
Ein geopolitisches Paradoxon im Maghreb: Während die israelische Offensive in Gaza die internationale Gemeinschaft spaltet, setzt das Königreich Marokko seine Waffenkäufe fort und bleibt dabei diskret der größte afrikanische Importeur israelischer Rüstungsgüter. Diese militärische Allianz steht in auffälligem Kontrast zur symbolischen Rolle von König Mohammed VI., der dem Al-Quds-Komitee vorsitzt, das sich der Verteidigung der palästinensischen Sache widmet. Diese Situation löst zunehmendes Unbehagen in der arabischen Welt und auch innerhalb Marokkos aus, wo die Proteste zunehmen.
Übersehener Aspekt des Gaza-Kriegs
Während der von Israel geführte Krieg in Gaza weltweit Empörung auslöst, bleibt ein Faktum weitgehend unbeachtet: Marokko ist seit mehreren Jahren der wichtigste afrikanische Kunde der israelischen Rüstungsindustrie. Seit der Normalisierung der diplomatischen Beziehungen im Rahmen der Abraham-Abkommen im Dezember 2020 haben beide Länder eine beispiellose sicherheitspolitische Partnerschaft auf dem afrikanischen Kontinent etabliert.
Der Kontrast ist frappierend: Während westliche Länder wie Spanien ihre militärischen Verbindungen zu Israel abbrechen, intensiviert Rabat seine Kooperationen und zeigt sich offen gegenüber der israelischen Verteidigungsindustrie. Der Gaza-Krieg dient dabei sogar als Schaufenster für Israel, das die Effizienz seiner auf dem Schlachtfeld erprobten Waffen hervorhebt.
Beschleunigtes Aufrüsten mit israelischer Hilfe
In den letzten vier Jahren haben die marokkanischen Streitkräfte ein breites Arsenal israelischer Systeme erworben. Diese militärische Modernisierung umfasst mehrere strategische Achsen: von Barak-MX-Luftabwehrsystemen über optische Aufklärungssatelliten (Ofek 13) bis hin zu Überwachungsdrohnen und sogenannten „Kamikaze-Drohnen“ der Firma BlueBird, einer Tochtergesellschaft von Israel Aerospace Industries (IAI).
Doch es geht noch weiter: In Settat wurde eine gemeinsame Drohnenfabrik gegründet, inklusive Technologietransfer, der ab 2025 eine lokale Produktion ermöglichen soll. Die Partnerschaft erstreckt sich auch auf elektronische Kriegsführung, etwa durch den Einsatz der umstrittenen Spionagesoftware Pegasus, sowie auf Sensortechnologien und die Modernisierung der Artillerie.
Insgesamt hat Marokko in wenigen Jahren über zwei Milliarden Dollar in den Kauf israelischer Waffen investiert – mehr als alle anderen afrikanischen Länder zusammen. Dies zeigt die Tiefe dieser strategischen Kooperation.
Rabat gegen den Strom – Spaniens Gegenkurs
Zur gleichen Zeit hat Spanien, ein strategischer Partner Marokkos, einen radikal entgegengesetzten Weg eingeschlagen. Anfang Juni 2025 annullierte Madrid einen Vertrag im Wert von fast 300 Millionen Euro über den Kauf von Spike-LR2-Raketen, die unter israelischer Lizenz produziert werden. Außerdem wurden israelischen Kriegsschiffen spanische Häfen für Versorgung und Zwischenstopps gesperrt.
Gleichzeitig empfing der marokkanische Hafen Tanger Med ohne Bedenken eine israelische Fregatte für logistische Zwecke, während mehrere Frachtschiffe mit sensiblem Militärmaterial unbehelligt durch den Hafen transportiert wurden. Diese entgegengesetzte Haltung zum iberischen Nachbarn sorgt bei Unterstützern der palästinensischen Sache – auch in der marokkanischen Zivilgesellschaft – für zunehmende Irritation.
Der Widerspruch des „Befehlshabers der Gläubigen“
Der Widerspruch wird besonders deutlich, da König Mohammed VI. dem Al-Quds-Komitee vorsitzt – einem Organ der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC), das sich für die Rechte der Palästinenser in Jerusalem einsetzt. International verleiht ihm diese Funktion eine symbolische Rolle als Hüter der islamischen Heiligtümer und Verteidiger der palästinensischen Sache.
