EU-Migrationsabkommen mit Tunesien: Migrant*innen und Geflüchtete laufen Gefahr, auf noch gefährlichere Routen getrieben zu werden, warnt IRC

EU-Migrationsabkommen mit Tunesien: Migrant*innen und Geflüchtete laufen Gefahr, auf noch gefährlichere Routen getrieben zu werden, warnt IRC
Haarlem Désir Foto: twitter

Die EU hat diese Woche ein Abkommen mit Tunesien über die Zusammenarbeit zur Eindämmung der Migration von Tunesien nach Europa abgeschlossen. In den letzten Monaten hat Tunesien Libyen als wichtigstes Transitland in Nordafrika für Menschen, die Schutz in Europa suchen, überholt.

Die Lage für Geflüchtete und andere Migrant*innen in Tunesien ist in den letzten Monaten immer prekärer geworden, wobei die Feindseligkeiten gegenüber Menschen aus Subsahara-Afrika häufig in Gewalt umschlagen. Letzte Woche wurden Hunderte von Menschen aus der Subsahara Region von tunesischen Sicherheitskräften aus der Küstenstadt Sfax vertrieben und in einer abgelegenen Wüstengegend ohne Nahrung, Wasser und Unterkunft zurückgelassen.

Im Rahmen des neuen Abkommens wird die EU mit Tunesien zum Grenzmanagement zusammenarbeiten. Dies sieht unter anderem die Bereitstellung von Ausrüstung und Schiffen für die tunesische Küstenwache sowie die verstärkte Bekämpfung des Menschenhandels vor. Sie planen auch, bei Schutzmaßnahmen und der Ausweitung sicherer Fluchtwege zusammenzuarbeiten, obwohl die meisten EU-Mitgliedstaaten ihre Zusagen, die Menschen über die bestehenden Wege in Sicherheit zu bringen, nicht eingehalten haben.

International Rescue Committee (IRC) fordert die EU und Mitgliedsstaaten auf, alle Migrationspartnerschaften mit Drittstaaten von der Einhaltung der grundlegenden Menschenrechte abhängig zu machen. Das erste Quartal 2023 war das tödlichste für Menschen im zentralen Mittelmeer seit 2017. Die EU und Mitgliedsstaaten müssen sichere Zugangswege zum Schutz erweitern, Such- und Rettungsaktionen im Mittelmeer verstärken und Menschen – statt Grenzen – in den Mittelpunkt der weiteren Verhandlungen im Rahmen der GEAS-Reform stellen.

Harlem Désir, IRC-Vizepräsident für Europa, sagt: ,,Das jüngste Abkommen mit Tunesien setzt die Menschen einem größeren Risiko von Ausbeutung, Gewalt und Missbrauch aus. Es besteht auch die Gefahr, dass sie auf der Suche nach Sicherheit dazu gezwungen werden, noch gefährlichere Migrationsrouten einzuschlagen. Der Schutz von schutzbedürftigen Menschen darf nicht zugunsten der Abschreckung geopfert werden. Dies ist sowohl ineffektiv als auch mit den grundlegendsten humanitären Prinzipien unvereinbar.

Die EU muss ihren Ansatz dringend überarbeiten und sicherstellen, dass die Menschen auf der gesamten Route geschützt werden. Erstens muss dieses Abkommen – und jede andere Migrationspartnerschaft der EU mit Drittländern – an die Wahrung der Grundrechte von Menschen auf der Flucht gebunden sein, sowie an Drittländer appellieren, den Zugang zu Asyl zu erweitern. Zweitens muss die EU sichere, reguläre Routen zum Schutz ausbauen, damit die Menschen nicht gezwungen sind, ihr Leben auf gefährlichen Routen zu riskieren. Drittens muss die EU, wie auch das Europäische Parlament letzte Woche bekräftigt hat, die Such- und Rettungsmaßnahmen im Mittelmeer verstärken, um zu verhindern, dass die Zahl der Todesopfer auf See noch weiter steigt. Und schließlich ist es von entscheidender Bedeutung, dass die laufenden Reformen der EU ein humanes und nachhaltiges Migrationssystem schaffen, das auf den Grundprinzipien der EU – Achtung der Menschenrechte und der Menschenwürde – beruht. Schlägt dies fehl, so riskiert die EU, sich an schweren Menschenrechtsverletzungen an ihren Grenzen mitschuldig zu machen.“

Corina Pfitzner, Leitung IRC Deutschland, kommentiert: ,,Auch die deutsche Regierung trägt die Mitverantwortung für das Abkommen mit Tunesien, das die Zusammenarbeit durch finanzielle Anreize versüßt.

Die Bundesregierung backt dabei das Zuckerbrot, indem es Erleichterungen in der Arbeitsmigration anbietet, die tunesische Grenzpolizei bei der Eindämmung von Fluchtbewegungen und Abschottung Europas vor flüchtenden Menschen unterstützt und auf der anderen Seite die Augen vor drastischen Menschenrechtsverletzungen wie Aussetzungen in der Wüste und rassistischer Hetze verschließt, die schon jetzt ohne deutliche europäische Kritik begangen werden.

Wir appellieren an die deutsche Regierung, neben der Ausweitung der Arbeitsmigration – die kein Gnadenakt ist, sondern angesichts der Wirtschaftslage einstimmig von Expert*innen gefordert wird – auch den Zugang zu einem fairen Asylverfahren in der EU zu verteidigen und tatsächlich legale und sichere humanitäre Aufnahmemöglichkeiten zu schaffen. Stattdessen ist die Bundesregierung dabei, sich in ein gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis auf Kosten geflüchteter Menschen zu manövrieren.”