Die Zentralafrikanische Republik ist mehr als nur geopolitischer Nebenschauplatz. Europa muss sich als ernsthafte Alternative zu Russland anbieten. Schon vor Beginn des Ukrainekriegs wurde heiß diskutiert, wie und warum Russland weltweit seine Einflusssphären auszubauen versucht, insbesondere in Afrika. Die Zentralafrikanische Republik (ZAR) muss im geopolitischen Wettstreit zwischen dem „neuen“ Player Russland und der alten Kolonialmacht Frankreich als Schauplatz herhalten.
Auch die träge Institution der Friedensmission muss sich in diesem Land mit der dynamischen Intervention privater Sicherheitsfirmen aus Russland messen lassen.
Die ZAR schien dabei die Blaupause für eine Neuorientierung afrikanischer Staaten auf der Weltbühne zu geben, welche sich nun in Mali reproduziert. Zentralafrika ist jedoch nicht bloß Objekt internationalen Kräftemessens, sondern hat eine rational handelnde Regierung und Bevölkerung. Welche Motive verfolgte die Regierung der ZAR dabei, einen Pakt mit der berüchtigten Wagner-Gruppe einzugehen? Warum hieß die Bevölkerung die russischen Söldner willkommen? Wurde hier der Grundstein für eine dauerhafte Partnerschaft gelegt?
Die militärische Zusammenarbeit entspringt dem Frust der Regierung mit anderen internationalen Partnern und wurde durch einen klugen Schachzug Russlands eingefädelt. Nach dem Bürgerkrieg von 2012 bis 2014 schaffte es die Friedensmission der Vereinten Nationen durch ihre landesweite Präsenz, den Krieg zumindest zu begrenzen und bewaffnete Gruppen territorial einzuhegen. Sie reagierte jedoch häufig träge auf Angriffe von Rebellen und bekämpfte diese nicht proaktiv. Dies erweckte sowohl in der Bevölkerung als auch bei der Regierung den Eindruck, dass nur das eigene Militär die Rebellen besiegen könne.
Das zentralafrikanische Militär war jedoch seit jeher in desolatem Zustand und nach dem Bürgerkrieg praktisch desintegriert. Seine Wiedererstarkung, so das weitverbreitete Narrativ, wurde durch ein Waffenembargo der Vereinten Nationen verhindert. Russland nutzte diese Stimmungslage, um eine scheinbar einmalige Ausnahme des Embargos zu erwirken, und stattete das zentralafrikanische Militär mit russischen Waffen aus. Dazu gehörte auch eine kurze Ausbildung im Gebrauch dieser Waffensysteme, wofür ein paar Hundert „Militärtrainer“ entsandt wurden.
Richtig an Fahrt nahm diese Zusammenarbeit erst auf, als Ende 2020 eine neue Rebellenallianz die Hauptstadt angriff und drohte, die Regierung zu stürzen. Dieser Angriff wurde von der zentralafrikanischen Armee mit Unterstützung russischer Milizen sowie ruandischer Militärs zurückgeschlagen. Was allerdings gerne in Vergessenheit gerät: Auch die Friedensmission trug entscheidend dazu bei, dass die Rebellenallianz sich nicht breitflächiger ausdehnen konnte. Die Armee und russische Wagner-Milizen bliesen zum Rückschlag und eroberten praktisch alle wichtigen Städte des Landes innerhalb eines Jahres zurück. Durch diese schnellen Siege verfestigte sich ein Narrativ, dass die Friedensmission – welche dies über sieben Jahre hinweg nicht geschafft hatte – kein verlässlicher Partner gegen die Rebellen sei. Es machte sich die Überzeugung breit, nur ein robustes – gar skrupelloses – Vorgehen des zentralafrikanischen Militärs und der russischen Söldner könne die in fast allen Teilen der Gesellschaft verhassten Rebellengruppen besiegen.
