
„Wo haben Sie so gut Englisch gelernt?“ – Diese Frage stellte Donald Trump im Juli 2025 während eines Treffens in Washington dem liberianischen Präsidenten Joseph Boakai. Sie löste im Liberia – einem Land, in dem Englisch Amtssprache ist – und weltweit eine Schockwelle aus. Hinter dieser als herablassend empfundenen Bemerkung verbirgt sich ein ganzes System verzerrter Vorstellungen über den afrikanischen Kontinent.
Zu vergessen, dass Liberia anglophon ist und eine Gründungsgeschichte mit den Vereinigten Staaten teilt, offenbart eine Blindheit, die symptomatisch für einen westlichen Blick auf Afrika ist. Ein Blick, der noch immer von alten Stereotypen geprägt ist: Afrika als kontinentlos, in sich selbst zurückgezogen, zum Elend verdammt oder ohne politische Rationalität.
Diese Episode reiht sich in ein koloniales Erbe ein. Afrika wird dort als homogener Block gesehen – ohne Unterschied zwischen seinen 54 Ländern, seinen Hunderten von Sprachen und seiner reichen, alten Geschichte.
Doch der Kontinent ist keineswegs „außerhalb der Geschichte“. Mächtige Reiche wie die von Ghana oder Mali strahlten lange vor der Ankunft der Europäer aus. In der vorkolonialen Zeit gab es große Zivilisationen: stark, organisiert und mit der Welt vernetzt.
Ein emblematisches Beispiel ist das Reich von Ghana (auch Wagadou genannt), das bereits im 3. Jahrhundert n. Chr. vom Soninké-Volk gegründet wurde und im 11. Jahrhundert seinen Höhepunkt erreichte. Auch wenn es geografisch nichts mit dem heutigen Ghana gemein hat, beherrschte dieses Reich weite Teile der Sahelzone (Senegal, Mali, Mauretanien, Niger).
Sein Reichtum beruhte auf Goldvorkommen, Eisenverarbeitung, einer strukturierten politischen Organisation (mit Ministern, Gouverneuren und einer hierarchisierten Armee) sowie einem matrilinearen Erbfolge-System, das seiner Zeit weit voraus war. Über die transsaharischen Handelsrouten war das Reich mit dem Maghreb, der arabischen Welt und darüber hinaus verbunden.
Die gängige Vorstellung, Afrikaner seien lediglich Empfänger der Moderne, nährt bis heute einen paternalistischen Blick. Doch afrikanische Gesellschaften waren immer Akteure globaler Geschichte – verbunden durch Handel, Religion und Diplomatie mit Europa, dem Nahen Osten und Asien, lange vor der Kolonialisierung.
Nach dem Niedergang Ghanas im 12. Jahrhundert trat das Reich von Mali an seine Stelle. Unter dem legendären Herrscher Mansa Moussa (1312–1332 oder 1337) erlebte es seine Blüte. Dieser gilt oft als einer der reichsten Männer der Weltgeschichte. Seine Macht beruhte auf den Goldvorkommen Malis – zu einer Zeit, als der Großteil des im Mittelmeerraum zirkulierenden Goldes aus Westafrika stammte.
Trumps Kommentar wäre nur ein „Ausrutscher“, wenn der Kontext nicht so schwerwiegend wäre. Er macht deutlich, wie afrikanische Stimmen noch immer durch ein Prisma von Exotik und Überraschung wahrgenommen werden – als ob Intelligenz, Sprachkompetenz oder Kultur vom Kontinent nur ausnahmsweise hervorgehen könnten.
Oft hat man afrikanische Gesellschaften als schriftlos, geschichtslos, politisch irrational dargestellt. Die Kolonisation legitimierte sich auf dieser Grundlage, indem sie vorgab, „unzivilisierte“ Völker „zivilisieren“ zu müssen. Der portugiesische Soziologe Boaventura de Sousa Santos spricht in diesem Zusammenhang von „Epistemizid“ – der Vernichtung indigener Wissensformen und sozialer Praktiken, ein Prozess, der bereits in den Kolonien wirkte.
Länder als Produzenten und politische Akteure
Der Kontinent ist reich an Bürgerdynamiken, demokratischen Ausdrucksformen und politischen Organisationsweisen, die von großer Vitalität zeugen. Afrikaner sind nicht „apolitisch“, wie manche Diskurse suggerieren, sondern beteiligen sich aktiv am öffentlichen Leben – oft außerhalb staatlicher Institutionen.
