spiller, Referentin für Tourismus und Entwicklung und Leiterin der Fachstelle „Tourism Watch“ beim kirchlichen Hilfswerk Brot für die Welt, zitiert: „Beim Voluntourismus stellt sich immer die Frage, ob die Arbeit den lokalen Bedürfnissen tatsächlich zugutekommt und lokale Akteure als gleichwertige Partner, nicht nur als Dienstleister, eingebunden werden.“

Aktivismus der guten Gesinnung
Diese Fragen habe ich während meiner 17 Jahre in verschiedenen Ländern in Afrika immer wieder gestellt. Leider war das selten der Fall. Anderen Menschen zu helfen – oder zumindest zu glauben, dass man es tut – ist ein vermutlich altes, allzu menschliches Bedürfnis. Es wird ein gutes Gefühl erzeugt, weil man vermeintlich die Notleidenden bedacht hat. Die gute Absicht aber reicht nicht.

Welchen Schaden Voluntouristen anrichten, erklärt Antje Monshausen, Geschäftsführerin der Kinderrechtsorganisation ECPAT Deutschland: „Voluntourismus ist eine, wenn nicht die zentrale Triebkraft hinter der Eröffnung von Waisenhäusern im globalen Süden. Diese Waisenhäuser werden aufgebaut, weil es Touristen gibt, die dafür zahlen, vermeintliche Waisen zu besuchen und zu unterstützen.“ In der Hoffnung auf ein besseres Leben, gefüttert durch falsche Versprechungen oder eine finanzielle Entschädigung, gaben Eltern ihre Kinder in Heime. Es seien Fälle bekannt, in denen versucht worden sei, die Kinder zurückzuholen – ohne Erfolg: Die Kinder hätten freigekauft werden müssen und den Familien hätten die erforderlichen Mittel dafür gefehlt.

Frau Spiller berichtet über Auswilderungsstationen im südlichen Afrika, wo Tiere eigens für Voluntouristen gefangen werden und die nach der langen Interaktion mit Menschen in der Natur nicht mehr überlebensfähig sind.

Spätestens hier muss Aktivismus der guten Gesinnung – es gibt keine Statistiken, aber EPAC schätzt, dass im kommerziellen Bereich jährlich 15.000 bis 25.000 Deutsche an freiwilligen Einsätzen im Ausland teilnehmen – mit einem großen Fragezeichen versehen werden. Ich bezweifle, dass bisher aus den Erfahrungen die richtigen Schlüsse gezogen werden. Ohne nennenswerte Lebens- und Berufserfahrung kann man keine Hilfe leisten.

Hilfsbedürftige mit Helferwillen
Auch braucht man die unabdingbare Sensibilität für Menschen und Situationen in einem völlig fremden Umfeld. Das Bemühen, als Hobbyhelfer etwas Gutes für die Völkerverständigung machen zu wollen, reicht nicht. „Hilfsbedürftige mit Helferwillen“ hat ein EU-Kollege in Benin einmal die bleichen jungen deutschen Mädchen und Burschen genannt, die „helfen“ wollen. Sie tragen gerne Hosen aus „typisch afrikanischen“ Stoffen mit Java-Batik-Muster oder haben das dünne Haar zu Rasta-Zöpfen gedreht, um ihre Solidarität zu zeigen. Viele Afrikanerinnen und Afrikaner machen sich darüber lustig.“

Davon abgesehen, übernehmen die jungen Leute Arbeiten, für die in den betreffenden Ländern genügend Personal zur Verfügung steht. Man müsste die Menschen dort nur anleiten und angemessen bezahlen. Man stelle sich den Aufschrei an einer hiesigen Schule oder in einem Kindergarten vor, wenn ein tansanischer Schulabgänger hierherkäme, um deutsche Kinder in Englisch zu unterrichten oder Kindergartenkinder zu erziehen. Er würde wohl erst einmal nach seiner Qualifikation gefragt. Es ist schön, wenn sich junge Menschen für positive Veränderungen einsetzen, aber sie müssen sich dann auch kritische Fragen stellen (lassen): Ist das Aufwachsen in Deutschland automatisch eine Qualifikation, um in Afrika „helfen“ zu können? Wo kann ein Abiturient ohne Ausbildung und Erfahrung tätig werden? Was könnte ein ungelernter Einheimischer genauso gut leisten – und dabei etwas verdienen, um seine Familie zu ernähren?

Natürlich ist es positiv, wenn Jugendliche von ihren Videospielen weggelockt werden können, und vernünftig, wenn Abiturienten oder Studenten sich in der Welt umsehen, Erfahrungen mit ineffizienten Bürokratien und Korruption sammeln und damit im Alltag denselben oder zumindest ähnlichen Beschwernissen wie Afrikaner unterliegen. Nach der Rückkehr werden ein paar Illusionen beiseitegeräumt sein, und es reift die Erkenntnis, dass öffentliche Dinge bei uns (noch immer) mehr oder weniger in geordneten Bahnen ablaufen. Aber die Menschen in Afrika profitieren von diesen Egotrips ins Elend nicht.

Haben die schon jemals einen Brunnen in ihrer Heimat gegraben?
„Diese bemutternde Haltung, die in den Dritte-Welt-Kreisen des Nordens seit Jahrzehnten verbreitet ist, steht im Widerspruch zum Subsidiaritätsprinzip, das verlangt, dass helfende Agenturen keine Aufgaben übernehmen dürfen, die vom Entwicklungsland selbst erfüllt werden können“, sagt Kurt Gerhardt, der Koordinator des Bonner Aufrufs. Schließlich steckt in einer solchen Haltung die mangelnde Bereitschaft, die Afrikaner ernst zu nehmen.

Die Hauptgründe für das Misslingen von Hilfsmaßnahmen sind vermutlich die unterschiedlichen Werte der afrikanischen Bevölkerung einerseits und die der westlichen Entwicklungshelfer andererseits. Man muss hinterfragen, weshalb sich Geberländer anmaßen, ihr vermeintliches Vorbildmodell fremden Kulturen überstülpen zu müssen. Es muss grundsätzlich Hilfe zur Selbsthilfe und eine Entwicklungszusammenarbeit „von unten“ stattfinden.

Der verstorbene Benediktiner Abtprimas Notker Wolf hat sich immer wieder kritisch zur Entwicklungshilfe geäußert. „Der Fehler von Deutschland bestehe darin, dass wir immer zu wissen meinen, was den Anderen guttut.“

„Tausende unerfahrene junge Leute werden in Entwicklungsländer geschickt. Wem nützt dieses Engagement, in dem ausdrücklich kein Fachwissen vorausgesetzt wird, wirklich?“ So der Filmemacher Jean-Marie Téno aus Kamerun: „Wer braucht schon 20-jährige Freiwillige, die beim Brunnengraben helfen?“ Haben die schon jemals einen Brunnen in ihrer Heimat gegraben? „Die wissen nicht einmal, wie ein Brunnen aussieht.“ (Quelle: achgut.com, mit frdl. Genehmigung des Autors *Volker Seitz, Botschafter a.D. und Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert“, dtv, 2021 (11. aktualisierte Auflage).