Frankreich: Marokkanische und algerische Minderjährige am stärksten von krimineller Ausbeutung betroffen

Frankreich: Marokkanische und algerische Minderjährige am stärksten von krimineller Ausbeutung betroffen

In Frankreich werden unbegleitete minderjährige Kinder, insbesondere aus Marokko und Algerien, zunehmend von kriminellen Netzwerken ausgenutzt. Sie werden auf der Straße oder über soziale Netzwerke angeworben und für Straftaten wie Drogenhandel, Diebstahl oder illegale Grenzübertritte instrumentalisiert. Laut UNICEF stammen 81 % der betroffenen Kinder aus diesen beiden nordafrikanischen Ländern. Anstatt Schutz zu erhalten, werden viele dieser Jugendlichen jedoch strafrechtlich verfolgt, berichtet Le Matin.

Bereits im Alter von 13 oder 14 Jahren leben viele dieser Kinder ohne Papiere und ohne familiäre Unterstützung auf den Straßen von Marseille, Paris oder Calais. Dort geraten sie in die Fänge von Erwachsenen, die sie gezielt für illegale Aktivitäten rekrutieren. Der aktuelle UNICEF-Bericht zeigt: 92 % der kriminalisierten Kinder sind unbegleitete Minderjährige, über 80 % von ihnen kommen aus Nordafrika – insbesondere aus Marokko und Algerien. Sie werden zur Drogenverteilung, zum Diebstahl in öffentlichen Verkehrsmitteln, zum Aufbrechen von LKWs an den Grenzen oder sogar zur Prostitution gezwungen.

Laut Angaben der französischen Organisation MIPROF (Mission zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Menschenhandel) sind 89 % der Opfer männlich. Ein kleinerer Teil der ausgebeuteten Kinder stammt zudem aus Osteuropa und Südosteuropa, vor allem aus Rumänien und Bosnien-Herzegowina.

Trotz dieser alarmierenden Zahlen erkennt das französische Justizsystem diese Minderjährigen kaum als Opfer an. 2023 war jedes fünfte registrierte Opfer von Menschenhandel in Frankreich ein Kind – doch es fehlt ein zentrales Identifikationssystem, sowie ausreichende Schulungen für Polizei, Justiz und Sozialdienste. Statt Hilfe zu erhalten, werden die Kinder inhaftiert, ausgewiesen oder einfach auf freien Fuß gesetzt – oft ohne jegliche Betreuung, obwohl sie unter Zwang handelten.

Ein besonders erschütternder Fall ereignete sich in Marseille: Ein 15-jähriger Junge, gezwungen Drogen zu verkaufen, wurde misshandelt und gefangen gehalten. In seiner Verzweiflung übergab er einem Kunden einen Zettel mit der Nachricht: „Bitte, wir werden festgehalten, sie schlagen uns mit Eisenstangen …“

2022 zählte Frankreich offiziell 4.160 Opfer von Menschenhandel, darunter 12 % Minderjährige. Zwei Drittel der Kinder, die zu Straftaten gezwungen wurden, waren unter 18 – die meisten davon Jungen. Viele wurden bereits in ihrem Herkunftsland oder kurz nach ihrer Ankunft in Frankreich in Schuldenverhältnisse gebracht. Um einen Schlafplatz oder Unterkunft in einem Squat zu bekommen, müssen sie ihre „Schulden“ durch kriminelle Handlungen begleichen.

Besonders perfide ist die zunehmend raffinierte Rekrutierung über soziale Medien: Kriminelle werben Jugendliche mit Versprechungen von Reichtum, posten Videos mit Geld, Schmuck und Markenkleidung. Häufig werden die Kinder mit Substanzen wie Rivotril ruhiggestellt oder durch emotionale oder materielle Erpressung in die Abhängigkeit gezwungen.

Erschreckend ist auch die behördliche Reaktion: In mehreren Fällen wurden minderjährige Marokkaner trotz ihrer offensichtlichen Ausbeutung als Täter verurteilt oder als Zeugen gegen ihre Ausbeuter verwendet – ohne Schutz. Auf Mayotte werden Kinder, die für Schleuser Boote steuern, als Mittäter angeklagt, nicht als Opfer anerkannt. Nach dem Gerichtsverfahren landen viele von ihnen erneut auf der Straße – ohne Unterkunft, ohne Status, ohne Perspektive.

Eine nationale Erhebung in Marokko zeigt zwar auf, dass die Zahl arbeitender Kinder rückläufig ist, dennoch sind aktuell rund 101.000 Kinder zwischen 7 und 17 Jahren wirtschaftlich tätig.

UNICEF Frankreich fordert angesichts dieser Situation eine grundlegende Reform: Minderjährige Opfer von Menschenhandel dürfen nicht länger strafrechtlich verfolgt werden. Es brauche einen schnellen Identifizierungsmechanismus, ein gesichertes Aufenthaltsrecht für die Betroffenen und umfassende Schulungen für alle beteiligten Akteure. Kinder in Ausbeutungssituationen müssten als Opfer erkannt und geschützt werden – und nicht als „kleine Helfer“ der Kriminalität abgestempelt.