
Zwischen europäischer Justiz und diplomatischen Blockaden offenbart der Fall Saïd B. die Herausforderungen eines Verbrechens, das sich über mehrere Länder erstreckt. Die Akte, die von der makabren Entdeckung menschlicher Überreste in Frankreich und Deutschland geprägt ist und anschließend durch juristische Wendungen in Luxemburg, wirft beunruhigende Fragen zur Zusammenarbeit zwischen den Staaten auf. Während einer der Verdächtigen vor Gericht steht, bleibt der andere in Marokko verschwunden und entzieht sich bislang jeder Strafverfolgung.
Der Fall Saïd B., ein 51-jähriger Marokkaner, der seit Oktober 2022 in Luxemburg inhaftiert ist, nimmt eine neue Wendung mit dem Eintritt der Anwältin Naïma El Handouz, die nun seine Verteidigung leitet. Während die Staatsanwaltschaft eine Verurteilung wegen vorsätzlichen Mordes fordert, plädiert die Verteidigung auf nicht schuldig und stützt sich dabei auf zahlreiche ungeklärte Punkte, die die Akte noch umgeben. Der Fall, den Me El Handouz als „einen der größten der letzten Jahre in Luxemburg“ bezeichnet, gilt als heikel und zeigt die Grenzen der internationalen justiziellen Zusammenarbeit, insbesondere mit Marokko, auf.
Ein Tatort, der sich über drei Länder erstreckt
Das Grauen dieses Falls liegt in seiner grenzüberschreitenden Dimension und der Brutalität der Taten. Am 19. September 2022 wird der erste Teil der Leiche des Opfers, Diana Santos, in Mont-Saint-Martin in Frankreich gefunden. Einige Wochen später tauchen weitere menschliche Überreste in Temmels, Deutschland, auf. Die Ermittlungen führen schnell nach Diekirch in Luxemburg, wo das Opfer mit ihrem Ehemann Gibran B., dem Neffen von Saïd B., gelebt hatte.
Letzterer wird heute als einer der beiden Hauptverdächtigen betrachtet und ist auf der Flucht, vermutlich in Marokko untergetaucht. Diese geografische Zersplitterung der Ermittlungen – sie erstrecken sich über drei europäische Länder und beziehen ein viertes, Marokko, mit ein – erschwert die Wahrheitsfindung erheblich.
Eine offensive Verteidigungsstrategie von Me Naïma El Handouz
Die neue Anwältin von Saïd B., Me Naïma El Handouz, hat ihre Strategie schnell klargemacht: Ihr Mandant wird auf nicht schuldig plädieren. Sie verweist auf die „dunklen Flecken“ und „Zweifel“ hinsichtlich der genauen Verantwortlichkeiten der Beteiligten. „Die Ermittlungen haben nicht klären können, wer genau was getan hat“, erklärt sie. Eine Aussage mit viel Gewicht, die mögliche Schwächen der Ermittlungen offenlegt.
Dieser Ansatz ist riskant in einem Fall, in dem die materiellen Beweise noch teilweise unklar sind, die Emotionen und die mediale Aufmerksamkeit jedoch bereits erheblich sind. Der Prozess, der für November angesetzt ist, wird sich über mehrere Tage erstrecken, mit zahlreichen Zeugen, die aussagen müssen – was die Komplexität des Falls noch verstärkt.
Die undurchsichtige Rolle von Gibran B., geflüchtet nach Marokko
Der zweite Verdächtige, Gibran B., steht weiterhin im Zentrum zahlreicher Fragen. Er floh kurz nach der Tat nach Marokko, und sein Verfahren wurde von dem seines Onkels abgetrennt. Laut Me Handouz haben die marokkanischen Behörden nur begrenztes Interesse an dem Fall gezeigt. „Sie sind weiter von den Geschehnissen entfernt“, bedauert sie.
Marokko, das seine eigenen Staatsbürger in bestimmten Fällen – insbesondere bei drohenden hohen Strafen – nicht an andere Länder ausliefert, wird regelmäßig für mangelnde Kooperation in grenzüberschreitenden Strafverfahren kritisiert. Diese fehlende Zusammenarbeit behindert nun die Aufklärung der Umstände des Verbrechens.
Internationale Justizzusammenarbeit
Der Fall Saïd B. ist kein Einzelfall. Andere ähnliche Verfahren haben in letzter Zeit die Grenzen der justiziellen Zusammenarbeit zwischen Marokko und europäischen Staaten deutlich gemacht. Ein Beispiel ist der Fall Abdelmajid Bouchar. Dieser Marokkaner, dem eine Beteiligung an den Madrider Anschlägen von 2004 vorgeworfen wurde, hatte sich nach Marokko abgesetzt. Trotz spanischer Auslieferungsanträge waren die Verfahren langwierig und kompliziert, was die Erwartungen der Opfer und das Vertrauen zwischen den Staaten erschütterte.
Auf einem ganz anderen Gebiet gab es auch den Fall Omar Raddad. Obwohl er sich inhaltlich unterscheidet, ist er ein Symbol für die justiziellen Spannungen zwischen den beiden Ländern. Marokko begnadigte Raddad, der in Frankreich verurteilt worden war, und stellte die Fairness des französischen Prozesses infrage – was Spekulationen über eine parallele Rechtsprechung anheizte. In jüngerer Zeit wurden mehrere europäische Ermittlungen zu Drogen- oder Menschenhandel durch das Ausbleiben schneller Antworten der marokkanischen Behörden auf Rechtshilfeersuchen oder Festnahmeersuchen gebremst.
Ein Prozess unter medialem und diplomatischem Druck
Die Abschottung der nationalen Rechtssysteme und der Respekt vor der nationalen Souveränität schaffen blinde Flecken im Kampf gegen die organisierte Kriminalität. Der Prozess gegen Saïd B. wird – wenn er wie geplant im November stattfindet – nicht nur ein Moment der juristischen Wahrheit sein. Er wird auch eine Bewährungsprobe für die Beziehungen zwischen Luxemburg und Marokko darstellen und ein Test dafür sein, ob es den Behörden gelingt, trotz internationaler Hürden Gerechtigkeit walten zu lassen.
Auch der Mediendruck ist spürbar. Me El Handouz betonte, sie habe „noch nie einen Fall von solcher Tragweite erlebt, weder auf medialer noch auf persönlicher Ebene“. (Quelle: afrik.com)