Christenverfolgung in Nigeria

Christenverfolgung in NigeriaDie jüngste Ermordung von 40 Gläubigen in einer katholischen Kirche im Südwesten Nigerias hat die Besorgnis über die religiöse Gewalt gegen Christen in dem Land neu entfacht. Die Anteilnahme verebbt aber rasch, und es wird wieder verschämt geschwiegen, wenn es um die Not der Christen in Nigeria geht.

Fanatiker aus dem mehrheitlich muslimischen Norden machen jetzt auch Jagd auf Christen im christlich-animistischen Süden Nigerias. Die Christian Association of Nigeria (CAN), ein Dachverband, der kirchliche Gruppen vertritt, erklärte, dass seit 2019 die Angriffe auf Kirchen und gegen Christen erneut deutlich zugenommen haben. Demnach gab es in diesem Jahr bereits 23 Angriffe auf kirchliche Einrichtungen und Personen. In den Jahren 2021 waren es 31 und 2020 waren es 18. Das ist nicht neu, denn bereits vor einem Jahrzehnt, 2012, gab es 46 Angriffe auf christliche Ziele. Die von Event Data Project (ACLED) gesammelten Daten beruhen auf lokalen Gruppen und Medienberichten, und viele Anschläge bleiben möglicherweise unentdeckt. Es ist schwierig, genaue Zahlen zu bekommen, wie viele Menschen bei gezielten Angriffen auf Christen ums Leben gekommen sind.

Gesichert scheint, dass jährlich mehr als 3.000 Christen in Nigeria sterben. Sie werden von blindwütigen Muslimen und islamischen Terrorgruppen ermordet. In keinem Land der Welt werden mehr Menschen aus religiösen Gründen getötet. Nach Angaben des Priesters und Universitätsprofessors Obiora Ike wurden in Nigeria mehr als zwei Millionen Nigerianer, mehrheitlich Christen, aus ihren Dörfern vertrieben. Das scheint die Weltöffentlichkeit nicht ernsthaft zu beschäftigen.

Am Pfingstsonntag in der Stadt Owo im südwestnigerianischen Bundesstaat Ondo töteten Terroristen mit Sprengsätzen und Maschinengewehren während der Pfingstmesse in der katholischen St-Francis-Kirche 40 Menschen, zumeist Frauen und Kinder.

Zum ersten Mal ein Anschlag im überwiegend christlichen Süden
Weitere zeitnahe Vorfälle: Der Leiter der Methodistenkirche, Samuel Kanu Uche, wurde am 29. Mai im Südosten des Landes entführt, und im Bundesstaat Katsina wurden am 25. Mai zwei katholische Priester entführt.

Bis jetzt gab es immer wieder Anschläge von Islamisten im Norden Nigerias. Die Terrorgruppe Boko Haram lehnt das Christentum und westliche Bildung strikt ab. Sie terrorisiert schon seit Jahren die Bevölkerung im Norden Nigerias.

Jetzt wurde zum ersten Mal ein Anschlag im überwiegend christlichen Süden verübt. Dschihadistische Gruppen haben in den vergangenen Jahren zahlreiche Anschläge auf Kirchen im mehrheitlich muslimischen Norden begangen. Im Süden leben bisher Christen und Muslime seit Jahrhunderten weitgehend friedlich zusammen.

Der Gouverneur des Bundesstaates Ondo, Oluwarotimi Akeredolu, bezeichnete den Mord am Pfingstsonntag als „ein großes Massaker“ und sprach von einem „gemeinen und satanischen Angriff“. Es handele sich um einen kalkulierten Angriff auf friedliebende Menschen in Owo.

War es Boko Haram?
Die Hintergründe des Verbrechens liegen bislang noch im Dunkeln. Aber Angriffe auf Kirchen und Geiselnamen auch von Geistlichen wurden im Norden schon häufig von der Gruppe Boko Haram verübt: Bereits 2002 ist die fundamentalistische Gruppe um den Prediger Mohammed Yusuf in einer Moschee in Maiduguri/ Bundesstaat Borno entstanden.

