
Am 25. Dezember 2025 schlugen erstmals amerikanische Raketen auf nigerianischem Boden ein. Ziel der Angriffe: die Lakurawa. Bis vor Kurzem kaum bekannt, ist diese dem „Islamischen Staat“ nahestehende Gruppierung innerhalb weniger Monate zur sicherheitspolitischen Obsession Washingtons und Abujs geworden. Eine Recherche über den rasanten Wandel einer Terrororganisation.
Die Geschichte der Lakurawa – der Name bedeutet auf Hausa wörtlich „die Rekruten“ – steht exemplarisch für die komplexen Sicherheitsdynamiken, die Westafrika destabilisieren. Ihre Ursprünge liegen im Niger, wo bereits 1997 unter der Präsidentschaft von Ibrahim Baré Maïnassara eine Selbstverteidigungsmiliz gegründet worden sein soll, um fulanische Gemeinschaften vor wiederholten Viehdiebstählen zu schützen.
Der entscheidende Wendepunkt kommt nach dem Sturz Muammar al-Gaddafis im Jahr 2011 und der darauffolgenden Destabilisierung der gesamten Sahelzone. Mehrere Mitglieder schließen sich damals der Bewegung für Einheit und Dschihad in Westafrika (MUJAO) an, einer dschihadistischen Gruppierung, die im Norden Malis aktiv ist. Die französische Militärintervention von 2013 (Operation Serval) zerschlägt diese Strukturen. Ein Teil der Kämpfer weicht nach Süden aus und überschreitet die nigerianische Grenze.
Zwischen 2016 und 2017 etablieren sich die Lakurawa schließlich in Nigeria. Angesichts der brutalen Überfälle bewaffneter Banditen in Zamfara bitten traditionelle Autoritäten in den Distrikten Gudu und Tangaza im Bundesstaat Sokoto die aus Mali und dem Niger kommenden Kämpfer um Schutz für ihre Gemeinden.
Zunächst scheint diese Strategie aufzugehen. Die gut bewaffneten und kampferprobten Lakurawa drängen die Banditen zurück. Doch rasch erweist sich das vermeintliche Heilmittel als gefährlicher als die Krankheit selbst. Die Gruppe bleibt, errichtet eigene Herrschaftsstrukturen, erhebt Abgaben und setzt eine rigide Auslegung der Scharia durch. Der Distriktchef, der sie einst eingeladen hatte, wird nach einem Konflikt selbst enthauptet.
Ein rasanter Machtzuwachs
Von weniger als fünfzig Mitgliedern im Jahr 2017 wächst Lakurawa bis 2023 auf über zweihundert Kämpfer an. Rekrutiert wird vor allem unter jungen Männern zwischen 18 und 35 Jahren, gelockt durch Antrittsprämien von bis zu einer Million Naira (rund 600 Euro). In den Grenzdörfern Gwangwano, Mulawa und Wansaniya errichtet die Gruppe Ausbildungslager und schafft sogenannte „Darul Islam“ – islamische Territorien unter eigener Kontrolle.
Die Kämpfer verfügen über leichte Waffen, Sprengstoff, Aufklärungsdrohnen – darunter Modelle türkischer und chinesischer Herkunft – sowie satellitengestützte Kommunikationsmittel. Diese logistische und technische Ausstattung deutet klar auf transnationale Netzwerke hin.
Der nigrische Staatsstreich als Beschleuniger
Der Militärputsch im Niger im Juli 2023 markiert einen weiteren Wendepunkt. Der Abbruch der Beziehungen zwischen Niamey und Abuja beendet die gemeinsamen Grenzpatrouillen entlang der ohnehin porösen Grenze. Es entsteht ein sicherheitspolitisches Vakuum, das Lakurawa sofort auszunutzen weiß.
Nachdem die nigerianische Armee die Gruppe 2022 zurückgedrängt hatte, zog sie sich auf nigrisches Gebiet zurück, wo sie nahe Birni-N’Konni eine logistische Basis und in der Region Tahoua ein operatives Lager errichtete. Mit dem Ende der bilateralen Militärkooperation öffnen sich ihr erneut die Zugänge nach Nigeria.