Doch Gebiete erobern ist leichter, als sie zu kontrollieren. Es ist abstrus, dass europäische und amerikanische Akteure davon ausgehen, die Partnerschaft mit Russland sei in Stein gemeißelt. Zwar sieht es so aus, als sei die allgemeine Zustimmung zu den russischen Söldnern – trotz Aufdeckung vermehrter Gräueltaten an der Bevölkerung – weiterhin verbreitet. Doch der Schein – Medienberichte, Umfragen, qualitative Studien – trügt. Erstens ist Enthusiasmus für einen Akteur, der nach zehn Jahren Bürgerkrieg die Rebellen vertrieben hat, kaum verwunderlich. Zweitens sind viele Medienberichte von russischen Akteuren gekauft und pro-russische oder anti-europäische Demonstrationen inszeniert. Drittens können die Kritiker oder gar Opfer russischer Handlungen sich in einem zunehmend repressiven Umfeld kaum öffentlich äußern. Nichtsdestotrotz: Das eindrucksvolle Ausmaß an öffentlicher Zustimmung erstaunte mich bei meinem eigenen jüngsten Besuch Anfang des Jahres.
Gleichzeitig deuteten sich klare Sollbruchstellen im Alltag der Kooperation an. So argumentieren manche zentralafrikanischen Gesprächspartner beispielsweise, dass die Armee und die russischen Söldner zwar Gräueltaten verüben, aber weniger als die von ihnen vertriebenen Rebellen. Außerdem sei dies der Unübersichtlichkeit von Kriegsoffensiven zuzuschreiben. Sollten die russischen Gräueltaten jedoch anhalten, wird die Erinnerung an die Zeit der Rebellenherrschaft zunehmend verblassen.
In einer erst letztes Jahr zurückeroberten Stadt – eine jahrelange Hochburg der Rebellen, deren Namen ich aus Sicherheitsgründen nicht nennen kann – drehte sich die öffentliche Debatte beispielsweise schon gar nicht mehr um die „Befreiung“. Im Mittelpunkt standen dagegen Diebstahlvorwürfe gegen die russischen Truppen. Ähnliche – oft unberechtigte – Anschuldigungen haben über Jahre hinweg auch die Legitimität der Eingreiftruppen der Franzosen und der Vereinten Nationen untergraben.
Die Weise, wie Europa derzeit mit der russischen Präsenz in Zentralafrika umgeht, ist falsch. Militär- und Budgethilfen werden eingefroren, als sei bereits entschieden, dass die russische Präsenz von Dauer sein wird. Seit der russischen Invasion in der Ukraine suggeriert dieser Ansatz zudem, dass die ZAR für ihren „Pakt mit dem Teufel“ bestraft wird. Dabei wird die rationale Handlungsfähigkeit zentralafrikanischer Akteure und der Bevölkerung nicht genügend wertgeschätzt. Russland wurde ganz bewusst ins Land gelassen – als Alternative zu einer aus zentralafrikanischer Sicht gescheiterten westlichen Intervention.
Statt Zentralafrika zu einem Nebenschauplatz in einem großen geopolitischen Wettstreit zu degradieren, sollte eine ernsthafte Partnerschaft auf Augenhöhe angestrebt werden. Tag für Tag werden weitere Gräueltaten russischer Akteure in Zentralafrika aufgedeckt. Ihr rassistisches Vorgehen stößt insbesondere auch dem zentralafrikanischen Militär auf. Es liegt nun also an Europa, sich als Alternative anzubieten. Das bedeutet zuvorderst, die Sicherheitsbedenken ernst zu nehmen: Die Europäische Trainingsmission muss in eine landesweite Begleitmission umgeformt werden. Praktisch heißt das, die circa 2 000 russischen Milizen – die sich selbst als „Ausbilder“ bezeichnen – durch ein umfangreiches logistisches Trainings- und Logistiknetz der EU und der Vereinten Nationen zu ersetzen. Das ist das Mindeste, was Zentralafrika angeboten werden muss, um einen Bruch der Beziehungen zu Russland in Betracht zu ziehen.
Vor allem bedeutet es aber, endlich von der Priorität des Militärischen wegzukommen und den Schwerpunkt auf eine breit angelegte zivile Partnerschaft zu legen. Ein erster Schritt könnte darin bestehen, weitere europäische Botschaften zu eröffnen. Im Moment ist nur die ehemalige Kolonialmacht Frankreich vor Ort. Der Aufbau zivilgesellschaftlicher Einrichtungen sollte umfassend gefördert und ein Dialog ins Leben gerufen werden. Die Erfahrung zeigt, dass ein solches Vorgehen mindestens ebenso erfolgversprechend im Einhegen von Gewalt und bei der Schaffung eines friedlichen Miteinanders ist wie militärische Ansätze. (IPG-Journal / Friedrich Ebert Stiftung)