Seenotrettungsorganisationen stellen Kommunikation mit libyscher Seenotrettungsleitstelle ein

Seenotrettungsorganisationen stellen Kommunikation mit libyscher Seenotrettungsleitstelle ein

Nach Jahren zunehmender Menschenrechtsverletzungen durch die sogenannte libysche Küstenwache im Mittelmeer ziehen 13 Seenotrettungsorganisationen eine klare Konsequenz: Sie gründen ein neues Bündnis und stellen ihre operative Kommunikation mit der sogenannten Seenotrettungsleitstelle in Tripolis, Libyen, ein. Mit diesem Schritt weisen die Organisationen den wachsenden Druck der EU und des Mitgliedstaats Italien zurück, mit der sogenannten libyschen Küstenwache zu kommunizieren – einer Akteurin, die laut einem neuen Bericht in den vergangenen zehn Jahren über 60 brutale Gewalttaten verübt hat.

Am 5. November 2025 gaben 13 Seenotrettungsorganisationen in Brüssel die Gründung der Justice Fleet bekannt – gemeinsam mit dem European Center for Constitutional and Human Rights und der Organisation Refugees in Libya. Als rechtlich fundierte Reaktion auf den Zwang europäischer Staaten, mit gewalttätigen Akteuren auf See zu kommunizieren, will das Bündnis Menschenrechte und das internationale Seerecht konsequent wahren. In diesem Zusammenhang hat das Bündnis beschlossen, die operative Kommunikation mit der Seenotrettungsleitstelle Libyens zu beenden.

Auf Grundlage gerichtlicher Entscheidungen stufen die Organisationen die sogenannte libysche Küstenwache als illegitimen Akteur auf See ein. Die Seenotrettungsleitstelle in Tripolis, Libyen, die diese Gewaltakte koordiniert, kann nicht als legitime Behörde angesehen werden. Libyen ist kein sicherer Ort für Schutzsuchende. Darüber hinaus erfüllt die Seenotrettungsleitstelle in Tripolis keine internationalen Standards: Sie ist nicht rund um die Uhr erreichbar, verfügt nicht über ausreichende Sprachkompetenzen und besitzt keine angemessene technische Infrastruktur zur Koordinierung von Rettungseinsätzen.

Seit Jahren dokumentieren Seenotrettungsorganisationen systematische Gewalt durch die sogenannte libysche Küstenwache – ein dezentralisiertes Netzwerk bewaffneter Milizen, das mit EU-Geldern, insbesondere aus Italien, ausgerüstet und ausgebildet wird. Flüchtende werden auf See gewaltsam abgefangen, verschleppt und in Lager gebracht, in denen Folter, Vergewaltigung und Zwangsarbeit systematisch sind. Europäische Gerichte sowie UN-Institutionen haben diese organisierte Gewalt längst anerkannt, laut Rechtsexperten stellen sie Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar.

Die Beendigung der operativen Kommunikation mit der Seenotrettungsleitstelle in Libyen könnte für die beteiligten NGOs Bußgelder, Festnahmen oder sogar die Beschlagnahmung ihrer Rettungsschiffe durch den italienischen Staat nach sich ziehen – ein klarer Verstoß gegen das Völkerrecht. Seit 2023 setzt die ultra-rechte italienische Regierung Rettungsschiffe auf Grundlage des sogenannten Piantedosi-Dekrets rechtswidrig fest.

„Wir haben diese Akteure niemals als legitime Rettungsbehörden anerkannt – sie sind Teil eines gewalttätigen Regimes, das von der Europäischen Union ermöglicht wird“, sagt Ina Friebe, Sprecherin des CompassCollective. „Nun werden wir zunehmend dazu gedrängt, genau mit diesen Akteuren zu kommunizieren. Das muss aufhören. Die Beendigung jeglicher operativer Kommunikation mit der sogenannten libyschen Seenotrettungleitstelle ist sowohl eine rechtliche als auch eine moralische Notwendigkeit – eine klare Linie gegen die europäische Mitverantwortung an Verbrechen gegen die Menschlichkeit.“

„Es ist nicht nur unser Recht, sondern unsere Pflicht, bewaffnete Milizen auch als solche zu behandeln – und nicht als legitime Akteure in Rettungseinsätzen“, erklärt Giulia Messmer, Sprecherin von Sea-Watch. „Wer Leben rettet, handelt im Einklang mit internationalem Recht. Wer Gewalt organisiert oder finanziert, verletzt es.“

„Alle Rettungsorganisationen zusammen haben in den letzten zehn Jahren über 155.000 Menschen vor dem Ertrinken gerettet. Wir werden uns nicht zwingen lassen, unsere Einsatzpositionen an EU-finanzierte bewaffnete Milizen weiterzugeben, die auf Schutzsuchende und unsere Rettungsteams schießen“, betont Janna Sauerteig, politische Referentin bei SOS Humanity.

Die Justice Fleet bündelt rechtliche, politische und öffentliche Strategien, um Schutzsuchende sowie Seenotrettungsoperationen gegen illegale Push- und Pullbacks und staatliche Repression zu verteidigen. Europäische Gerichte – von italienischen Gerichten bis hin zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte – haben wiederholt bestätigt, dass Abschiebungen auf See nach Libyen gegen internationales Recht verstoßen.

Eine umfassende Übersicht über extreme Gewalttaten der sogenannten libyschen Küstenwache sowie die erste Zusammenstellung gewonnener Gerichtsverfahren von Seenotrettungsorganisationen seit 2023 finden sich auf der neu veröffentlichten Website justice-fleet.org.

Alle Bündnispartner aus Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien: CompassCollective, Louise Michel, Mediterranea Saving Humans, Mission Lifeline, Pilotes Volontaires, RESQSHIP, r42 – sail and rescue, Sea-Eye, Sea Punks, Sea-Watch, Salvamento Marítimo Humanitario, SOS-Humanity and Tutti gli occhi sul Mediterraneo (TOM). (SOS Humanity)