*Volker Seitz: Anders sparen in Afrika

*Volker Seitz: Anders sparen in Afrika
Bernard (Mitte) und die Mitglieder der „Unglückskasse“

Auch wenn Afrika hierzulande vielleicht nicht als Hort der Sparsamkeit gilt, so hat sich auf dem Kontinent doch eine interessante eigene Form des Sparens entwickelt, auch um – jenseits von Banken – den Zwang zum verwandtschaftlichen Verteilen auszutricksen.

Der Schweizer Ethnologe David Signer, früherer langjähriger Afrika-Korrespondent der Neuen Zürcher Zeitung in Dakar, schreibt im NZZ Band Nr. 51 vom März 2024 in einem lesenswerten Beitrag unter dem Titel „Eine eigene Moderne“ u.a. auch über eine typische Form des Sparens in Afrika. „Sparen gilt auf dem Kontinent oft als egoistisch, und Tontines sind eine Option, den Zwang zur Solidarität und zum verwandtschaftlichen Verteilen auszutricksen … Tontines sind sind eine Quadratur des Kreises: Sie ermöglichen Sparen, gelten aber nicht als egoistisch, weil sie kollektiv sind.“

In vielen afrikanischen Staaten sind Spargemeinschaften populär und haben eine lange Tradition: vom Senegal bis Südafrika, über Sudan und Uganda bis Kamerun. Die Wortschöpfung Tontine geht auf den Namen eines italienischen Bankiers, Lorenzo de Tonti zurück, der im 17. Jahrhundert Kardinal Mazarin, damals Finanzminister von Ludwig XIV, ein auf gegenseitig basierendes Versicherungssystem vorgeschlagen hatte.

Was sind Tontines?
In West- und Zentralafrika haben sich lokale Spar- und Kreditgruppen von meist 10 bis 50 Personen zusammengeschlossen, zur so genannten Tontine. Es treffen sich Gruppen zum Sparen, weil es seitens der Banken keine entsprechenden Angebote gibt. Auch fehlt oft das Vertrauen in die Banken. Der Zweck einer Tontine besteht darin, ihren Teilnehmern zu einem bestimmten Zeitpunkt einen größeren Betrag zur Verfügung zu stellen. Alle Mitglieder geben regelmäßig einen vorher festgelegten Betrag in den Topf. Die Mitglieder sind in ein Netz sozialer Beziehungen integriert wie Verwandte, Freunde, Nachbarn, Arbeitskollegen. (Die afrikanischen Mitarbeiter der deutschen Botschaft in Jaunde hatten zu meiner Zeit eine Tontine gegründet.)

Das System beruht auf Vertrauen, dass alle die vereinbarten Regeln einhalten. Trotz vermehrten Bankwesen bleiben die Tontine sehr beliebt. Um ein Bankkonto zu eröffnen, braucht man eine ID-Karte und muss lesen und schreiben können. Da immer noch zahlreiche Afrikaner Analphabeten sind (im Niger sogar Abgeordnete), haben sie keinen Zugang zum Bankensystem. Also sparen sie mit Tontinen. Nach meiner Kenntnis kommt es nur vereinzelt vor, dass Leute, die die Tontine ausgezahlt bekommen haben, anschließend nicht weiter einzahlen und so die anderen Mitglieder schädigen.

Früher bestanden diese Spargemeinschaften nur innerhalb der Familie oder unter Freunden. Heute gibt es in den Straßen der Städte Werbeschilder von Tontines. Sie werden inzwischen wie ein informelles Credit- und Bankensystem gehandhabt.

In Südafrika heißen ähnliche soziale Unterstützungsnetzwerke „Stokvels“. Je nach den Regeln wird die von allen eingezahlte Gesamtsumme oder Teile davon an die Mitglieder nach Antrag ausgezahlt. Stokvels bieten Menschen mit niedrigem Einkommen einen Zugang zu größeren Summen Geldes. Wie bei den Tontines haben so Menschen, die keinen Zugang zu Bankkrediten haben, eine Möglichkeit Nutztiere oder ein Auto zu kaufen.

Chamas sind kleine informelle Investmentgruppen in Kenia. Ziel ist es, Geld, beispielsweise zu Landkauf, Hausbau, Wohnungseinrichtung, Schulgebühren oder Existenzgründung, aufzubringen. Laut dem Online Magazin „JournAfrica“ gibt es in Kenia 300.000 Gruppen mit einem Vermögen von 3,4 Milliarden Dollar. Die meisten Chamas funktionieren nach einem Rotationsverfahren. Die Mitglieder sammeln dabei eine gewisse Summe pro Tag oder Woche.