Diese Diskrepanz zwischen offiziellem Engagement und tatsächlichem militärischem Verhalten löst eine lebhafte Kontroverse aus. Seit dem Wiederaufflammen des Gaza-Kriegs im Herbst 2023 kam es immer wieder zu Massenprotesten in mehreren Großstädten Marokkos. Islamisten, linke Bewegungen und unabhängige Akteure vereinen sich in ihrer Kritik an einer „Normalisierung unter Bomben“. Viele stellen die Legitimität einer so engen Kooperation mit einem kriegführenden Staat infrage, dessen Waffen nach erfolgreicher Erprobung in Gaza weltweit vermarktet werden.
Israelische Industrie sieht strategische Chance
Die israelische Rüstungsindustrie sieht in Marokko einen strategischen Brückenkopf zur frankophonen Welt Afrikas, ein verlässliches logistisches Zentrum im westlichen Mittelmeerraum sowie einen wichtigen politischen Verbündeten innerhalb internationaler Organisationen, in denen Israel häufig kritisiert wird.
Doch diese enge militärische Partnerschaft birgt wachsende Risiken für das Ansehen Marokkos. In einer Zeit, in der die Unterstützung für Palästina erneut zur diplomatischen Trennlinie wird, könnte Rabat direkter Kritik ausgesetzt sein – auch von Seiten arabischer und afrikanischer Partner. Diese empfinden es als widersprüchlich, dass eine religiöse Führungsrolle in Bezug auf Jerusalem mit einer solchen Nähe zu Israel vereinbar sein soll.
Ein riskanter Kurs für die Zukunft
Während Rabat sich darauf vorbereitet, die lokale Produktion israelischer Drohnen zu starten und weitere Waffenlieferungen erwartet werden, stellt sich eine zentrale Frage: Wie weit kann Marokko diese sicherheitspolitische Allianz vertiefen, ohne seine außenpolitische Glaubwürdigkeit aufs Spiel zu setzen?
Die Strategie von König Mohammed VI. steht in scharfem Kontrast zur Haltung seiner Maghreb-Nachbarn. Algerien tritt als diplomatischer Akteur in der Lösung des Nahostkonflikts auf und übernahm 2025 den Vorsitz im UN-Sicherheitsrat. Präsident Abdelmadjid Tebboune erklärte sogar, dass „die algerische Armee bereit wäre, nach Gaza einzumarschieren, wenn Ägypten die Grenze öffnete“ – eine maximalistische Position der Palästina-Solidarität.
Tunesien hat sich von der Zwei-Staaten-Lösung distanziert. Präsident Kaïs Saïed fordert, dass die Palästinenser ihre Rechte über „das gesamte Palästina“ zurückerlangen. Das tunesische Parlament prüft ein beispielloses Gesetz, das jede Normalisierung mit Israel als Verbrechen einstuft und mit Haftstrafen bis zur lebenslangen Freiheitsstrafe belegt. Diese gesetzgeberische Radikalisierung macht Tunesien zum ersten Land der Region, das Normalisierung strafrechtlich verfolgt.
Selbst Libyen, trotz anhaltender Instabilität, bleibt Israel gegenüber feindlich eingestellt. Die drei Länder (Tunesien, Algerien, Libyen) haben trilaterale Konsultationen abgehalten, um ihre Positionen gegenüber regionalen Herausforderungen zu koordinieren – und schließen Marokko de facto aus dieser Maghreb-Kooperation aus.
Diplomatisches Abseits
Diese neue Allianz isoliert Rabat strategisch innerhalb des Maghreb. Eine Gratwanderung, die das Königreich nicht dauerhaft durchhalten kann. Ein aktuelles Beispiel: Saadeddine El Othmani, ehemaliger Premierminister Marokkos und Unterzeichner der Normalisierungsabkommen mit Israel im Auftrag Mohammeds VI., wurde kürzlich von Studierenden an der Universität Tanger wegen seiner Rolle bei der Annäherung an Israel hinausgeworfen. (Quelle: afrik.com)