Die Autorin begibt sich auf ihrer Spurensuche nach ihrem Erlebten ihrer Kindheit bis in die jüngste Zeit. Gründlich und konzentriert geht Ennatu Domingo der Frage nach, wie sich das Dasein in zwei Kulturen auf ihre Identität und ihr Selbstverständnis auswirkt. Detailliert schildert sie ihre familiäre Situation. Geprägt von schönen Momenten, dem Herumstreifen draußen, dem Spielen mit den Kindern und auch den fast ausweglosen Situationen. All das findet in der Erzählung seinen festen Platz.
Bis zum Alter von sieben Jahren lebt sie in Dansha und Humera in Äthiopien. Ihre Mutter Yamrot charakterisiert die Schriftstellerin als eine sehr starke Frau, die mit allen ihren zur Verfügung stehenden Mitteln ihren Kindern eine bessere Zukunft als die ihrige sichern wollte. Deshalb putzt Yamrot, wäscht, verkauft und verdingt sich als Prostituierte. Immer wieder probiert sie Neues aus, verlässt mit ihren Kindern das Enge, Vertraute. Gemeinsam arbeiten sie auf den Baumwollfeldern von Humera. Der Zugang zur Schulbildung ist ihrer Tochter verwehrt. Gerade für Mädchen, so betont die Autorin, sei es extrem schwierig. Schulbildung, besonders in armen Familienverbänden, gilt als nicht erreichbarer Luxus, der Frauen in dieser Gesellschaft nicht zugestanden wird. Vielmehr sollen sie arbeiten gehen und früh verheiratet werden.
Eingebettet in diese biografische Darstellung sind die komplexen politischen und ökonomischen Verhältnisse in Äthiopien. Sichtbar wird das Wechselspiel zwischen Hoffnung auf Verbesserung der Lebensverhältnisse und der großen Enttäuschung, wenn es nur bei leeren Versprechen bleibt.
Sehr gegenwärtig und spannend die Schilderung der Busfahrten und das immer wieder Neubeginnen in Äthiopien. So auch die Fahrt, als ihre Mutter immer schwächer wird und sie sich um ihren jüngeren Bruder kümmern muss. Alle sind am Rande ihrer Kraft. Die Polizei bringt die völlig Erschöpften an den Stadtrand von Gondar, nicht zu ihren Verwandten, wie sie es geplant hatten. Ihre Bleibe wird eines der achtzehn Versorgungszentren der von Mutter Teresas gegründeten Orden. Dort sterben ihre Mutter und ihr Bruder an Aids.
Sehr eindrucksvoll teilt Ennatu Domingo ihre Empfindungen, ihre Gefühle und ihr Nachdenken. Sie sind verbunden mit ihren einprägsamen Erlebnissen an den verschiedenen Orten, dem Erinnern, dem Träumen. Spaziergänge, die geschilderten Szenen sind spannend, irritierend, genial.
Für die Autorin gibt es noch viele Fragen, die gestellt werden müssen. Beim Schreiben kommt manchmal die Antwort.
Nach dem 7. Lebensjahr lebt sie in Katalonien, adoptiert von katalanischen Eltern, geht dort zur Schule. Gerade die Multikultur in der Grundschule habe ihr geholfen, sich in Katalonien einzuleben. Sie bringt zum Ausdruck, wie wichtig es sei, in beiden der äthiopischen und der katalanischen Kultur zu leben. Die Autorin unterstreicht immer wieder die enorme Bedeutung der Bildung, gerade für Mädchen. Ihrer Mutter und ihren Adoptiveltern gegenüber empfinde sie eine tiefe Dankbarkeit; von ihnen habe sie sehr viel gelernt. Wichtig für sie, immer wieder außergewöhnliche Menschen zu treffen. In ihrer Schulzeit hatte sie Mitschüler:innen aus Afrika, Lateinamerika, China und die Gemeinschaft im Stadtteil. Alle dies beeinflusste ihre Art, sich weniger anders zu fühlen: gerade die ersten Jahre in Katalonien waren für sie von enormer Bedeutung. Der Prozess der Verwurzelung ist ihr gelungen, da nicht nur ihre Eltern, sondern die ganze Familie in Katalonien sie akzeptierten. Ihre Suche nach ihren amharischen Identitätsanteilen konnten sie auf ihren Reisen nach Äthiopien vertiefen.
Wesentlich sei es, so unterstreicht Ennatu Domingo, dass wenn eine Adoption erfolgreich sein soll, sich das Kind, wie auch die Eltern die jeweilige andere Herkunftskultur aneignen.
Ennatu Domingo hat Politikwissenschaft an der Universität in Kent studiert, danach den Master in internationaler Konflikt- und Sicherheitsforschung in Brüssel, absolviert. Ein Schumann Stipendium für Beziehungen zwischen Europa und den afrikanischen, karibischen und pazifischen Staaten, folgte. Heute ist sie wissenschaftliche Assistentin in Maastricht und seit diesem Jahr Abgeordnete im katalanischen Regionalparlament.
Zusammenfassend: Es gelingt der Autorin, eine lebendige, lesenswerte Schilderung von Ereignissen zwischen zweier Welten zu vermitteln. Es ist eine packende Darstellung ihrer Lebensphasen in Äthiopien und in Europa. Immer mit der Frage verbunden, nach der Identität, der Suche nach dem Gesehen werden, sowie dem Anliegen, mehr Verständnis für die unsere Gegenwart prägenden Kulturen und Lebensverhältnisse zu wecken. (Theresa Endres)
Ennatu Domingo
Der Geruch von verbranntem Eukalyptus
Über Herkunft, Sprache und Zugehörigkeit
übersetzt von Michael Ebmeyer
Verlag Orlanda, 2024, 151 Seiten
ISBN 98-3-949545-63-4
EUR 21,00