Im November 2024 erkennen die nigerianischen Behörden die Existenz der Gruppe offiziell an, im Januar 2025 wird Lakurawa als Terrororganisation eingestuft. Zu diesem Zeitpunkt kontrolliert sie bereits ein Gebiet mit rund fünfhundert Dörfern in den Bundesstaaten Sokoto und Kebbi.
Ambivalente Beziehungen zum „Islamischen Staat“
Die Frage der ideologischen und organisatorischen Anbindung Lakurawas ist unter Experten umstritten. In der Regel gilt die Gruppe als mit dem „Islamischen Staat in der Sahelzone“ (ISSP, auch EIGS genannt) verbunden. Einige Analysten, darunter James Barnett vom Hudson Institute, weisen jedoch darauf hin, dass sich diese Zugehörigkeit im Laufe der Zeit verändert habe: Die Gründer seien ursprünglich der Jama’at Nusrat al-Islam wal-Muslimin (JNIM), einem Al-Qaida-Ableger im Sahel, nahestehend gewesen, bevor sie sich dem „Islamischen Staat“ annäherten.
Diese wechselnden Loyalitäten spiegeln die extreme Fragmentierung der dschihadistischen Landschaft im Sahel wider, in der Gruppen je nach taktischer Lage und internen Machtkämpfen fusionieren, zerfallen oder ihre Zugehörigkeit wechseln.
Der Sprecher der nigerianischen Präsidentschaft, Daniel Bwala, bestätigte zudem, dass sich die amerikanischen Luftschläge gezielt gegen IS-Kämpfer aus dem Sahel richteten, die Lakurawa und lokale Banditenmilizen unterstützten.
Weihnachten unter Bomben: die amerikanische Zäsur
Die US-Angriffe markieren einen strategischen Bruch. Während sich Washington bislang auf Aufklärung und Geheimdienstunterstützung beschränkt hatte, griffen die Vereinigten Staaten nun direkt ein. Von einem Kriegsschiff im Golf von Guinea aus abgefeuerte Tomahawk-Raketen zerstörten Ausbildungslager im Bundesstaat Sokoto.
Präsident Donald Trump rechtfertigte den Einsatz mit dem Schutz der christlichen Bevölkerung Nigerias – eine Rhetorik, die bei seiner evangelikalen Wählerschaft auf Resonanz stößt. Vor Ort jedoch ist die Lage komplexer: Lakurawa greift Muslime wie Christen gleichermaßen an und setzt seine brutale Herrschaft vor allem in mehrheitlich muslimischen Regionen durch.
Ob die amerikanischen Angriffe ausreichen werden, ist fraglich. Das Erstarken Lakurawas ist Teil einer alarmierenden regionalen Entwicklung. Der „Islamische Staat“ in der Sahelzone verzeichnete 2025 eine Rekordzahl großangelegter Anschläge und rückt gefährlich nahe an Niamey, die Hauptstadt des Niger, heran. Zugleich dehnt er seine Aktivitäten in Richtung der Grenze zu Benin aus.
Das Center for Strategic and International Studies (CSIS) warnt, dass punktuelle Militärschläge keine umfassende Strategie ersetzen. Wie auch der nigerianische Verteidigungsminister einräumt: „Das Militär ist nur 30 Prozent der Lösung.“ Solange die verbleibenden 70 Prozent – gute Regierungsführung, Bildung und Justiz – ausbleiben, bleibt Lakurawa eine ernsthafte Herausforderung für den Staat.
Für Nigeria, die wirtschaftlich und demografisch größte Macht Afrikas, ist die Etablierung einer dem „Islamischen Staat“ nahestehenden Gruppe nur sechzig Kilometer von Sokoto entfernt – der ehemaligen Hauptstadt des Kalifats und einem historischen Zentrum des westafrikanischen Islams – sowohl sicherheitspolitisch als auch symbolisch von enormer Tragweite. (Quelle: afrik.com)