Buch-Tipp: „Die Untertanin und ich“ von Amara Johnson (Nigeria)

Buch-Tipp: „Die Untertanin und ich“ von Amara Johnson (Nigeria)„Die Untertanin und ich“ – der Titel der Erzählung von Amara Johnson erinnert an Heinrich Manns Roman „Der Untertan“, an den die aus Nigeria stammende Autorin anknüpft. War Diederich Heßling ein obrigkeitshöriger Mitläufer im Kaiserreich, so beherzigt auch Johnsons Untertanin die Maxime: nach oben buckeln, nach unten treten. Wo sie nur kann, macht die Schulleiterin der Lehrerin das Leben mit willkürlichen Anordnungen und launischen Demütigungen zur Hölle: Machtspiele in einer Schule, in der die Schüler kaum eine Rolle spielen.

Dabei ist Amara Johnsons Peinigerin selbst todunglücklich, leidet sie doch unter ihren eigenen, verfehlten Lebensentscheidungen: „Wer sich gesellschaftlichen Zwängen unterwirft, verliert sich selbst und tyrannisiert andere.“ So die Ich-Erzählerin über ihre Widersacherin, deren verhängnisvolle pädagogische Resultate sie klar benennt: „Die Untertanin und ihresgleichen vermögen nur Untertanen heranzuziehen, die die Schule als Sklavenseelen verlassen und als Erwachsene den Betrieb am Laufen halten.“

Erhellend die Vergleiche mit Nigeria, wo die Ich-Erzählerin die Ferien verbringt, um sich von den „Zumutungen“ der Untertanin zu erholen, aber auch um ihre Familie und einen Voodoo-Priester zu besuchen. In Nigeria, so erfahren wir, könne von einer Infantilisierung der Gesellschaft keine Rede sein, wie sie in Deutschland allenthalben zu beobachten sei, wo „die Erziehung der Kinder den Maßstab für das Verhalten der Erwachsenen“ abgebe.

Amara Johnson zeichnet nicht nur ein beeindruckendes Psychogramm der Untertanin – sie wartet auch mit einem überraschenden Sinneswandel ihrer Peinigerin auf, den sie auf ihre Reise nach Nigeria zurückführt. Als die Schulleiterin ihren Unterricht besucht, provoziert Johnson die Untertanin mit einer ungewöhnlichen Stunde. Die Deutschlehrerin vermittelt ihren Schüler nämlich die Einsicht, dass ihnen im Deutschunterricht nicht etwa die Liebe zur Literatur nahegebracht werde, sondern im Gegenteil: die „Zerstörung von Literatur.“ Daraufhin packen die Schüler wie benommen ihre Sachen zusammen und verlassen den Klassenraum, hat doch der Deutschunterricht für sie jeden Sinn verloren. Verblüffend die Reaktion der Untertanin, die sich bei Amara Johnson für die „beeindruckende Stunde“ bedankt, „in der sie unendlich Wertvolles für ihr Leben gelernt“ habe.

Der Unterrichtsbesuch der Untertanin markiert den Wendepunkt der bewegenden Erzählung, denn Amara Johnson und ihre ehemalige Feindin werden Freundinnen. Schließlich fliegen sie zusammen nach Ghana, wo sich die Untertanin immer mehr von ihrem Leben in Deutschland entfremdet und sich ihres „armseligen Daseins“ innewird, das sie als Schulleiterin geführt hat. Am Lake Bosumtwe, dem „schönsten Ort auf dieser Erde“, erstehen die beiden Frauen ein Hotel und beginnen ein neues Leben.

Die Bedeutung der Erzählung von Amara Johnson liegt nicht nur darin, dass die Autorin in der Untertanin eine Form missglückten Lebens dechiffriert, sondern auch – mit dem alternativen Leben in Afrika – einen Weg aus der existentiellen Sackgasse aufzeigt. Zum Schluss seien noch die kongenialen Bilder von John Bridge erwähnt, die den Eindruck des gelungenen Bandes abrunden. (Ester Awonoor)

Amara Johnson: „Die Untertanin und ich“
Engelsdorfer Verlag 2022
55 Seiten
ISBN 978-3-96940-276-4
9,90 Euro