
Ein mit Spannung erwartetes Gerichtsurteil in Kenia dürfte weitreichende Konsequenzen für eines der weltweit größten Klimaschutzprojekte mit Bodenkohlenstoff haben. Das Projekt zum Ausgleich von CO2-Emissionen wird schon länger von Indigenen und Fachleuten kritisiert. Unternehmen wie Meta, Netflix oder British Airways haben bereits CO2-Zertifikate aus dem Projekt gekauft.
Das Urteil, das durch eine Klage von 165 Mitgliedern betroffener Gemeinden erreicht wurde, bestätigt, dass zwei der größten „Gemeinde-Schutzgebiete”, die von der umstrittenen Naturschutzorganisation Northern Rangelands Trust (NRT) eingerichtet wurden, verfassungswidrig gegründet wurden und keine rechtliche Grundlage haben.
Das Gericht hat außerdem angeordnet, dass die bewaffneten NRT-Ranger die betroffenen Schutzgebiete verlassen müssen. Ihnen wurden wiederholt schwere Menschenrechtsverletzungen gegen die ansässige indigene Bevölkerung vorgeworfen.
Eines der beiden in der Klage beteiligten Schutzgebiete, Biliqo Bulesa, steuert etwa ein Fünftel der CO2-Zertifikate bei, die im Rahmen des umstrittenen NRT-Projekts vergeben wurden.
Aufgrund einer ähnlichen rechtlichen Grundlage, könnte das Urteil auch auf die Hälfte der anderen Naturschutzgebiete, die an dem CO2-Projekt beteiligt sind, aber nicht Teil des Verfahrens waren, anwendbar sein. Dies bedeutet, dass das gesamte Projekt, mit dem der NRT bereits Millionen Dollar verdient hat (der genaue Betrag ist nicht bekannt, da die Organisation keine Finanzberichte veröffentlicht), vor dem Aus stehen könnte.
Die Klage wurde bereits 2021 eingereicht, aber das Urteil wurde erst am Freitag vom Umwelt- und Landgericht Isiolo gefällt. Die Probleme wie die mangelhafte Beteiligung der indigenen Gemeinden wurden von Survival International bereits in dem Bericht „Blutiges CO2” aufgeworfen. Der Bericht kritisierte auch die Grundannahme des NRT-Projekts: Die Behauptung, dass durch die Kontrolle der indigenen Weidehaltung die Vegetation in dem Gebiet und damit die Menge des im Boden gespeicherten Kohlenstoffs zunimmt.
Das Urteil ist auch ein weiterer Rückschlag für die Glaubwürdigkeit von Verra, dem weltweit wichtigsten Zertifizierer von CO2-Projekten. Obwohl einige der am NRT-Projekt beteiligten „Gemeinde-Schutzgebiete” keine klare Rechtsgrundlage haben und daher keine CO2-Zertifikate „besitzen“ oder an den NRT „übertragen“ konnten, wurde das Projekt dennoch von Verra zertifiziert und geprüft. Beschwerden von Survival International führten zu einer vorübergehenden Suspendierung des Projekts im Jahr 2023, doch Verras nachfolgende Untersuchung wurde zur Schönfärberei.
Caroline Pearce, Direktorin von Survival International, sagte heute: „Das Urteil bestätigt, was die indigenen Gemeinden schon seit Jahren sagen – dass sie nicht ordnungsgemäß konsultiert wurden vor der Einrichtung der Schutzgebiete, die ihre Landrechte untergraben haben. NRTs Geldgeber wie die EU, Frankreich und USAID müssen nun die Finanzierung der Organisation einstellen, da sie eine Operation finanziert haben, die nun als illegal eingestuft wurde.“
„Dieses Urteil wirft sowohl für den NRT als auch für Verra einige sehr unangenehme Fragen auf, da es zeigt, dass es zumindest für einen erheblichen Teil des Klimaschutzprojektes keine Rechtsgrundlage gibt. Die von diesem Projekt ausgestellten CO2-Zertifikate sollten nun als ungültig betrachtet werden.“
„Leider ist das NRT-Desaster kein Einzelfall. Zu viele dieser CO2-Projekte folgen demselben veralteten Modell des Festungsnaturschutzes: Sie geben vor, Land zu ‚schützen‘, während sie die Rechte der indigenen Eigentümer*innen mit Füßen treten und dabei stattliche Gewinne erzielen.“
„Dass der NRT dabei auch juristische Abkürzungen genommen hat, sollte nicht überraschen und wurde von Survival schon vor Jahren dokumentiert. Es ist längst an der Zeit, dass Verra eine ordentliche Prüfung durchführt und dieses Projekt ein für alle Mal streicht.” (Survival International)