Außenseiter mischt den Wahlkampf in Kenia auf – Warum kommt der Exot Wajackoyah so gut an?

Außenseiter mischt den Wahlkampf in Kenia auf - Warum kommt der Exot Wajackoyah so gut an?
Foto: Kenyans.co.ke auf twitter

George Wajackoyah ist eine in vieler Hinsicht schillernde Persönlichkeit: Ehemaliges Straßenkind, aufgenommen von den Hare Krishna, das Studium finanziert als Nachtwächter und Totengräber, Jura-Professor mit mindestens 16 Universitätsabschlüssen und aktuell Präsidentschaftskandidat in Kenia. Schon Wajackoyahs Auftritt provoziert – struppiger grauer Bart, T-Shirt und Kopftuch – noch mehr aber seine Thesen. Die hohen Schulden des Landes will er durch den Export von Marihuana und Schlangengift bezahlen, auch der Verkauf von Hyänenhoden als Heilmittel nach China steht auf seinem Programm.

Mit diesen Botschaften ist Wajackoyah seit Wochen das Gesprächsthema in Kenia. Quasi aus dem Nichts ist er auf Platz drei in den Umfragen geklettert – Wahlforscher trauen ihm bis zu vier Prozent der Stimmen zu, bei der Wahl am 9. August, einige sogar sieben Prozent.

Warum kommt der Exot Wajackoyah so gut an? Dass seine Hauptforderung – die Legalisierung von Marihuana – bei jungen Leuten populär ist, reicht als Erklärung nicht aus. Wajackoyahs Erfolg verdeutlicht das Dilemma, vor dem die kenianischen Wähler stehen. Die beiden Hauptkonkurrenten um das Präsidentenamt gehören zum politischen Establishment, beide besetzen seit Jahren Spitzenpositionen im Staat, und – das gehört in Kenia dazu – gegen beide gibt es Korruptionsvorwürfe. Keiner von beiden steht für einen mutigen Aufbruch, den Kenia so dringend braucht.

Kampf der „Hustlers“ gegen die „Dynasties“

Auf der einen Seite steht der amtierende Vizepräsident William Ruto, der Kandidat der Koalition Kenya Kwanza – Kenia, zuerst. Er hat dem aktuellen Präsidenten Uhuru Kenyatta vor zehn Jahren ins Amt geholfen, der ihn im Gegenzug jetzt unterstützen sollte. Doch Kenyatta hat diese Absprache schon 2018 gebrochen und sich im sogenannten „Handshake“ mit seinem langjährigen Rivalen Raila Odinga verbündet. William Ruto setzt in seinem Wahlkampf auf die Verlierer in der kenianischen Gesellschaft, die Millionen, die sich als kleine Händler, Handwerker oder Bauern durchschlagen und meist am Morgen nicht wissen, wie sie am Abend ihre Familien ernähren sollen. Der Kampf dieser „Hustlers“ gegen die „Dynasties“, die einflussreichen Familien, die häufig durch Betrug und Korruption große Ländereien und Vermögen erworben haben, ist das Hauptwahlkampfthema von Ruto. Dabei ist der 55-Jährige selbst in seiner Zeit als Politiker reich geworden und verwickelt in mehrere Skandale um illegalen Landerwerb.

Der Hauptgegenspieler ist eben jener Raila Odinga von Azimio La Umoja – Bündnis für Einheit. Er ist Sprössling einer der einflussreichsten Familien des Landes, sein Vater war der erste Vizepräsident Kenias nach der Unabhängigkeit. Auch er war in verschiedene Skandale verwickelt. Der 78-jährige Odinga nimmt bereits zum fünften Mal Anlauf auf das Präsidentenamt. Viermal ist er bisher gescheitert, 2017 nach eigener Aussage nur durch Wahlbetrug von Uhuru Kenyatta. Doch seit dem Handshake scheint dieser Vorwurf vergessen, jetzt steht Kenyatta auf der Seite Odingas.

Lange sah es so aus, als ob der jüngere und rhetorisch begabte Ruto das Rennen gewinnen würde. Über Monate führte er die Umfragen an. Doch dann, im Mai dieses Jahres, verkündete Odinga seine Kandidatin für das Vize-Präsidentenamt: Martha Karua, Juristin, Menschenrechtsaktivistin und ehemalige Justizministerin unter Präsident Kibaki. „Der einzige Mann“ im Kabinett, wie viele Kenianer bis heute sagen. Martha Karua wäre die erste Frau im Amt der Vizepräsidentin, sie steht für Gradlinigkeit und Reformen. Entsprechend attraktiv ist sie für weibliche Wähler und die gut ausgebildete Mittelschicht in den großen Städten. Seit sie an Bord ist, führt Odinga in den Umfragen, wenn auch knapp.

Nicht zu vergessen: Martha Karua ist Kikuyu, also Mitglied der bevölkerungsstärksten Ethnie in Kenia. Reicht das aus, um die Kikuyu-Wähler auf die Seite von Odingas Azimio La Umoja zu ziehen? Das ist eine der offenen Fragen bei dieser Wahl. Odinga selbst ist Luo. Vizepräsident Ruto ist ein Kalenjin. Die Gewaltausbrüche nach Wahlen waren in der Vergangenheit zumeist Kämpfe zwischen Kikuyus auf der einen Seite und Luos oder Kalenjins auf der anderen Seite. 2007 gab es dabei rund 1000 Tote, 250.000 Menschen wurden vertrieben. Nach Einschätzung von Beobachtern sind diese Erfahrungen nicht vergessen. Es ist schwer sagen, ob die Kikuyus dieses Mal eher für den Luo Odinga oder den Kalenjin Ruto stimmen.

Chancen auf eine friedliche Wahl?

Gewalt ist auch nach dieser Wahl wieder eine realistische Gefahr, besonders zwischen den Anhängern der beiden Hauptkontrahenten und zwischen ihren Stämmen – Kalenjins und Kikuyus. Die Polizei zieht schon jetzt ihre Kräfte im Rift Valley zusammen, dem Gebiet, in dem die meisten der gut sechs Millionen Kalenjins leben.

Viel wird davon abhängen, ob die Wahlen transparent und fair verlaufen. Damit gab es in der Vergangenheit immer wieder Probleme. Wenn es diesmal gelingt, und wenn es einen klaren Sieger gibt, hat Kenia gute Chancen auf eine friedliche Wahl. Kritisch wird die Lage bei einem knappen Ergebnis, wenn Manipulationsvorwürfe erhoben werden oder es sehr lange dauert, bis der Sieger der Wahl feststeht.

Hier kommt George Wajackoyah wieder ins Spiel. Sein überraschender Aufstieg macht es unwahrscheinlich, dass Ruto oder Odinga im ersten Wahlgang über 50 Prozent der Stimmen erhalten werden. Dann steht dem Land ein zweiter Wahlgang bevor – und weitere Wochen der Unsicherheit. (Stefan Schott, Leiter der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Ostafrika sowie des Global Partnership Hubs mit Sitz in Nairobi)