Filmtipp und Interview: Sehenswerte Doku blickt auf Hoyerswerda 30 Jahre nach ausländerfeindlichen Ausschreitungen

Filmtipp und Interview: Sehenswerte Doku blickt auf Hoyerswerda 30 Jahre nach ausländerfeindlichen Ausschreitungen
Zeitzeuge David Macou, vor seiner Wohnung in Maputo, Mosambik. Seit 1979 lebte er in der DDR, musste aber im September 1991 um sein Leben fürchten und Deutschland Hals über Kopf verlassen. Bildrechte: ohne Angabe

Hoyerswerda ist ein Synonym geworden für den Beginn einer ganzen Serie rechtsradikaler Gewaltausbrüche in den 90-Jahren: Im September 1991 greift eine Gruppe einfacher Bürger und Neonazis ein Heim für DDR-Vertragsarbeiter aus Mosambik und Vietnam an. Tagelang belagern die Angreifer die Häuser, die Angegriffenen verschanzen sich. Polizei und Politik scheinen völlig überfordert. Schließlich werden die Angegriffenen aus der Stadt gebracht. Die Rechten feiern das als Sieg. Der Begriff der „ausländerfreien Stadt“ wird 1991 Unwort des Jahres.

30 Jahre danach rekonstruiert eine Dokumentation die Ereignisse, sucht nach Ursachen und blickt auf die Spuren, die der Angriff bei drei Generationen hinterlassen hat. Wie geht die Stadt heute mit ihrer Vergangenheit um? Christian Schulz ist einer der Filmemacher der Doku „Hoyerswerda ’91. Eine Stadt, die Gewalt und ihre Aufarbeitung“, zu sehen in der ARD-Mediathek.

Filmemacher Christian Schulz im Interview über „Hoyerswerda ’91“

MDR KULTUR: Erstmal schaut man auf die Opfer. Wie sehen die die Situation – damals?
Christian Schulz: Die Opfer sind natürlich in den letzten 30 Jahren meist nicht allzu prominent zu Wort gekommen. Uns ist es gelungen einen Mosambikaner, den ehemaligen Vertragsarbeiter David Macou, in Mosambik zu interviewen. Er hat uns diese sich entwickelnde Todesangst der eingeschlossenen Vertragsarbeiter in dem Wohnheim – der erste Ort, wo diese Ausschreitungen begannen – sehr hautnah schildern können. Und er hat uns erzählt, wie das Verhältnis mit der Bevölkerung war und wie man dort gelebt hat, der alltägliche Rassismus, den es auch zu DDR-Zeiten schon gegeben hat. Auf der anderen Seite hat er auch darüber berichtet, dass Hoyerswerda fast zu einer zweiten Heimat für ihn geworden ist. Er hat zwölf Jahre dort gelebt, spricht sehr gut Deutsch und er ist bis heute erschüttert, wie es dazu kommen konnte, dass sich eine Masse so hochgeschaukelt hat und die Ausländer aus der Stadt treiben wollte. Er wird versuchen, zum Jahrestag nach Hoyerswerda zu kommen, das wird sicherlich sehr interessant werden.

Die Behörden, was sagen die zu den Ereignissen noch? Die Polizei, der Bürgermeister, haben Sie die auch getroffen?
Die Entscheidungsträger in der Politik von damals sind natürlich nicht mehr im Amt. Da hat es keinen Sinn gemacht, groß nachzufragen. In höheren Polizeikreisen wollte man kein Interview geben. Wir haben aber zwei Polizisten gefunden, mit denen wir reden konnten, die hautnah dabei waren. Der eine ist seit über 30 Jahren Streifenpolizist in Hoyerswerda und ist es heute noch. Er hat damals die ganzen Einsätze miterleben müssen, auch ganz am Anfang, wo er mit vier Kollegen einen Eingang des Wohnheims verteidigen musste gegen den Mob, der eindringen wollte.

Der andere ist als Bereitschaftspolizist als Leiter einer Einheit aus Leipzig in diese Szene reingeworfen worden. Er beschreibt, wie er bis heute nicht versteht, warum damals der Staat, auch die Polizei, teilweise versagt haben. Die Polizeieinsatzleitung war nie vor Ort in Hoyerswerda, hat immer nur aus Bautzen oder Dresden irgendwelche Kommandos gegeben und er als Hundertschaftsführer musste plötzlich mehrere hundert Polizisten führen, was gar nicht in seiner Funktion und Erfahrung war.

Die Politik in Sachsen hat damals die Auffassung vertreten, es wäre besser, die Menschen da wegzubringen, als dagegenzuhalten. Hat sich das verändert?
Sicher. Das war damals ein großer Fehler; dieses „ausländerfreie“, was man dann propagieren konnte. Dass man die Vertragsarbeiter und Asylbewerber aus der Stadt rausholte, haben die Rechten als Sieg gefeiert und hat als Fanal für weitere Gewalttaten in den Neunzigern gedient. Das ist heute nicht mehr so. Heute gibt es in Hoyerswerda natürlich Ausländer, es gibt seit 2014 wieder eine Flüchtlingsunterkunft.

Sie haben sich auch die Aufarbeitung in der Stadt selbst angeschaut. Wie würden Sie die bewerten?
Wenn man als Auswärtiger auf Hoyerswerda schaut und sich ein bisschen damit beschäftigt, merkt man natürlich recht schnell: Die Menschen, die jetzt noch in Hoyerswerda leben, sind natürlich auch ein bisschen müde über dieses wiederkehrende Thema, was sich 1991 zugetragen hat. Viele werden auch heute noch angefragt, wenn sie irgendwo in dem Urlaub oder auf der Dienstreise sind: „Ach, du kommst aus Hoyerswerda. Da war doch das.“ Dieses Image, das wird man natürlich nicht los. Viele haben sich dann in so einer Opferrolle lange Zeit zurückgezogen; nach dem Motto: Das waren eigentlich gar keine Leute aus Hoyerswerda, sondern Auswärtige. Das hat sogar noch ein Bürgermeister in den Jahren dazwischen aufgegriffen und versucht zur Ehrenrettung der Stadt unterzubringen. Das ist heute anders. Heute gibt es seit einem halben oder dreiviertel Jahr einen neuen Bürgermeister, der erkannt hat, dass die Stadt sich davon nicht lösen kann, dass man das nicht wegschweigen kann und der etwas offensiver damit umgeht und mehr aufarbeiten will. Ich glaube, das hilft. Es gibt die eine oder andere Initiative, die dieses Schweigen über diese Ereignisse aufbricht. Da ist viel Bewegung im Spiel. (Das Interview führte Annett Mautner für MDR KULTUR).

Doku HIER in der ARD-Mediathek ansehen (MDR)