Afrikanische Staaten verweigern sich der westlichen Sanktionspolitik gegen Russland

Afrikanische Staaten verweigern sich der westlichen Sanktionspolitik gegen RusslandViele afrikanische Staaten sind zurückhaltend mit Sanktionen und Kritik gegen Russland, auch demokratisch, prowestlich regierte. Das lässt sich auch mit historisch bedingter Loyalität erklären.

Als sich die UNO-Generalversammlung im März 2022 zu einer Sitzung zusammenfand um Russlands völkerrechtswidrigen Angriff auf die Ukraine zu verurteilen, votierten nur 28 von 54 afrikanischen Mitgliedern dafür. 17 enthielten sich der Stimme, 8 waren nicht anwesend. Nur Eritrea stellte sich hinter Russland.

Das Abstimmungsverhalten spiegelt den Einfluss wider, den Russland auf dem Kontinent hat. Südafrika als zweitgrößte Volkswirtschaft Afrikas (nach Nigeria) gehört mit Russland zu den BRICS-Staaten, einer Vereinigung aufstrebender Volkswirtschaften. Auch China gehört (neben Indien und Brasilien) dem BRICS-Verbund an, der in Afrika seit Jahren seinen Einfluss mit Milliarden-Investitionen ausbaut.

Am G7-Gipfel auf dem bayerischen Schloss Elmau werden vom 26.-28. Juni 2022 auch Südafrika und der Senegal teilnehmen. Da Deutschland Anfang Januar den Vorsitz in der „Gruppe der Sieben“ (neben Deutschland, den USA, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan und Kanada) übernommen hat, besuchte Bundeskanzler Scholz beide Länder im Mai 2022. Mit Blick auf den Krieg in der Ukraine bestehen allerdings Differenzen. Beide Staaten hatten sich in der Generalversammlung der Vereinten Nationen zur Verurteilung Russlands enthalten. Der Präsident des Senegals Macky Sall, der derzeit den Vorsitz der Afrikanischen Union (AU) inne hat und der südafrikanische Präsident Cyril Ramaphosa sehen westliche Sanktionen gegen Russland mit großer Skepsis.

Der senegalesische Präsident Macky Sall sagte, sein Land verurteile die russische Aggression zwar, wolle aber keine Partei in dem Konflikt sein. Er setze auf eine Verhandlungslösung. Macky Sall hat am 22. Mai in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundeskanzler Scholz erklärt, dass er als Vorsitzender der AU in den nächsten Wochen nach Russland und der Ukraine reisen werde. Von Russland sei er bereits eingeladen worden. Auch der ukrainische Präsident habe den Wunsch nach einem Gespräch geäußert. Die Bitte von Selenskyj, vor der AU sprechen zu dürfen, wurde bislang aber nicht erfüllt. „Wir arbeiten daran, dass es zu einer Deeskalation kommt“. Macky Sall sprach sich für einen Waffenstillstand, einen Dialog und einen „gerechten Frieden für die Ukraine und Russland“ aus.

Unbehagen gegen westliche Reaktionen
Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa äußert keine öffentliche Kritik an der russischen Invasion. Stattdessen ruft auch er zum Dialog auf. Die Regierungspartei, der Afrikanische Nationalkongress (ANC), verurteilte die „drakonischen Sanktionen“ der EU gegen Russland. Auch in der gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundeskanzler Scholz am 24. 5. 2022 in Pretoria wiederholte Ramaphosa seinen Wunsch nach Verhandlungen: „Es sollte einen Dialog geben, das ist der einzige Weg, den Südafrika sieht, um den Konflikt zu beenden.“ Auch das Apartheid-Regime in seiner Heimat sei letztlich durch Verhandlungen beendet worden.

Die Zurückhaltung lässt sich aus historisch bedingter Loyalität erklären. Zahlreiche afrikanische Regierungsparteien sind aus antikolonialen Befreiungsbewegungen hervorgegangen, die von der Sowjetunion unterstützt wurden. Dafür sind sie dankbar. Auch Angola, Mosambik und Namibia enthielten sich bei der Abstimmung.

Die Enthaltungen werden in Afrika als Antwort auf Äußerungen westlicher Politiker gewertet. Etwa wenn die amerikanische UNO-Botschafterin Linda Thomas-Greenfield in einem Interview mit der BBC sagte, es könne im Ukraine-Krieg keine Neutralität geben und man müsse den afrikanischen Ländern helfen zu verstehen, was Russlands Angriffskrieg bedeute. Dies wird in Afrika als Heuchelei gesehen, etwa im Hinblick auf die Konflikte in Somalia und der Republik Zentralafrika. Sie akzeptieren nicht, dass afrikanische Probleme anders als europäische Probleme behandelt werden. Der südafrikanische Präsident Cyril Ramaphosa sagte, dass der Krieg hätte verhindert werden können, hätte die Nato Warnungen vor einer weiteren Expansion gegen Osten ernst genommen. Ähnliches schrieb der Sohn („First Son“) des ugandischen Staatschefs Yoweri Museveni (77) und mögliche Nachfolger als Präsident, Generalleutnant Muhoozi Kainerugaba. Er sagte schon zu Anfang des Konflikts, Putin habe „absolut recht“.

Der guineische Politologe Siba N’Zatioula Grovogui (Cornell University, New York) erklärt in einem Interview mit Zeit-Online am 6. Mai 2022 die afrikanische Perspektive. Er erläutert, dass Joe Biden versucht hat, Druck auf den südafrikanischen Präsidenten auszuüben und ihn dazu zu bringen, eine Seite zu beziehen – obwohl Südafrika sich nicht positionieren will. Der Westen kommuniziere der Welt, dass er das Recht der Ukrainer verteidigt, selbst über das eigene Schicksal zu bestimmen. Er wolle aber anderen Staaten das Handeln diktieren. Wenn man im Westen die Moral zum Argument macht, um Staaten zum Handeln zu bewegen, so sei das unglaubwürdig und unehrlich. (Er verweist insbesondere auf die Unterstützung von Saudi-Arabien im Krieg im Jemen). Damit verliere man den Rückhalt im Globalen Süden. Im Moment entstehe der Eindruck, dass der Westen die Moral instrumentalisiere, um seine Ziele zu erreichen. (Quelle: tichyseinblick.de, mit freundlicher Genehmigung des Autors Volker Seitz*).

*Volker Seitz war von 1965 bis 2008 in verschiedenen Funktionen für das deutsche Auswärtige Amt tätig, zuletzt als Botschafter in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und Äquatorialguinea mit Sitz in Jaunde. Er gehört zum Initiativ-Kreis des Bonner Aufrufs zur Reform der Entwicklungshilfe und ist Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert“.  Die aktualisierte und erweiterte 11. Auflage erschien am 18. März 2021. Volker Seitz publiziert regelmäßig zu afrikanischen Themen und hält Vorträge (z.B. „Was sagen eigentlich die Afrikaner“, ein Afrika-ABC in Zitaten).