Rettungsschiff Humanity 1 festgesetzt – während kriminelle Akteure auf See unterstützt werden

Rettungsschiff Humanity 1 festgesetzt - während kriminelle Akteure auf See unterstützt werden
Foto: Marcel Beloqui Evardone / SOS Humanity

Berlin/Ortona, 10.12.2025. Gestern wurde zum ersten Mal ein Rettungsschiff der neu gegründeten Allianz „Justice Fleet“ festgesetzt, weil es die Einsatzkommunikation mit der libyschen Rettungsleitstelle verweigert hat. Die Justice Fleet erkennt libysche Akteure auf dem Mittelmeer aufgrund ihrer dokumentierten Menschenrechtsverletzungen nicht als legitim an. Italien hat die Festsetzung der Humanity 1 angeordnet, obwohl die erfahrene Besatzung ihre Rettungseinsätze in voller Übereinstimmung mit dem Völkerrecht durchgeführt hat, während von der EU unterstützte libysche Akteure weiterhin ungestraft gegen internationales Recht verstoßen.

SOS Humanity wird diese Behinderung ihrer lebensrettenden Arbeit auf See rechtlich anfechten.

Letzte Woche war die Humanity 1 nach der Ausschiffung von 85 Menschen im zugewiesenen Hafen von Ortona (Italien) vorläufig am Verlassen des Hafens gehindert worden. Gestern Nachmittag, am 9. Dezember, verhängten die italienischen Behörden nun die Festsetzung: Für 20 Tage darf das Rettungsschiff von SOS Humanity nicht auslaufen, um seine Such- und Rettungseinsätze durchzuführen, verbunden mit einer Geldstrafe von 10.000 Euro.

„Während kriminelle libysche Akteure weiterhin von Europa unterstützt werden, wird das dringend benötigte Rettungsschiff Humanity 1 festgesetzt, weil es nicht mit den libyschen Behörden kommuniziert hat“, sagt Marie Michel, Politikexpertin bei SOS Humanity. „Libysche Akteure auf See verstoßen systematisch gegen das Völkerrecht, bringen schutzsuchende Menschen in Gefahr und töten sie sogar. Sie verletzen systematisch die Rechte der Flüchtenden, bedrohen Rettungsschiffe und schießen sogar auf sie. Erst letzte Woche wurde das Rettungsschiff Louise Michel von der sogenannten libyschen Küstenwache mit scharfer Munition bedroht. Eine Zusammenarbeit mit ihnen würde bedeuten, Schutzsuchende sowie die Besatzung unseres Rettungsschiffs in Gefahr zu bringen. Wenn jemand für Rechtsverletzungen zur Rechenschaft gezogen werden sollte, dann nicht die humanitär Helfenden, sondern die italienischen Behörden und die Europäische Union – dafür, dass sie gewalttätige Milizen unterstützen und den lebensbedrohlichen Mangel an Rettungskapazitäten auf See noch verschärfen.“

Um zu vermeiden, dass maritime Akteure mit einer gut dokumentierten Geschichte von Menschenrechtsverletzungen legitimiert werden, hat SOS Humanity – als Teil der neuen Allianz „Justice Fleet“ – während ihres letzten Rettungseinsatzes die Kommunikation mit den libyschen Behörden eingestellt. Die Allianz wurde Anfang November 2025 von 13 Such- und Rettungsorganisationen sowie anderen humanitären zivilgesellschaftlichen Organisationen als Reaktion auf neun Jahre dokumentierter Brutalität und Missbräuche durch die sogenannte libysche Küstenwache gegründet. Mehrere italienische Gerichte und Rechtsexperten haben bestätigt, dass libysche maritime Behörden und Akteure nicht als legitime Such- und Rettungseinheiten angesehen werden können. Eine Untersuchungsmission der Vereinten Nationen hat festgestellt, dass die sogenannte libysche Küstenwache an Verbrechen gegen die Menschlichkeit beteiligt ist, die nun dem Internationalen Strafgerichtshof zur Untersuchung vorgelegt wurden.

Allison West, leitende Rechtsberaterin beim Europäischen Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte, erklärt: „Die Festsetzung der Humanity 1 schafft einen gefährlichen Präzedenzfall: Wenn italienische oder andere europäische Behörden NGO-Schiffe anweisen, sich mit libyschen Einheiten abzustimmen, fordern sie diese damit faktisch auf, sich an einem rechtswidrigen System zu beteiligen. Die Befolgung solcher Anweisungen birgt die Gefahr der Mittäterschaft; daher ist eine Verweigerung kein Ungehorsam, sondern die Einhaltung des Völkerrechts.“

Zusammen mit der Humanity 1 haben seit Inkrafttreten des Piantedosi-Gesetzes im Februar 2023 insgesamt 36 Rettungsschiffe und zwei zivile Flugzeuge Festsetzungen mit einer Gesamtdauer von 960 Tagen erhalten. Dies schränkt die ohnehin begrenzten Such- und Rettungskapazitäten im zentralen Mittelmeerraum erheblich ein.

„Während die Humanity 1 zwanzig Tage lang im Hafen festgehalten wird, könnten viele Menschen auf See ihr Leben verlieren, ohne Hilfe zu erhalten“, sagt Loic Glavany, Kapitän an Bord der Humanity 1. „Es ist die gesetzliche Verpflichtung für alle Seeleute, Such- und Rettungsmaßnahmen durchzuführen, wenn jemand auf See in Not ist. Dennoch wird unser gut ausgestattetes Rettungsschiff mit seiner erfahrenen Besatzung daran gehindert, Menschen in Seenot zu retten. Allein in der vergangenen Woche kamen sechs Menschen auf See ums Leben, die hätten gerettet werden können. Indem die italienische Regierung die Humanity 1 aus politischen Gründen im Hafen festhält, trägt sie die Verantwortung für weitere Todesfälle.“

SOS Humanity fordert die sofortige Freigabe ihres Rettungsschiffs und leitet rechtliche Schritte gegen die unrechtmäßige Festsetzung der Humanity 1 durch die italienische Regierung ein. (SOS HUMANITY)