Verbreitete Abneigung gegenüber Banken
Die Stokvels sind ein Ausdruck des „Ubuntu“, des stark ausgeprägten Gemeinschaftsgefühls der schwarzen Südafrikaner. Schwer wiegt auch die weit verbreitete Abneigung gegenüber Banken und deren hohe Bankgebühren. In den Stokvels fallen wie bei den Tontines keine Gebühren an. Allerdings wird das Kapital auch nicht verzinst.

Etwas Ähnliches gibt es auch in Ghana und Nigeria. Es heißt dort Susu oder Esusu (Yoruba) und ist weit verbreitet. Auch sie sind wie ein privater Spar- und Kreditverein. Zinsen gibt es nicht.

Menschen tun sich zu Spargemeinschaften zusammen. Das kann auf dörflicher Ebene sein oder auch auf der Arbeit. Es wird ein Susu-Collector (fast immer eine Frau) bestimmt, der (die) das Geld einsammelt und verwaltet. Wenn jemand der Sparer bzw. dessen Familie einen größeren Geldbetrag benötigt, dann kann er den angesparten Betrag bekommen oder auch als Kredit, falls die angesparte Summe nicht ausreicht. Das ist oft für Beerdigungen der Fall, die ja (nicht nur) in Ghana groß gefeiert werden (müssen), was immer wieder auch den finanziellen Ruin einer Familie nach sich zieht. Oder auch für Krankenhauskosten oder Schulgelder, Brautpreise, Investition in eine kleine Geschäftsgrundlage, etc. werden diese Susu-Gelder in Anspruch genommen.

Wichtig ist, dass es eine selbstbestimmte Gemeinschaft ist, die über die Gelder wacht und entscheidet. Das ist eine Ebene, wo die traditionelle Gemeinschaft noch lebt und funktioniert.

In Deutschland wäre nach dem Kreditwesen etwas wie Susu vermutlich ein verbotenes und damit strafbares „Zwecksparunternehmen“, da es bei den Susus oder Esusus einen Rechtsanspruch auf Gewährung eines Darlehens gibt. Außerdem wird nichts schriftlich festgelegt. Es funktioniert nur über Vertrauen.

Der eingangs erwähnte Artikel des weithin geschätzten Ethnologen David Signer ist auch deshalb lesenswert, weil er aufzeigt, wie sich afrikanische Traditionen in der Globalisierung bezahlt machen. Er beschreibt das weltumspannende Handelsnetzwerk der Muriden im Senegal. „Die Muriden stehen stellvertretend für ähnliche Gruppierungen im subsaharischen Afrika. Gemeinsam ist ihnen eine überraschende Kombination von Traditionsbewusstsein und Flexibilität, die sie in der globalisierten Ökonomie erfolgreich macht.

Fern der politischen Macht
Die Yoruba, die vor allem in Nigeria, Benin und Togo zu Hause sind, gehören zu den wenigen afrikanischen Ethnien, die bereits vor der Kolonialzeit große Städte bauten. Das prädestinierte sie vermutlich für die überragende Rolle, die sie heute als transnationale urbane Händler einnehmen… Die gleichen Mechanismen sind auch bei den Bamiléké wichtig, einer Ethnie in Kamerun, deren Netzwerke sich ebenfalls als erfolgreich im internationalen Handel erweisen. Wie die Muriden pflegen sie ein Arbeitsethos, das an den Protestantismus erinnert. Eigeninitiative, Selbstverantwortlichkeit und Unternehmergeist werden hoch bewertet.“

Ich habe in Kamerun viele Bamiléké kennen und schätzen gelernt. Sie halten sich allerdings gewollt oder ungewollt von der politischen Macht fern. Es würde dem Land vermutlich besser gehen, wenn sie mit ihrem hohen Arbeitseinsatz und Fleiß politische Posten übernehmen würden. Aber außerhalb ihrer Ethnie – wie ich es auch in meinem Buch schildere – erwecken sie viel Missgunst. Auch die Hilfsindustrie mag sie und versteht sie nicht, denn bis heute haben sie keine besondere Hilfe benötigt und lehnen Förderung von außen ab. Sie helfen sich selbst. Die Bamiléké-Philosophie basiert auf der Grundlage, dass sich jeder durch Einsatz und Fleiß den Aufstieg in der Gesellschaftsstruktur schaffen kann und muss. (Quelle: achgut.com, mit freundlicher Genehmigung des Autors *Volker Seitz, Botschafter a.D., Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert“, dtv. 11. Auflage 2021).

Anm.d.R.: Mein kamerunischer Freund Bernard (ein Bamiliké) in Libreville war auch Mitglied solch einer Gruppe, sie nannten es „Die Unglückskasse“. Damit hat er es geschafft, eine Privatschule von einem rückkehrwilligen Franzosen zu kaufen und ist nun – ehemals Taxifahrer – Schuldirektor!