Bantu sprechende Menschen haben bereits vor 4.000 Jahren den dichten zentralafrikanischen Regenwald durchquert: mit Hilfe von neuen computergestützten Methoden und linguistischen Datensätzen zu mehr als 400 Bantu-Sprachen ist es Forschenden des Leipziger Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie und der Universität Auckland (Neuseeland) gelungen, historische Migrationsrouten zu rekonstruieren.
Die Bantu-Expansion, eine gigantische Migrationsbewegung Bantu-Sprachen sprechender Menschen, hat die sprachliche, wirtschaftliche und kulturelle Landschaft zahlreicher südlich der Sahara gelegener afrikanischer Länder verändert und nachhaltig geprägt. Heute sprechen mehr als 240 Millionen Menschen eine der mehr als 500 Bantu-Sprachen. Es wird allgemein angenommen, dass die Vorfahren heute lebender Bantu-Sprecher etwa 5.000 bis 6.000 Jahre vor unserer Zeitrechnung in einer Region nahe der heutigen Grenze zwischen Nigeria und Kamerun beheimatet waren. Bis vor kurzem war jedoch nicht bekannt, wie und wann es ihnen gelang, den dichten zentralafrikanischen Regenwald in Richtung Süden zu durchqueren und sich schließlich an ihren heutigen Standorten niederzulassen, die etwa die Hälfte des afrikanischen Kontinents ausmachen.
In einer neuen Studie analysierte ein Forschungsteam linguistische Daten von mehr als 400 Bantu- und anderen eng verwandten Sprachen. Anhand dieser Daten und unter Verwendung neuartiger computergestützter Methoden erstellten sie einen datierten Sprachenstammbaum und rekonstruierten die geografische Verbreitung von Bantusprachen sprechender Menschen. Die Studie ergab, dass die Ausbreitung nach Süden – im Gegensatz zu früheren Behauptungen – vor etwa 4.000 Jahren stattgefunden hat, lange bevor sich der Savannenkorridor durch den dichten Regenwald öffnete. Bisher war man davon ausgegangen, dass Landwirtschaft betreibende Völker wie die frühen Bantu-Sprecher ihre traditionelle Lebensweise im dichten Regenwald nicht hätten bewahren können.
Das Team verwendete eine neue, der Genetik entlehnte computergestützte Methode, um mögliche geografische Verzerrungen bei der Rekonstruktion berücksichtigen zu können: „Es stellte sich heraus, dass es tatsächlich mehr als 600 dokumentierte Bantu- und andere verwandte Sprachen gibt, aber für etwa ein Drittel dieser Sprachen sind nicht ausreichend lexikalische Daten, zum Beispiel in Form von Wortlisten, vorhanden. Daher haben wir eine sogenannte sequenzfreie Probennahme eingeführt – eine Möglichkeit, diese Verzerrung zu überwinden und eine robustere geografische Rekonstruktion zu erstellen, die alle dokumentierten Bantusprachen einschließt“, kommentiert Erstautor Ezequiel Koile. „Es ist wirklich aufregend, dass es uns mit diesen neuen Methoden nun gelungen ist, die bisher umfassendste Analyse der Bantusprachen zu erstellen. Sie versetzen uns in die Lage, in langjährige Debatten über die größten Ausbreitungsereignisse menschlicher Populationen Klarheit zu bringen“, fügt Co-Autor Simon Greenhill hinzu.
Neben der sequenzfreien (Stich-)Probennahme war eine wichtige methodische Verbesserung bei der Rekonstruktion vergangener Migrationsrouten die Verwendung eines sogenannten Break-away-Modells. „Diesem Modell zufolge bleibt bei jeder Verzweigung des Sprachbaums eine der Populationen an derselben Stelle, während die andere migriert. Das scheint realistischer zu sein als andere diffusionsbasierte Methoden, bei denen beide Populationen zur Migration gezwungen sind“, erklärt Remco Bouckaert, der das geografische Modell entwickelt hat.
Ackerbauern können sich an den dichten Regenwald anpassen
Bisher nahm man an, dass es für Menschengruppen wie die frühen Bantu-Populationen, die Landwirtschaft betrieben haben, schwierig, wenn nicht gar unmöglich gewesen wäre, den zentralafrikanischen Regenwald zu durchqueren. „Man ging davon aus, dass der dichte Regenwald den Transport und die Pflege von Agrarprodukten und Nutztieren, die für die Bantu-Expansion charakteristisch waren, sehr erschwert hätte. Veränderungen hinsichtlich der Subsistenzart, wie in diesem Fall vom Ackerbau hin zur Nahrungssuche und Jagd, sind zwar geschichtlich dokumentiert, kommen aber eher selten vor“, kommentiert Co-Autor Damián Blasi.
Von dieser Annahme ausgehend war die bisherige Lehrmeinung, dass die Bantu-Populationen damals durch das Sangha River Interval – einen Savannenkorridor, der sich vor etwa 2.500 Jahren als Nord-Süd-Passage durch den Regenwald öffnete – und nicht direkt durch den Regenwald migrierten. Die Ergebnisse der aktuellen Studie bestätigen jedoch jüngste wissenschaftliche Erkenntnisse, die die Anpassungsfähigkeit des Menschen an tropische Wälder belegen. „Unsere Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung der Nischenkonstruktion bei menschlichen Bevölkerungsexpansionen. Natürlich spielt Ökologie eine große Rolle, ist aber nicht schicksalsbestimmend“, schließt Autor Russell Gray, Direktor der Abteilung für Sprach- und Kulturevolution am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. (Max-Planck-Gesellschaft)