Zivilgesellschaftliche Kräfte sind hier zentral: Gewerkschaften, Studierendenbewegungen, lokale NGOs, Journalist:innen, engagierte Künstler:innen und digitale Aktivist:innen. Sie hinterfragen Macht, prangern Korruption an, verteidigen Menschenrechte. Häufig sind sie es, die demokratische Bestrebungen tragen, während Eliten als abgehoben gelten.
Auch panafrikanische Bürgerbewegungen wie „Y’en a marre“ im Senegal oder „Balai citoyen“ in Burkina Faso verkörpern eine neue politische Generation: horizontal, kreativ und im Bruch mit klientelistischen Praktiken der postkolonialen Staaten.
Da die afrikanische Jugend zunehmend gebildet, vernetzt und anspruchsvoll ist, verschiebt sich politische Legitimität. Sie gründet sich nicht mehr nur auf Wahlen, sondern auf der Fähigkeit der Regierenden, reale Bedürfnisse zu erfüllen, Visionen zu verkörpern und mit einer stärker organisierten Zivilgesellschaft in Dialog zu treten.
So lassen sich westliche Modelle repräsentativer Demokratie nicht einfach übertragen. Ihre unreflektierte Übernahme hat oft hybride Systeme hervorgebracht, in denen Wahlen neben autoritären, klientelistischen oder militarisierten Praktiken bestehen. Das bedeutet jedoch nicht Abwesenheit politischer Kultur – im Gegenteil: Afrikanische Gesellschaften entwickeln eigene Formen von Teilhabe, Protest und Verantwortlichkeit.
Mit der Vorstellung eines „natürlich rückständigen“ Afrika brechen
Afrikas ist Raum für Innovation – ein Gegenbeweis zu der Annahme, sie seien nur Empfänger importierter Modernität.
Historisch etwa die Universität Sankoré in Timbuktu: Schon im Mittelalter verfügte sie über Tausende Manuskripte zu Astronomie, Mathematik, Recht, Theologie. Sie zog Gelehrte aus der gesamten islamischen Welt an und rivalisierte mit den großen europäischen Universitäten ihrer Zeit.
In der Gegenwart setzt sich diese kreative Dynamik fort. Kenia wurde zum Symbol der Innovation durch M-Pesa, einen 2007 von Safaricom entwickelten mobilen Bezahldienst. Millionen Nichtbankierte erhielten dadurch Zugang zu Finanzdienstleistungen – eine Revolution im Alltag.
Dies löste eine Welle von afrikanischen Start-ups aus, etwa in Nigeria, Senegal oder Marokko, die heute Hunderte Millionen Dollar in Bereichen wie Digitalwirtschaft, Agrartechnologie, Gesundheit oder Künstliche Intelligenz anziehen. Länder wie Ägypten, Südafrika und Kenia sind zu Innovationszentren geworden – trotz fehlender Infrastrukturen und Finanzierungsprobleme.
Innovation zeigt sich auch kulturell. Nollywood, die nigerianische Filmindustrie, ist nach Produktionsvolumen die zweitgrößte der Welt. Ähnlich revolutionär ist der Afrofuturismus, der Science-Fiction mit afrikanischem Erbe und Kolonialismuskritik verbindet. Der Film Black Panther, mit seinem nie kolonisierten, technologisch überlegenen Reich Wakanda, markierte eine Zäsur in der Popkultur, indem er ein mächtiges, modernes, autonomes Afrika ins Zentrum stellte.
Diese Beispiele zeigen: Kreativität ist nicht Ausnahme, sondern strukturell. Und doch wird sie oft durch ein Filter der „Überraschung“ wahrgenommen – als wäre Innovation aus Afrika nur ein Sonderfall.
Die „Verwunderung“ Donald Trumps über einen anglophonen Präsidenten ist Echo derselben absurden Vorstellung, Afrikaner hätten „keine Geschichte“ oder seien „von Natur aus zurückgeblieben“.
Tatsächlich handelt es sich weniger um Wissensdefizite als um den hartnäckigen Unwillen, afrikanischen Stimmen zuzuhören. Es ist höchste Zeit, diese Bilder zu dekonstruieren – durch Bildung, Geschichtsbewusstsein und Zuhören. Nicht Afrika ist „rückständig“ – sondern bestimmte Wahrnehmungen, die sich nicht erneuern wollen. Das eigentliche Problem ist nicht ein diplomatischer Ausrutscher, sondern die Notwendigkeit, unsere Denkmuster grundlegend zu überdenken. (Quelle: The Conversation)