Die Seenotrettungsorganisation SOS MEDITERRANEE darf heute 236 gerettete Menschen in Italien an Land bringen, nachdem sie letzte Woche Zeugin eines Bootsunglücks mit 130 Toten wurde. Das Schiff der europäischen Nichtregierungsorganisation, die Ocean Viking, hat von den zuständigen Behörden den Hafen von Augusta auf Sizilien zugewiesen bekommen.
Die Menschen waren am Dienstag, den 27. April, aus zwei in Seenot geratenen Schlauchbooten im zentralen Mittelmeer von der Crew der Ocean Viking gerettet worden. Nur fünf Tage zuvor hatte diese stundenlang bei schlechtem Wetter nach einem Boot gesucht, zu dem es einen Notruf gegeben hatte. Doch konnte sie am Ende nur noch ein zerborstenes Schlauchboot finden und zahlreiche Tote im Wasser treibend.
„Die Überlebenden, die wir heute an Land bringen können, sind erleichtert, endlich an einen sicheren Ort zu kommen“, sagt Verena Papke, Geschäftsführerin von SOS MEDITERRANEE Deutschland. „Doch bei den Retterinnen und Rettern hinterlässt das dramatische Erlebnis des Schiffbruchs mit 130 Toten in der vergangenen Woche Trauer und Bitterkeit. Sie haben das dringende Bedürfnis, Europas Öffentlichkeit über die schockierende Realität, die sie im Mittelmeer erlebt haben, aufzuklären“, sagt Verena Papke.
Die durch die EU verursachte humanitäre Katastrophe spitzt sich weiter zu
Innerhalb einer Woche wurde SOS MEDITERRANEE mehrfach Zeugin der europäischen EU-Abschottungspolitik: ein Schiffbruch ohne Überlebende, die Rettung von 236 Menschen aus zwei seeuntauglichen Schlauchbooten und mehrere Rückführungen der libyschen Küstenwache, die Menschen auf der Flucht abfängt und rechtswidrig in das Bürgerkriegsland zurückschleppt.
„In Libyen internierte, gefolterte und ausgebeutete Menschen haben keine andere Wahl, als die gefährliche Flucht über das Mittelmeer zu riskieren. Diese Zustände in Libyen sind den politisch Verantwortlichen in der EU wohl bekannt. Dennoch entscheiden sie sich bewusst dafür, nicht selbst zu retten. Stattdessen lagern sie die staatliche Verantwortung zur Seenotrettung an die libysche Küstenwache aus, die sie finanzieren, und halten so den Kreislauf der Gewalt und Menschenrechtsverletzungen aufrecht“, beklagt Verena Papke. „Gleichzeitig weigern sich die Seebehörden in Libyen, Italien und Malta zivile Rettungsschiffe wie unseres zu koordinieren und mit Informationen zu versorgen. Das ist zutiefst menschenverachtend.“
Geflüchtete, darunter Minderjährige, wurden geschlagen und in die Boote gezwungen
Viele der Geretteten auf der Ocean Viking berichten an Bord von der Gewalt, die sie in Libyen erleiden mussten. Als sie in der Nacht der Abfahrt die seeuntauglichen Schlauchboote und die hohen Wellen sahen, bekamen sie Angst. Doch sie wurden geschlagen und auf die Boote gezwungen. So erzählten es auch einige der 119 unbegleiteten Minderjährigen an Bord der Ocean Viking. „Ich habe nicht geglaubt, dass wir überleben würden“, sagt der 20-jährige Daouda* aus Burkina Faso.
Gestern hat zum ersten Mal seit Monaten ein europäisches Schiff der italienischen Marine eine Rettung in internationalen Gewässern vor Libyen durchgeführt. SOS MEDITERRANEE fordert, dass sieben Jahre nach dem Ende der italienischen Operation Mare Nostrum dringend ein gesetzeskonformes und humanes europäisches Such- und Rettungsprogramm etabliert wird. Dazu gehöre die Koordination von Rettungen unter Einbeziehung aller vor Ort verfügbaren Schiffe.
„Europa darf angesichts immer wiederkehrender Schiffsunglücke nicht länger untätig bleiben. Die gezielte Unterstützung von illegalen Zwangsrückführungen nach Libyen muss beendet werden. Die EU muss endlich zu ihren eigenen rechtsstaatlichen Prinzipien stehen, um diese Katastrophe jetzt zu stoppen“, sagt Verena Papke. (SOS MEDITERRANEE)
*Name geändert