Terroraktionen begannen 2014.
Innenminister Ogbeni Rauf Adesoji Aregbesola macht die Terrororganisation „Islamic State of West African Province“ (ISWAP) für den Mord in Owo verantwortlich. ISWAP ist eine Splittergruppe von Boko Haram.

Staatspräsident Muhammadu Buhari (79) war 2015 (wiedergewählt 2019) mit zwei Prioritäten angetreten: Kampf gegen die Korruption und Vernichtung der islamistischen Terrorgruppe Boko Haram. Bei beiden Punkten sind die Ergebnisse dürftig. Bei der Korruption hat er wenig erreicht, auch weil er bei seinen Angehörigen, die der Korruption verdächtig sind, die Augen schloss. Im Kampf gegen Boko Haram gab es Erfolge. Aber der Norden des Landes leidet weiter unter Angriffen und Massakern. Die Terrormiliz ist zwar in den Busch zurückgedrängt worden, aber etliche Male haben Terroristen in den letzten Monaten die Zivilbevölkerung, Militäreinrichtungen und vermutlich zuletzt die Kirchenbesucher in Owo angegriffen.

Der nigerianisch-amerikanische Autor Teju Cole („Open City“, Suhrkamp, 2012) äußerte sich in einem Interview mit Angela Schader, NZZ-Online am 30.9. 2014:  „Bei Boko Haram spielt neben dem theologischen Aspekt ein anderer Faktor eine bedeutende Rolle: Der Norden Nigerias wurde über Jahrzehnte vernachlässigt, und ich glaube nicht, dass die Bewegung dort hätte Fuß fassen können, wenn die Menschen besser versorgt gewesen wären. Von Lagos aus gesehen ist der Norden eine ferne, andere Welt. Nigeria hatte eine ganze Anzahl Präsidenten, die aus dem Norden stammten, und alles, was ich als Heranwachsender in Lagos hörte, war: Die rauben uns aus, der Norden kriegt alles, während der Süden geplündert wird. Oh ja, die Herren Präsidenten haben geplündert, aber nur, um sich selbst zu bereichern; der Norden blieb de facto noch ärmer als der Süden des Landes. Aus diesem Elend gehen perspektivlose junge Männer hervor, denen es nichts ausmacht, zu töten und getötet zu werden. Und leider ist die Ähnlichkeit von Boko Haram und dem IS nicht mehr von der Hand zu weisen; in den letzten Monaten hat Boko Haram erstmals Ortschaften erobert und Territorium zu besetzen begonnen. Nun haben sie die Menschen unter Kontrolle und machen ihnen das Leben zur Hölle.“

Leider ist diese Aussage auch nach mehr als acht Jahren nicht veraltet. Boko Haram ist immer noch ein Sammelbecken für junge Leute ohne Bildung und Job. Boko Haram ist ein Begriff der Haussa-Sprache und bedeutet so viel wie „die westliche Erziehung ist eine Sünde“.

Nach dem Pfingst-Attentat kamen einmal mehr auch bei uns von Politik, Kirche, Medien gut geölte Betroffenheitsfloskeln und sehr abwägende Beurteilungen über das mörderische Verbrechen. Eindeutige Positionen für die verfolgten Christen und das Entsetzen über die Tat überdauern nur wenige Tage. In einem Land, in dem Bischöfe manchmal das Kreuz ablegen und in Predigen staatsnah politisieren, verebbt die Anteilnahme rasch und es wird wieder verschämt geschwiegen, wenn es um die Not der Christen in Nigeria geht. (Quelle: achgut.com, mit freundlicher Genehmigung des Autors Volker Seitz*)

*Volker Seitz war von 1965 bis 2008 in verschiedenen Funktionen für das deutsche Auswärtige Amt tätig, zuletzt als Botschafter in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und Äquatorialguinea mit Sitz in Jaunde. Er gehört zum Initiativ-Kreis des Bonner Aufrufs zur Reform der Entwicklungshilfe und ist Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert“.  Die aktualisierte und erweiterte 11. Auflage erschien am 18. März 2021. Volker Seitz publiziert regelmäßig zu afrikanischen Themen und hält Vorträge (z.B. „Was sagen eigentlich die Afrikaner“, ein Afrika-ABC in Zitaten).