Das Vorgehen von Präsident Kais Saied (Foto), per Handstreich dem tunesischen Volk eine neue Verfassung vorzulegen, die dann in kürzester Zeit per Referendum abgesegnet werden soll, bedeutet einen weiteren Schritt in Richtung Aushöhlung der Demokratie in Tunesien. Saied ist dabei, den tunesischen Staat ohne breite parlamentarische Debatte in ein Präsidialsystem zu seinen Gunsten zu verwandeln …
… erklärt Tobias B. Bacherle (B‘90/GRÜNE), Mitglied im Auswärtigen Ausschuss, zum Verfassungsentwurf des tunesischen Präsidenten Kais Saied und dem geplanten Verfassungsreferendum am 25. Juli 2022.
Bacherle weiter: „Der jetzt nur dem Präsidenten vorgelegte Verfassungsentwurf reiht sich ein in eine lange Liste von Entscheidungen, mit denen Saied die tunesische Demokratie schrittweise untergräbt. Im Laufe eines einzigen Jahres setzte er die Verfassung von 2014 außer Kraft, entmachtete das Parlament, schränkte die unabhängige Justiz ein und stellte die einst unabhängige Wahlkommission um, sodass der Legitimierungsprozess der neuen Verfassung seinen Willen abbildet und er seine Macht ausweiten und festigen kann – auf Kosten oppositioneller Parteien und der Zivilgesellschaft.
Ein Referendum über eine neue Verfassung ausschließlich unter Einbindung willfähriger Organe und Kommissionen, ohne dass das gewählte Parlament seine Rechte ausüben kann, verurteilen wir als verfassungswidrig. Ein funktionierendes Parlament, eine unabhängige Justiz sowie Presse- und Meinungsfreiheit sind grundlegend für eine funktionierende Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Wir Grüne würdigen den Weg, für den sich die tunesische Bevölkerung seit 2011 trotz vieler Hindernisse und mit ihrer progressiven Verfassung von 2014 eingesetzt hat. Die dahinterstehenden Hoffnungen und Errungenschaften dürfen nicht verspielt werden. Entsprechend schließen wir uns den Sorgen der tunesischen Zivil- und Menschenrechtsorganisationen über die Machtkonzentration in Präsident Saieds Händen an.
Sorge bereitet uns auch, dass Teile der Opposition, die das Verfassungsreferendum boykottieren wollen, demnächst außerhalb des politischen Systems stehen und politisch verfolgt werden könnten. Der innere Frieden und Zusammenhalt in Tunesien steht damit auf dem Spiel. Die kommenden Wochen und Monate bis zu den geplanten Wahlen der Legislative im Dezember werden entscheidend für den Weg des Landes sein.
Da zudem der politische Diskurs des Präsidenten zunehmend gesellschaftlich konservative Züge trägt, sind mit diesen Entwicklungen nicht nur die demokratischen Errungenschaften der Tunesier*innen in Gefahr, sondern auch wichtige Räume der Zivilgesellschaft für demokratische Teilhabe, besonders von Frauen, LSBTQI*+ Personen und weiteren vulnerablen Gruppen.“ (GRÜNE im Bundestag)