Blutvergießen in Nigeria durch Selbstmordattentäterinnen

Blutvergießen in Nigeria durch Selbstmordattentäterinnen

Schwarze Serie: Der Bundesstaat Borno in Nigeria wird erneut von einer Selbstmordattentäterin getroffen. Am Freitag, 20. Juni, tötete eine mutmaßliche Selbstmordattentäterin mindestens 12 Menschen und verletzte mehrere weitere auf einem Fischmarkt im Bundesstaat Borno im Nordosten Nigerias, wie die Polizei mitteilte. Laut Nahum Kenneth Daso, Sprecher der Polizei des Bundesstaates Borno, mischte sich die Frau mit einem an ihrem Körper befestigten Sprengsatz unter die Menschenmenge und zündete diesen mitten unter den Zivilisten.

Die Verletzten wurden laut Polizei ins Krankenhaus gebracht. Anwohner berichten, dass bei der Explosion mindestens 30 Menschen verletzt wurden.

Der Bundesstaat Borno gilt als Epizentrum eines seit fast 16 Jahren andauernden Aufstands, der hauptsächlich von der islamistischen Terrorgruppe Boko Haram ausgeht. Dieser Konflikt hat Tausende Menschen das Leben gekostet und laut humanitären Organisationen mindestens zwei Millionen Menschen in die Flucht getrieben. Das Ereignis entfacht erneut die Debatte über den Einsatz von Frauen und Kindern als Selbstmordattentäter.

Terroristinnen: Frauen und Mädchen als Selbstmordattentäterinnen
Im Norden Nigerias werden zunehmend Selbstmordanschläge von jungen Mädchen oder sogar kleinen Kindern verübt. Auch wenn diese Anschläge nicht immer offiziell von Boko Haram beansprucht werden, gelten sie als deren Markenzeichen – einer Gruppierung, die diese Praxis auf dem afrikanischen Kontinent eingeführt hat. Man erinnert sich beispielsweise an den 22. Februar 2015, als ein siebenjähriges Mädchen in Potiskum, im Nordosten Nigerias, sieben Menschen mit sich in den Tod riss. Nur eine Woche zuvor hatte ein Selbstmordattentäter an einem Busbahnhof in Damaturu – ebenfalls im Norden – sieben Menschen getötet und 32 verletzt. Einen Monat zuvor, am 10. Januar, explodierte auf einem Markt in Maiduguri eine Bombe, gezündet von einem zehnjährigen Mädchen, das 20 Menschen tötete und 18 verletzte.

Diese erschreckende Liste wird jedes Jahr länger, denn Frauen und Kinder sind in den letzten Jahren zur neuen Waffe im Krieg von Boko Haram geworden: Teenagerinnen oder sogar kleine Mädchen säen den Tod im Namen des eigenen Opfers. Der erste Anschlag dieser Art, der einer Frau zugeschrieben wurde, geht auf den 8. Juni 2014 im Bundesstaat Gombe zurück – seitdem hat sich diese Methode etabliert.

Ursprünglich hatte man erwartet, dass es sich nur vereinzelt um fanatisierte Frauen handeln würde – doch mittlerweile ist klar: Boko Haram setzt gezielt auf diese Strategie, um Sicherheitskräfte zu täuschen. Denn Frauen und Kinder erregen in der Regel weniger Verdacht – besonders in Regionen, in denen die Scharia gilt und Frauen gesetzlich zum Tragen des Hijabs verpflichtet sind, wie im Norden Nigerias. Dadurch können sie Bomben leichter verbergen – etwa mit immer raffinierteren Methoden. So hatte eine 20-jährige Frau auf einem Markt in Maiduguri die Bombe auf dem Rücken versteckt, an der Stelle, an der traditionell Babys getragen werden.

Dieses Phänomen hat weltweit zu erhöhter Wachsamkeit geführt – manche Staaten denken sogar über ein Verbot des Hijabs an öffentlichen Orten nach. In Nigeria selbst haben viele Frauen ihre traditionelle Kleidung abgelegt – aus Angst, für Terroristinnen gehalten zu werden. Die Kreativität und Rücksichtslosigkeit von Boko Haram kennt offenbar keine Grenzen: Selbst arme, unschuldige Kinder werden instrumentalisiert, wie das siebenjährige Mädchen am 22. Februar 2015 in Potiskum, das unbemerkt in ein Telekommunikationszentrum eindringen und sich dort in die Luft sprengen konnte.

Eine überwiegend afrikanische Innovation
Obwohl die Beteiligung von Frauen an Terrorakten nicht neu ist, ist ihr Einsatz als lebende Bomben weltweit selten – denn Selbstmordattentate werden meist von Männern verübt. Wie Fatima Lahnait, Forscherin am Institute for Statecraft, in ihrem Bericht „Selbstmordattentäterinnen oder der Dschihad der Frauen“ betont: „In Afrika ist das ein Novum.“ Frauen waren zwar z. B. während der Schlacht um Algier in den 1950er-Jahren Teil der FLN oder wurden in Uganda, Südafrika und Sierra Leone für Terror eingesetzt – aber dort agierten sie als Kämpferinnen mit einem Ziel der Emanzipation. „Das ist in Nigeria nicht der Fall“, so Lahnait weiter.

In Nigeria hingegen scheinen viele dieser Frauen keine fundamentalistischen Überzeugungen zu vertreten, sondern handeln unter Zwang. Häufig handelt es sich um Straßenkinder, deren ideologische Motivation zweifelhaft ist. In einem von Armut und Polygamie geprägten Umfeld sind viele Familien nicht in der Lage, ihre Kinder zu versorgen – Boko Haram nimmt sich ihrer an und verlangt im Gegenzug „eine Gegenleistung“.

Terror unter Zwang
Ein weiterer erschreckender Aspekt: Viele dieser Frauen und Mädchen werden einfach entführt. Laut einem Bericht von Human Rights Watch wurden seit 2009 über 500 Frauen und junge Mädchen von Boko Haram verschleppt. Die Serie von Selbstmordanschlägen im Juli 2014 in Kano, der größten Stadt im Norden Nigerias, wurde von 14- und 16-jährigen Mädchen verübt. Das rief internationale Besorgnis hervor – viele vermuteten, dass es sich um die im April 2014 in Chibok entführten Schulmädchen handeln könnte. Dies konnte allerdings nie bewiesen werden.

Ehemalige Geiseln berichteten, dass einige Frauen sich nicht nur aus Angst, sondern teils auch freiwillig auf die Seite der Dschihadisten stellen – als Spione oder potenzielle Ehefrauen für Kämpfer.

Angesichts der anhaltenden sozialen und wirtschaftlichen Krise im Norden Nigerias ist leider zu befürchten, dass sich diese Praxis weiter fortsetzt. Boko Haram verfügt über die finanziellen Mittel, um ganze Gemeinschaften zu unterstützen, die sich ihrer Ideologie anschließen. Mit dieser seit Jahren effektiven Strategie ist der Terror fest im Alltag der Nigerianer – ja ganz Afrikas – verankert. Das Bild der Frau als Lebensspenderin wird hier pervertiert zur Todesbringerin – ein besonders bitterer Kontrast in einem Kontinent, in dem Frauen traditionell als ehrwürdige Mütter gelten.

Die psychologische und mediale Wirkung dieser Attentate ist enorm – umso dringlicher ist es, dass Nigeria und die Afrikanische Union schnell eine wirksame Gegenstrategie entwickeln, bevor diese Art von Terror zur Normalität wird… und das Entsetzen zur Gewohnheit. (Quelle: afrik.com)