
Ein Geburtstagsfest, das sich in eine Tragödie verwandelte. Am 9. Dezember kostete der Einsturz zweier Gebäude im Viertel Al Massira in Fès 22 Menschen das Leben und legte erneut die systemischen Schwächen der städtebaulichen Kontrolle in Marokko offen.
Es war kurz nach 23 Uhr, als zwei aneinandergrenzende vierstöckige Wohnhäuser im Viertel Al Massira in Fès einstürzten. In einem der Gebäude feierte eine Familie eine Aqiqa, die muslimische Tradition, mit der die Geburt eines Kindes begangen wird. Das zweite Gebäude stand leer. Innerhalb weniger Sekunden kamen 22 Menschen unter den Trümmern ums Leben, darunter Frauen und Kinder. Sechzehn weitere Personen wurden verletzt und in das Universitätsklinikum von Fès gebracht.
„Ich habe gegen Mitternacht einen lauten Knall gehört, dann Schreie. Alle sind nach draußen gerannt, und ich sah so etwas wie eine Staubwolke“, berichtet Bilal El Bachir, 17 Jahre alt, Bewohner des Viertels, der Nachrichtenagentur AFP. „Ich bin mir sicher, dass die oberen Stockwerke illegal waren. Und das sind nicht die einzigen Gebäude hier, bei denen Stockwerke illegal errichtet wurden. Ich fürchte, dass sich solche Vorfälle wiederholen werden.“
Ein Viertel, in dem jeder „nach Belieben baut“
Die Staatsanwaltschaft von Fès leitete eine gerichtliche Untersuchung ein, um die Verantwortlichkeiten zu klären. Doch die Anwohner zeigen bereits mit dem Finger auf das, was sie seit Jahren anprangern: den ungezügelten, anarchischen Wohnungsbau. Die eingestürzten Gebäude verfügten jeweils über vier Stockwerke, obwohl der Bebauungsplan dieses Viertels – der 2007 entworfen wurde, um Familien aus den Elendsvierteln von Laâzim umzusiedeln – lediglich zwei Etagen erlaubte.
„In dieser Gegend gibt es fast anarchische Bauweisen, die sich jeder Kontrolle entziehen, obwohl es sich eigentlich um ein modernes Viertel handeln sollte“, empört sich Bilal Ben Daoued, 20 Jahre alt, im Gespräch mit Le 360. Es wird deutlich, dass diese Bauten keinerlei Kontrolle unterlagen, was es einigen Eigentümern ermöglichte, die städtebaulichen Vorschriften zu missachten.
Fès, Epizentrum einer tragischen Serie
Dieses Drama ist kein Einzelfall. Bereits im Mai 2025 trauerte dieselbe Stadt um neun Tote nach dem Einsturz eines dreistöckigen Gebäudes im Viertel Al Hassani. Das Haus stand auf der offiziellen Liste einsturzgefährdeter Gebäude und war mit einer Räumungsanordnung belegt worden, die jedoch nie umgesetzt wurde. Im Februar 2024 kamen fünf Menschen beim Einsturz eines Hauses in der Medina ums Leben.
Auf nationaler Ebene ist die Bilanz ebenso erschütternd. 2014 forderte der Einsturz von drei Gebäuden im Viertel Bourgogne in Casablanca 23 Todesopfer. 2016 starben innerhalb einer Woche zwei Kinder in Marrakesch und vier Personen in Casablanca unter ähnlichen Umständen.
Über 43.000 einsturzgefährdete Wohnungen
Das Phänomen des einsturzgefährdeten Wohnraums (Habitat menaçant ruine, HMR) ist nicht neu. Laut offiziellen Statistiken des Wohnungsbauministeriums wurden bereits 2012 mehr als 43.000 Wohnungen als gefährlich eingestuft, von denen 83 % noch bewohnt waren. Im Jahr 2023 räumte Ministerin Fatima Ezzahra El Mansouri vor dem Parlament ein, dass „mehrere Hindernisse die Sanierung einsturzgefährdeter Häuser behindern, insbesondere das Fehlen aktueller und klarer Daten“.
Dabei existiert seit 2015 ein Gesetz – das Gesetz 94-12 über einsturzgefährdeten Wohnraum –, das Eigentümer verpflichtet, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um jede Gefahr zu beseitigen. In diesem Zusammenhang wurde auch eine Nationale Agentur für Stadterneuerung (ANRUR) geschaffen. Doch in der Praxis fehlen die Mittel, und die betroffenen Bevölkerungsgruppen, oft mittellos, verfügen weder über die finanziellen Ressourcen zur Sanierung noch über Alternativen für eine Umsiedlung.
Der Schatten von Al Haouz
Das Erdbeben von Al Haouz am 8. September 2023, bei dem fast 3.000 Menschen starben und mehr als 59.000 Gebäude zerstört wurden, hätte als Weckruf dienen müssen. Der Wiederaufbau, für den ein Budget von 120 Milliarden Dirham vorgesehen ist, kommt zwar voran, doch ein 2024 veröffentlichter Bericht von Transparency Maroc hob erhebliche Verzögerungen und eine unzureichende Mittelabflusssrate hervor. Zudem hat Korruption den Wiederaufbauprozess untergraben.
In den großen Städten fördern der demografische Druck, die hohen Kosten für Genehmigungen und die schwache Kontrolle illegale Aufstockungen. Ein oder zwei Stockwerke „heimlich“ hinzuzufügen, ist leider eine gängige Praxis, räumt ein Stadtplanungsexperte ein.
Straflosigkeit als Zement
Nach jeder Katastrophe wiederholt sich dasselbe Szenario: nationale Betroffenheit, Besuche von Amtsträgern, die Festnahme einiger untergeordneter Verantwortlicher – und dann Stille. Wo sind die Architekten, die Konformitätspläne unterzeichnen, ohne die Baustellen zu besichtigen? Warum dulden lokale Mandatsträger Ausnahmeregelungen? Wo sind die Stadtplanungs-Kontrolleure, die „nicht sehen“, dass aus einem R+2 plötzlich ein R+4 wird?
„Wenn der Bau ordnungsgemäß ausgeführt worden wäre, wenn alles regelkonform gemacht worden wäre, hätte sich ein solcher Einsturz niemals ereignen dürfen“, fasst Monaïm, ein direkter Zeuge der Katastrophe, gegenüber dem Medium Le 360 zusammen.
Marokko bereitet sich darauf vor, ab dem 21. Dezember den Afrika-Cup auszurichten. Fès soll mehrere Spiele austragen, darunter ein Achtelfinale. Wird die Stadt die Zeit finden, ihre Wunden zu heilen – und sich der Realität zu stellen, die sich hinter ihren Mauern verbirgt? (Quelle: afrik.com)