IPG-Journal: Schutzschirme gegen die Inflation – Eindrücke aus Ghana

IPG-Journal: Schutzschirme gegen die Inflation – Eindrücke aus GhanaVor wenigen Wochen kursierte in den Sozialen Medien Ghanas ein Video, das einen jungen Mann zeigt, der nach dem Betanken seines Motorrads die Zapfpistole aus der Hand des Tankwarts nimmt, den Zeigefinger in die Öffnung steckt und gekonnt die letzten Tropfen des kaum noch erschwinglichen Sprits in seinen Tank befördert. Anschließend schmeißt er sein Motorrad wieder an und macht sich von dannen. In der Luft bleibt das Gefühl von Anspannung und Ärger. Dieser Moment steht sinnbildlich für die extreme Preissteigerung der letzten Monate und die kontinuierlich wachsende Frustration der Menschen in Ghana.

Obgleich Ghana ein Öl-Exporteur ist, muss es über 80 Prozent der Endprodukte Benzin und Diesel importieren. Die globalen Ölpreise sorgen dafür, dass auch die Preise an den Zapfsäulen in Ghana ansteigen. Noch vor einem Jahr kostete 1 Liter Benzin umgerechnet 90 Eurocent. Seitdem ist der Preis auf fast 1,30 Euro geklettert. Diesel hat sich im gleichen Zeitraum noch mehr verteuert. Die Konsequenzen spürt man mittlerweile in allen Bereichen der ghanaischen Wirtschaft.

Im Juli lag die Inflation in Ghana offiziellen Statistiken zufolge bei 31,7 Prozent – der höchste Wert seit über 20 Jahren. Hierunter leiden insbesondere die Menschen, die in informellen und meist prekären Jobs der größten Städte des Landes beschäftigt sind. Aber auch die Mittelklasse beschwert sich zunehmend öffentlich. Bei einem Mindestlohn von derzeit umgerechnet 1,40 Euro am Tag und zunehmend steigenden Preisen für Transport und Lebensmittel bewegen sich viele Menschen trotz Arbeit unterhalb der Armutsgrenze. Eine beträchtliche Anzahl dieser working poor kann sich nur noch eine richtige Mahlzeit am Tag leisten. Für viele war die wirtschaftliche Situation seit der Gründung der „Vierten Republik“ im Jahr 1992 noch nie so schwierig gewesen.

Einige Zahlen verdeutlichen diese Erfahrung. Hatte ein Laib Brot im April noch um die 70 Cent gekostet, so ist der Preis mittlerweile auf über 1 Euro oder mehr angestiegen. Das beliebte Maisgericht Kenkey, das in Ghana zu den Grundnahrungsmitteln zählt, kostete auf der Straße noch im letzten Jahr um die 20 Cent pro Standardportionsgröße. Mittlerweile ist der Preis dafür um über 50 Prozent gestiegen. Manche Straßenverkäufer reduzieren die Portionsgröße, um nicht durch höhere Preise die Kunden zu verprellen. Teurer gewordenes Düngemittel sorgt dafür, dass Preise auf Obst und Gemüse ebenfalls kontinuierlich steigen. Noch Anfang letzter Woche wurden die Tarife für Strom und Wasser um über 20 Prozent angehoben – weitere Erhöhungen sind geplant.

Die liberal-konservative Regierung unter Präsident Nana Akufo-Addo hat kaum Möglichkeiten, diese Preissteigerungen aufzufangen und soziale Programme zu initiieren. Die Staatsschulden sind auf über 85 Prozent des Bruttoinlandsprodukts angewachsen. Über die Hälfte der staatlichen Einnahmen werden für die Bedienung der Schulden aufgewendet. Herunterstufungen durch Ratingagenturen sorgen dafür, dass Ghana kaum noch Zugang zu Geldern auf internationalen Finanzmärkten hat. Die lokale Währung Cedi verliert fast täglich an Wert gegenüber Fremdwährungen, in denen Ghana allerdings mehrheitlich verschuldet ist. Seit Juli führt die Regierung Gespräche mit dem IWF und bemüht sich um ein Unterstützungsprogramm, obwohl sie vorher versprochen hatte, niemals ein solches in Anspruch nehmen zu wollen. Manche Ökonomen sagen ganz unverhohlen, dass Ghana bankrott sei.

Für die Regierung Ghanas sind die Schuldigen an der Misere schnell ausgemacht: Die Pandemie und der Krieg in der Ukraine sind die Ultimativbegründungen für die sich verschlechternde Situation. Andere sagen, dass es sich bei dieser Analyse nicht mehr nur um Realitätsferne der Eliten handele, sondern um regelrechte Gleichgültigkeit gegenüber der Verarmung der eigenen Bevölkerung. Massives Missmanagement der letzten Jahre wird ignoriert, ebenso das Versagen, genügend Steuergelder während der starken Wachstumsjahre eingenommen zu haben, um die Wirtschaft von Grund auf zu reformieren. Wahlgeschenke, die im Jahr 2020 noch großzügig – als Corona-Hilfen verkleidet – verteilt wurden (unter anderem kostenloser Strom und Wasser für drei Monate), scheinen aus heutiger Sicht gesehen noch mehr als Verschwendung, als sie bereits vor zwei Jahren gewirkt haben.

Die nächsten Monate werden kritisch sein. Schafft es die Regierung erneut, ein IWF-Programm zu sichern, um bei internationalen Finanzgebern ein höheres Standing (und hierdurch weitere Mittel) zu bekommen? Wird das Land zunächst mit den Gläubigern über Umstrukturierung von Schulden sprechen müssen, was mittelfristig allerdings seiner Reputation schaden könnte? Wird es die Regierung der Bevölkerung gegenüber vermitteln können, dass ein IWF-Programm mit größeren Sparzwängen, gegebenenfalls mit Entlassungen im aufgeblähten öffentlichen Sektor, verbunden sein wird? Die Wahrscheinlichkeit, dass weitere Bürden und Entbehrungen dazu führen werden, dass die Frustration steigt und sich auf den Straßen breitmachen könnte, nimmt mit jedem Tag zu.

Was jetzt nötig wäre, ist eine koordinierte Initiative zur Restrukturierung der Schulden. Unter Einbeziehung aller Gläubiger und unter besonderer Berücksichtigung der sozialen Dimension müssen Wege zur Schuldenerleichterung identifiziert werden, die nicht auf Kosten der Bevölkerung stattfinden darf – wie dies häufig in der Vergangenheit der Fall war. Vielmehr muss dafür gesorgt werden, und dies kann eine der Bedingungen des Programms zur Schuldenerleichterung sein, dass die Regierung ihrer Aufgabe nachkommt und sichtbare Erfolge dabei vorweisen kann, verantwortlich und transparent zu wirtschaften sowie den strukturellen und nachhaltigen Umbau der Wirtschaft voranzutreiben. (Johann Ivanov, FES Ghana)