
Im September 2024 unterzeichneten Kenia und Deutschland ein bilaterales Migrationsabkommen. Ein Jahr später zeigt sich: Dieses Abkommen steht nicht nur für neue Perspektiven und Hoffnungen, sondern legt zugleich die tief verwurzelten strukturellen Ungleichgewichte offen, die das Gefüge der globalen Arbeitsökonomie bestimmen.
Als Kenia und Deutschland im September 2024 ihr bilaterales Migrationsabkommen unterzeichneten, wurde es als für beide Seiten vorteilhafte Partnerschaft präsentiert, die jungen Kenianerinnen und Kenianern neue Beschäftigungsmöglichkeiten eröffnen und gleichzeitig den wachsenden Mangel an Fachkräften im Gesundheits- und Pflegebereich in Deutschland lindern würde. Ein Jahr später, als die ersten Gruppen kenianischer Krankenschwestern und -pfleger, Pflegefachkräfte und Auszubildender ausreisen, wird jedoch deutlich, dass das Abkommen nicht nur Hoffnung, sondern auch tiefe strukturelle Widersprüche wiederspiegelt, die die globale Arbeitswirtschaft prägen. Im Kern verdeutlicht das Abkommen zwischen Kenia und Deutschland, wie die Mobilität von Arbeitskräften weiterhin die Asymmetrien der globalen Ordnung reflektiert. Seit Jahrzehnten wird die Migration qualifizierter Fachleute aus dem globalen Süden in den Norden als Chance für den Transfer von Fachwissen und Geldüberweisungen gefeiert. Hinter diesem Optimismus verbirgt sich jedoch eine politische Ökonomie der Ausbeutung. Länder wie Kenia investieren stark in Bildung und Berufsausbildung, nur um dann zu sehen, wie öffentliche Investitionen durch den Export von Humankapital ins Ausland abfließen. Das Ergebnis ist ein Werttransfer, der bereits fortgeschrittenen Volkswirtschaften zugutekommt und gleichzeitig die heimischen Gesundheitssysteme schwächt.
Die Arbeitnehmer:innen selbst haben nur begrenzt Einfluss darauf, wie ihre Mobilität geregelt wird.
Der Bedarf Deutschlands an Arbeitsmigranten ist unbestreitbar: Eine alternde Bevölkerung und schrumpfende Arbeitskräfte haben Druck geschaffen, Fachkräfte zu importieren, insbesondere im Gesundheitswesen.
Die Motivation Kenias ist ebenso real: Das Land leidet unter einem Mangel an lokalen Beschäftigungsmöglichkeiten und stagnierenden Löhnen, was durch die anhaltende Unterfinanzierung des Gesundheits- und Bildungssektors durch den Staat noch verschärft wird. Dies zwingt qualifizierte Arbeiter:innen letztendlich dazu, ihren Lebensunterhalt im Ausland zu suchen. Die Bedingungen für eine Anstellung bleiben jedoch ungleich. Der Migrationsprozess ist nicht symmetrisch, sondern wird vielmehr von Knappheit geprägt: Deutschland rekrutiert aus Notwendigkeit, während Kenia aus Verzweiflung exportiert. Ethische Bestimmungen zur Anwerbung in solchen Verträgen sind wichtig, aber ohne Transparenz und durchsetzbare Standards bleiben sie unzureichend. Berichte über undurchsichtige Auswahlverfahren, unerschwingliche Migrationsgebühren und verzögerte Anerkennung von Berufsqualifikationen zeigen, wie leicht es selbst innerhalb formeller Rahmenbedingungen zu Ausbeutung kommen kann. In diesem Zusammenhang birgt der Begriff „Partnerschaft” die Gefahr, Machtverhältnisse zu verschleiern, insbesondere wenn die am stärksten betroffenen Personen, nämlich die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen selbst, nur begrenzt Einfluss darauf haben, wie ihre Mobilität geregelt wird.
Es ist ein Arbeitsproblem und daher ein Gewerkschaftsproblem.
Das erste Jahr der Umsetzung hat eine weitere kritische Lücke offenbart: die Abwesenheit von Gewerkschaften und Berufsverbänden bei der Ausarbeitung und Überwachung des Abkommens. Arbeitsmigration kann nicht auf eine bürokratische oder technokratische Übung reduziert werden; sie ist ein Arbeitsproblem und daher ein Gewerkschaftsproblem. Ohne die organisierte Beteiligung der Arbeitnehmer:innen gibt es keine institutionellen Mechanismen, um die Einhaltung von Verträgen zu überwachen, Streitigkeiten beizulegen oder sicherzustellen, dass migrantische Arbeitnehmer:innen im Ausland weiterhin den Schutz einer kollektiven Vertretung genießen.
Dieser Ausschluss schwächt auch die Rechenschaftspflicht innerhalb Kenias, wo der Abfluss von qualifiziertem Personal die ohnehin schon überlasteten öffentlichen Dienste weiter untergräbt. Um solche Abkommen wirklich fair zu gestalten, müssen beide Regierungen ein inklusives Governance-Modell verfolgen. Das bedeutet, dass gemeinsame kenianisch-deutsche Überwachungsausschüsse mit Vertretern von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden eingerichtet werden müssen, um Transparenz in Bezug auf Einstellung, Löhne und Arbeitsbedingungen zu gewährleisten.
Außerdem müssen Orientierungsprogramme vor der Abreise und nach der Ankunft geschaffen werden, in denen Gewerkschaften die Migrantinnen über ihre Rechte aufklären und sie mit Solidaritätsnetzwerken in beiden Ländern in Verbindung bringen können. Auf multilateraler Ebene könnte die Zusammenarbeit zwischen globalen und nationalen Arbeitnehmerorganisationen zur Entwicklung einer „Charta für menschenwürdige Migration” (“Decent Migration Charter”) beitragen. Wir schlagen einen Rahmen vor, der auf Ethik, Gerechtigkeit und der Einbeziehung der Geschlechter basiert. Eine solche Charta würde die Grundsätze der fairen Anwerbung und menschenwürdigen Arbeit in verbindliche Verpflichtungen für alle an der Arbeitskräftemobilität Beteiligten umsetzen. Letztendlich wird der Erfolg des Migrationsabkommens zwischen Kenia und Deutschland nicht an der Anzahl der ausgestellten Visa oder der erhaltenen Überweisungen gemessen werden. Er wird daran gemessen werden, ob es die Würde und Gerechtigkeit für Arbeitnehmer:innen fördert, die öffentlichen Gesundheitssysteme erhält und den sozialen Schutz im Heimatland stärkt, anstatt ihn zu untergraben. Faire Migration kann sich nicht allein auf die Bewegung von Menschen stützen, sondern muss auch die Bewegung von Rechten, Schutzmaßnahmen und Mitspracherechten über Grenzen hinweg gewährleisten.
Eine faire Migration muss auch die grenzüberschreitende Übertragung von Rechten, Schutzmaßnahmen und Mitspracherechten gewährleisten.
Ein Jahr nach seinem Inkrafttreten ist dieses Abkommen sowohl ein Meilenstein als auch ein Spiegel. Es spiegelt einen Moment der Ambition wider, deckt aber auch anhaltende Ungleichheiten in der globalen Arbeitsteilung auf. Die vor uns liegende Aufgabe besteht darin, diese bilaterale Vereinbarung in ein Modell gemeinsamer Verantwortung zu verwandeln, in dem die Arbeitnehmer:innen nicht nur einfache Teilnehmende sind, sondern die Architekt:innen ihrer eigenen Zukunft. (FES)