
Vor 80 Jahren, am 8. Mai 1945, genau an dem Tag, an dem Frankreich den Sieg über die Nazis feierte, brachen in Algerien Unabhängigkeitsdemonstrationen aus. Sie wurden massiv und gewaltsam von der französischen Armee niedergeschlagen. Es kam zu mehreren Massakern in Sétif, Guelma und Kherrata, bei denen Zehntausende Menschen getötet wurden. Anlässlich des Gedenkens an diese blutige Repression hat ein Zusammenschluss von Forschern und Historikern einen Appell zur Anerkennung dieser Verbrechen gestartet, berichtet RFI.
Nach Ansicht der Historiker dieses Kollektivs hinkt Frankreich bei der offiziellen Anerkennung der in Algerien begangenen Massaker im Vergleich zu anderen Kolonialmächten deutlich hinterher. Großbritannien hat seine Verbrechen in Kenia nach dem Zweiten Weltkrieg anerkannt, Deutschland tat dies in Bezug auf Namibia, ebenso wie Belgien, die Niederlande, die USA in unterschiedlichen Formen sowie Kanada.
Es habe zwar teilweise Anerkennungen gegeben, betonen die Historiker, etwa bei der Ermordung der Unabhängigkeitskämpfer Ali Boumendjel, Larbi Ben M’hidi oder Maurice Audin, doch habe es keine „vollständige, umfassende und detaillierte“ Anerkennung der in dieser Zeit in Algerien begangenen Verbrechen gegeben.
Der Historiker Nils Andersson meint, das französische Volk sei noch nicht bereit: „Ich glaube, heute ist die Situation schwieriger als 1962 zur Zeit der Unabhängigkeit“, erklärt der Experte. „Die Unabhängigkeit Algeriens bleibt ein Trauma in der französischen öffentlichen Meinung. Es gibt spürbare anti-algerische Ressentiments in Frankreich, dem ehemaligen Kolonialland. Ich denke, es ist die Aufgabe der politischen Verantwortlichen, nicht Politik auf Kosten identitärer und religiöser Gefühle zu machen, sondern den Mut zu haben, die koloniale Vergangenheit anzuerkennen. Und das ist keineswegs ein Akt der Buße oder Reue, sondern einfach ein moralischer Akt der Wahrheit. Aber die Politiker müssen den Mut haben, dies umzusetzen.“
„Eine erinnerungspolitische Diskriminierung für die Nachkommen der kolonialen Einwanderung“
Nach Ansicht der Wissenschaftler ist der Kampf um die Anerkennung der Massaker in Algerien jedoch weiterhin notwendig – für friedliche französisch-algerische Beziehungen, vor allem aber für eine Versöhnung der Erinnerungen. „Sicherlich würde eine Anerkennung der am 8. Mai 1945 begangenen Massaker durch die höchsten Staatsbehörden dazu beitragen, die diplomatischen Beziehungen zwischen Frankreich und Algerien zu verbessern“, meint der Kolonialismus-Historiker Olivier Le Cour Grandmaison. „Aber es gibt noch eine andere Dimension: In Frankreich gibt es eine sehr große Zahl von Nachkommen der kolonialen und postkolonialen Einwanderung, die französisch sind, aber besondere Ursprünge und manchmal auch eine besondere Familiengeschichte haben, gerade wegen der Folgen dieser Massaker. Sie sind nun schon sehr lange mit dieser Verweigerung einer vollständigen Anerkennung konfrontiert. Diese Geschichte wird an Schulen, Gymnasien und Universitäten sehr wenig gelehrt. Noch einmal: Dies wird als erinnerungspolitische und gedenkpolitische Diskriminierung gegenüber den Nachkommen der kolonialen und postkolonialen Einwanderung wahrgenommen.“
Dieses andere „8. Mai“ und die massive Repression der Unabhängigkeitsbewegung wurden in Frankreich lange verschwiegen. Die Massaker haben das algerische Volk tief geprägt und nach Ansicht der Historiker den Unabhängigkeitskrieg in Algerien eingeleitet.