Madagaskar gilt als „Biodiversitäts-Hotspot“, weil dessen einzigartige Tier- und Pflanzenwelt durch menschliche Einflüsse stark bedroht ist. Der Biologe Kim Steffens entwickelt in seiner Doktorarbeit ein alternatives Konzept zur Aufforstung, das Bedürfnisse von Tieren und Menschen integriert.
Warum schrumpfen Madagaskars Wälder so dramatisch?
Ein Grund ist Abholzung wegen der Bedürfnisse oder Interessen einer wachsenden Anzahl von Menschen. Die lokale Bevölkerung zum Beispiel braucht Holzkohle, die zum Kochen genutzt wird und die aus gerodeten Bäumen hergestellt wird. Menschen aus anderen Ländern dagegen interessieren sich für Ressourcen aus Madagaskar, wie zum Beispiel Edelhölzer oder Bodenschätze, für deren Gewinnung ebenfalls Wald zerstört wird.
Weshalb ist das so bedrohlich?
Weil ein relativ kleiner Verlust von Lebensraum auf Madagaskar einen relativ großen Einfluss auf den Verlust von Arten hat. Das liegt daran, dass das Land nur 0,4 Prozent der Landfläche der Erde stellt, aber zum Beispiel 2,8 Prozent aller landlebenden Wirbeltierarten der Welt beherbergt. Und: Die Menschen verlieren mit dem Wald ebenfalls ihre Lebensgrundlage, etwa wenn die Holzkohle nicht mehr hergestellt werden kann.
Was wurde bisher für die Wiederaufforstung unternommen?
Bisher wurde hauptsächlich mit wenigen, eingeführten Arten wie Eukalyptus-, Akazien- oder Kiefernarten aufgeforstet. Bei diesen Arten ist bekannt, wie man sie effizient anpflanzt und sie wachsen schnell. Deshalb können sie auch schnell wirtschaftlichen Erfolg bringen. Die resultierenden Wälder – oder vielmehr Plantagen – sind jedoch kein Ersatz für die ursprünglichen Ökosysteme, denn sie sind artenarm und anfälliger gegenüber Schädlingen, Dürren oder Waldbränden. Eine Aufforstung mit vielen unterschiedlichen, heimischen Arten ist dagegen zeit- und kostenaufwendig und damit weniger attraktiv für die lokale Bevölkerung und die finanzierenden Organisationen. Deshalb beschäftige ich mich mit der Frage, welche Vorteile diese Form der Aufforstung hat, wie man sie vermitteln kann und welche heimischen Pflanzen besonders dafür geeignet sind.
Wo setzen Sie mit Ihrer Forschung an?
Ich habe die Nahrungspflanzen von Lemuren, einer nur auf Madagaskar vorkommenden Gruppe von etwa 100 Arten von Primaten, zusammengetragen und eine entsprechende Liste erstellt. Interessanterweise haben die zehn am stärksten von Lemuren genutzten Pflanzenarten alle auch einen Nutzen für die lokale Bevölkerung – zum Beispiel wegen ihrer Früchte, als Medizin oder als Baustoff.
Weil das Wissen vom Nutzen der einheimischen Pflanzen oft nur lokal vorhanden und nicht öffentlich zugänglich ist, hat unser Team um meine Kollegin Cathlin Konersmann zudem Umfragen dazu in drei verschiedenen Regionen Madagaskars durchgeführt. Dabei fanden wir eine Vielfalt an Pflanzenarten, die sowohl von den Menschen als auch von heimischen Wirbeltieren wie Lemuren genutzt werden.
Mit unserer Arbeit wollten wir sowohl ökologische als auch sozioökonomische und kulturelle Aspekte betrachten und bei der Auswahl von Pflanzenarten für eine Aufforstung helfen, die diese Aspekte beinhaltet. Wir versuchen dabei, unsere Ergebnisse möglichst auch direkt zu kommunizieren, denn auf Madagaskar wird immer mehr auf „community-based natural resource management“ gesetzt, das heißt: Die lokale Bevölkerung verwaltet die Wälder vor ihrer Haustür selbst.
Warum ist das so wichtig?
Das ist gerade jetzt wichtig, da sich Madagaskar und viele afrikanische Staaten im Zuge der „African Forest Landscape Restoration Initiative“ zum Ziel gesetzt haben, in den kommenden zehn Jahren 100 Millionen Hektar Wald aufzuforsten. Was da aufgeforstet wird, wird mit allen Fehlern und allem Potenzial die nächsten Jahrzehnte stehen. Deshalb darf man nicht nur Ernährungssicherung, Klimaeffekte und ökonomische Aspekte im Auge haben, sondern auch die Auswirkungen auf die regional unterschiedlichen heimischen Tierwelten.
Ein weiterer Vorteil einer solchen Aufforstung mit Nahrungspflanzen von Lemuren wäre, dass die Tiere die Samen ausbreiten. Lemuren fressen hauptsächlich Früchte und können die enthaltenen Samen intakt ausscheiden. Diese Samenausbreitung könnte die Regeneration des Waldes in Aufforstungsflächen beschleunigen und vielfältiger machen.
Gibt es schon Untersuchungen, ob die Ausbreitung von Samen durch bestimmte Lemuren Erfolg hatte?
In unserer Feldstudie im Norden Madagaskars konnte ich mit den madagassischen Kolleginnen und Kollegen zeigen, welchen Einfluss die Ausbreitung von Samen durch Kronenmakis haben kann. Die zwei untersuchten Gruppen von Lemuren breiteten innerhalb von zehn Monaten 80 verschiedene Pflanzenarten aus und mehr als 90 Prozent der ausgeschiedenen Samen waren noch intakt. Die Entfernung des Fruchtfleischs durch die Tiere hatte zudem einen positiven Einfluss auf die Anzahl der gekeimten Samen und die Dauer bis zur Keimung.
Während Studien wie unsere positive Effekte auf die Ausbreitung von Samen nachgewiesen haben, gibt es aber auch solche, die neutrale oder negative Effekte wie zum Beispiel die Zerstörung der Samen zeigten. Die Richtung der Effekte scheint sowohl von der Lemuren- als auch der Pflanzenart abzuhängen. (PM Uni Hamburg)